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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Hans Delbrück über den deutschen Aufmarsch von 59^.

Hans Delbrück über den deutschen Aufmarsch
von
Major a> D, L?ans Eggert von

in Märzheft der Preußischen Jahrbücher gibt der Professor Hans
Delbrück in einer Abhandlung über "die strategische Grundfrage
des Weltkriegs" eine kurzgefaßte Beurteilung des deutschen Auf¬
marschs von 1914 und der Führung der Operationen nach dem
Scheitern der Wcstoffensive an der Marne. Der Aufsatz, der zum
Teil Wiederholungen schon früher niedergelegter Anschauungen enthält/ bringt trotz
der verheißungsvoller "Benutzung ungedruckter Aktenstücke" keine Tatsachen, die
nicht bereits von anderen Fachmännern veröffentlicht worden wären. Seine
Bedeutung liegt in seiner Eigenschaft als Vademekum für Delbrücks Anhänger, die
nun glauben werden, endlich in den Besitz der Patentlösung jener schwierigen
Fragen gelangt zu sein. Bei den Gläubigen ketzerische Gedanken zu erwecken und
für die nicht auf Hans Delbrück eingeschworenen Leser jenes Artikels die irrtüm¬
lichen Anschauungen seines Verfassers nachzuweisen, ist der Zweck dieser Zeilen.
Sie sollen sich nur mit dem Aufmarsch beschäftigen, dem der größte Teil der
Delbrückschen Erörterungen gewidmet ist.

Delbrücks Gedankengang ist folgender: Der Schlieffensche Plan -- vor¬
läufige Verteidigung gegen Rußland, Angriff gegen die feindlichen Westheere mit
der Masse der Armee und mit einem durch Belgien marschierenden möglichst starken
rechten UmfassungSflügel -- hat Praktisch genommen gar nicht bestanden, da seine
für das Entstehungsjahr 1905 richtige Voraussetzung einer nur sehr geringen
Leistungsfähigkeit des russischen Heeres 1914 nicht mehr zutraf. Schliessen hat
ferner 1912 nnter Berücksichtigung der inzwischen veränderten Verhältnisse dein
Plan von 1905 widersprechende Betrachtungen niedergeschrieben, die einen gleich¬
zeitigen Angriff gegen alle Teile der feindlichen Westfront vorsahen, zu dem die
zahlenmäßige Stärke des deutschen Heeres aber nicht ausreichte. Er war sich
außerdem darüber klar, daß wir auch nach einem entscheidenden großen Sieg in
Frankreich nicht in der Lage sein würden, die Armeen mach Nußland zu überführen.
Auf diese Feststellung ist es zurückzuführen, daß Moltke so zögernd den Entschluß
zum Kriege fand und daß der Kaiser und Bethmann Hollweg von Anfang an so
Pessimistisch über den KriegsauSgcmg dachten.

Unter dem General v. Moltke, so fährt Delbrück fort, ist, sehr wahrscheinlich
auf Anregung des damaligen Obersten Ludendorff, der Schlieffensche Plan dahin
geändert worden, daß der Umfassnngsgedanle zwar beibehalten, der linke Flügel
aber in Erwartung eines französischen Angriffs nach Lothringen und aus anderen
Gründen allmählich mehr und mehr'verstärkt wurde, so daß schließlich nicht mehr
alle Kraft im rechten Flügel lag, sondern die Truppen ziemlich gleichmäßig über
die ganze Front verteilt waren. Zur Verteidigung dieses "Ludendorffschcn" Planes
glaubt Delbrück manches anführen zu können, unter anderem: daß man sich im
Generalstab vorgestellt haben könne, daß der allerdings komplizierte Plan die
Möglichkeit eines schnelleren und sehr viel größeren Sieges böte, nämlich eines
solchen in Lothringen, als der Schlieffensche. Dieser ist aber auch nach Delbrück


Hans Delbrück über den deutschen Aufmarsch von 59^.

Hans Delbrück über den deutschen Aufmarsch
von
Major a> D, L?ans Eggert von

in Märzheft der Preußischen Jahrbücher gibt der Professor Hans
Delbrück in einer Abhandlung über „die strategische Grundfrage
des Weltkriegs" eine kurzgefaßte Beurteilung des deutschen Auf¬
marschs von 1914 und der Führung der Operationen nach dem
Scheitern der Wcstoffensive an der Marne. Der Aufsatz, der zum
Teil Wiederholungen schon früher niedergelegter Anschauungen enthält/ bringt trotz
der verheißungsvoller „Benutzung ungedruckter Aktenstücke" keine Tatsachen, die
nicht bereits von anderen Fachmännern veröffentlicht worden wären. Seine
Bedeutung liegt in seiner Eigenschaft als Vademekum für Delbrücks Anhänger, die
nun glauben werden, endlich in den Besitz der Patentlösung jener schwierigen
Fragen gelangt zu sein. Bei den Gläubigen ketzerische Gedanken zu erwecken und
für die nicht auf Hans Delbrück eingeschworenen Leser jenes Artikels die irrtüm¬
lichen Anschauungen seines Verfassers nachzuweisen, ist der Zweck dieser Zeilen.
Sie sollen sich nur mit dem Aufmarsch beschäftigen, dem der größte Teil der
Delbrückschen Erörterungen gewidmet ist.

Delbrücks Gedankengang ist folgender: Der Schlieffensche Plan — vor¬
läufige Verteidigung gegen Rußland, Angriff gegen die feindlichen Westheere mit
der Masse der Armee und mit einem durch Belgien marschierenden möglichst starken
rechten UmfassungSflügel — hat Praktisch genommen gar nicht bestanden, da seine
für das Entstehungsjahr 1905 richtige Voraussetzung einer nur sehr geringen
Leistungsfähigkeit des russischen Heeres 1914 nicht mehr zutraf. Schliessen hat
ferner 1912 nnter Berücksichtigung der inzwischen veränderten Verhältnisse dein
Plan von 1905 widersprechende Betrachtungen niedergeschrieben, die einen gleich¬
zeitigen Angriff gegen alle Teile der feindlichen Westfront vorsahen, zu dem die
zahlenmäßige Stärke des deutschen Heeres aber nicht ausreichte. Er war sich
außerdem darüber klar, daß wir auch nach einem entscheidenden großen Sieg in
Frankreich nicht in der Lage sein würden, die Armeen mach Nußland zu überführen.
Auf diese Feststellung ist es zurückzuführen, daß Moltke so zögernd den Entschluß
zum Kriege fand und daß der Kaiser und Bethmann Hollweg von Anfang an so
Pessimistisch über den KriegsauSgcmg dachten.

Unter dem General v. Moltke, so fährt Delbrück fort, ist, sehr wahrscheinlich
auf Anregung des damaligen Obersten Ludendorff, der Schlieffensche Plan dahin
geändert worden, daß der Umfassnngsgedanle zwar beibehalten, der linke Flügel
aber in Erwartung eines französischen Angriffs nach Lothringen und aus anderen
Gründen allmählich mehr und mehr'verstärkt wurde, so daß schließlich nicht mehr
alle Kraft im rechten Flügel lag, sondern die Truppen ziemlich gleichmäßig über
die ganze Front verteilt waren. Zur Verteidigung dieses „Ludendorffschcn" Planes
glaubt Delbrück manches anführen zu können, unter anderem: daß man sich im
Generalstab vorgestellt haben könne, daß der allerdings komplizierte Plan die
Möglichkeit eines schnelleren und sehr viel größeren Sieges böte, nämlich eines
solchen in Lothringen, als der Schlieffensche. Dieser ist aber auch nach Delbrück


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[0181] Hans Delbrück über den deutschen Aufmarsch von 59^. Hans Delbrück über den deutschen Aufmarsch von Major a> D, L?ans Eggert von in Märzheft der Preußischen Jahrbücher gibt der Professor Hans Delbrück in einer Abhandlung über „die strategische Grundfrage des Weltkriegs" eine kurzgefaßte Beurteilung des deutschen Auf¬ marschs von 1914 und der Führung der Operationen nach dem Scheitern der Wcstoffensive an der Marne. Der Aufsatz, der zum Teil Wiederholungen schon früher niedergelegter Anschauungen enthält/ bringt trotz der verheißungsvoller „Benutzung ungedruckter Aktenstücke" keine Tatsachen, die nicht bereits von anderen Fachmännern veröffentlicht worden wären. Seine Bedeutung liegt in seiner Eigenschaft als Vademekum für Delbrücks Anhänger, die nun glauben werden, endlich in den Besitz der Patentlösung jener schwierigen Fragen gelangt zu sein. Bei den Gläubigen ketzerische Gedanken zu erwecken und für die nicht auf Hans Delbrück eingeschworenen Leser jenes Artikels die irrtüm¬ lichen Anschauungen seines Verfassers nachzuweisen, ist der Zweck dieser Zeilen. Sie sollen sich nur mit dem Aufmarsch beschäftigen, dem der größte Teil der Delbrückschen Erörterungen gewidmet ist. Delbrücks Gedankengang ist folgender: Der Schlieffensche Plan — vor¬ läufige Verteidigung gegen Rußland, Angriff gegen die feindlichen Westheere mit der Masse der Armee und mit einem durch Belgien marschierenden möglichst starken rechten UmfassungSflügel — hat Praktisch genommen gar nicht bestanden, da seine für das Entstehungsjahr 1905 richtige Voraussetzung einer nur sehr geringen Leistungsfähigkeit des russischen Heeres 1914 nicht mehr zutraf. Schliessen hat ferner 1912 nnter Berücksichtigung der inzwischen veränderten Verhältnisse dein Plan von 1905 widersprechende Betrachtungen niedergeschrieben, die einen gleich¬ zeitigen Angriff gegen alle Teile der feindlichen Westfront vorsahen, zu dem die zahlenmäßige Stärke des deutschen Heeres aber nicht ausreichte. Er war sich außerdem darüber klar, daß wir auch nach einem entscheidenden großen Sieg in Frankreich nicht in der Lage sein würden, die Armeen mach Nußland zu überführen. Auf diese Feststellung ist es zurückzuführen, daß Moltke so zögernd den Entschluß zum Kriege fand und daß der Kaiser und Bethmann Hollweg von Anfang an so Pessimistisch über den KriegsauSgcmg dachten. Unter dem General v. Moltke, so fährt Delbrück fort, ist, sehr wahrscheinlich auf Anregung des damaligen Obersten Ludendorff, der Schlieffensche Plan dahin geändert worden, daß der Umfassnngsgedanle zwar beibehalten, der linke Flügel aber in Erwartung eines französischen Angriffs nach Lothringen und aus anderen Gründen allmählich mehr und mehr'verstärkt wurde, so daß schließlich nicht mehr alle Kraft im rechten Flügel lag, sondern die Truppen ziemlich gleichmäßig über die ganze Front verteilt waren. Zur Verteidigung dieses „Ludendorffschcn" Planes glaubt Delbrück manches anführen zu können, unter anderem: daß man sich im Generalstab vorgestellt haben könne, daß der allerdings komplizierte Plan die Möglichkeit eines schnelleren und sehr viel größeren Sieges böte, nämlich eines solchen in Lothringen, als der Schlieffensche. Dieser ist aber auch nach Delbrück

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/181>, abgerufen am 23.11.2024.