Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.Die "konservative" Staatsidee Die "konservative" Staatsidee Fritz Aem von I. marins hat in Heft 2/3 der "Grenzboten" (S. 67) die sechs Politi¬ 1. der Sinn für Macht schlechthin, "Realpolitik", d. h, das Streben nach möglichst viel irgendwie verwendbarer Potentieller Energie, 2. die Beurteilung aller politischen Beziehungen unter dem Gesichtspunkt der Mehrung der Verbrauchs guter, d. h. Wirtschaftspolitik, 3. der Individualismus, der die Bindung an überindividuelle Einheiten möglichst einschränken will, d. h. der Liberalismus, 4. der Gedanke der abstrakt ausgleichenden Gerechtigkeit, notwendig ver¬ knüpft mit einer besonders starken Bindung des Individuums an überindividuelle Einheiten, d. h. der Kommunismus, der heute auftritt als Religion der Weltrevolution, 5. die Erlösung der Einzelseele und die dazu gehörige Gemeinde, d. h. die katholische Idee, 6. die Nation als Beziehungspunkt aller politischen Kräfte und Zwecke. Menenius will alle tatsächlichen Politischen Strömungen unserer Zeit als .Kombinationen dieser sechs Grundideen auffassen. Es fällt auf, daß von einer konservativen Staatsidee hier überhaupt nicht Eine genauere Untersuchung der in unserer Zeit lebenden Ideologien wird s-
Die „konservative" Staatsidee Die „konservative" Staatsidee Fritz Aem von I. marins hat in Heft 2/3 der „Grenzboten" (S. 67) die sechs Politi¬ 1. der Sinn für Macht schlechthin, „Realpolitik", d. h, das Streben nach möglichst viel irgendwie verwendbarer Potentieller Energie, 2. die Beurteilung aller politischen Beziehungen unter dem Gesichtspunkt der Mehrung der Verbrauchs guter, d. h. Wirtschaftspolitik, 3. der Individualismus, der die Bindung an überindividuelle Einheiten möglichst einschränken will, d. h. der Liberalismus, 4. der Gedanke der abstrakt ausgleichenden Gerechtigkeit, notwendig ver¬ knüpft mit einer besonders starken Bindung des Individuums an überindividuelle Einheiten, d. h. der Kommunismus, der heute auftritt als Religion der Weltrevolution, 5. die Erlösung der Einzelseele und die dazu gehörige Gemeinde, d. h. die katholische Idee, 6. die Nation als Beziehungspunkt aller politischen Kräfte und Zwecke. Menenius will alle tatsächlichen Politischen Strömungen unserer Zeit als .Kombinationen dieser sechs Grundideen auffassen. Es fällt auf, daß von einer konservativen Staatsidee hier überhaupt nicht Eine genauere Untersuchung der in unserer Zeit lebenden Ideologien wird s-
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0097" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338530"/> <fw type="header" place="top"> Die „konservative" Staatsidee</fw><lb/> </div> <div n="1"> <head> Die „konservative" Staatsidee<lb/><note type="byline"> Fritz Aem</note> von</head><lb/> <div n="2"> <head> I.</head><lb/> <p xml:id="ID_305"> marins hat in Heft 2/3 der „Grenzboten" (S. 67) die sechs Politi¬<lb/> schen Ideologien nebeneinander gestellt, die seiner Meinung nach<lb/> gegenwärtig Europa beherrschen. Die Begriffe, um die sich seine<lb/> sechs Ideologien gruppieren, sind:</p><lb/> <list> <item> 1. der Sinn für Macht schlechthin, „Realpolitik", d. h, das Streben<lb/> nach möglichst viel irgendwie verwendbarer Potentieller Energie,</item> <item> 2. die Beurteilung aller politischen Beziehungen unter dem Gesichtspunkt<lb/> der Mehrung der Verbrauchs guter, d. h. Wirtschaftspolitik,</item> <item> 3. der Individualismus, der die Bindung an überindividuelle Einheiten<lb/> möglichst einschränken will, d. h. der Liberalismus,</item> <item> 4. der Gedanke der abstrakt ausgleichenden Gerechtigkeit, notwendig ver¬<lb/> knüpft mit einer besonders starken Bindung des Individuums an<lb/> überindividuelle Einheiten, d. h. der Kommunismus, der heute<lb/> auftritt als Religion der Weltrevolution,</item> <item> 5. die Erlösung der Einzelseele und die dazu gehörige Gemeinde, d. h.<lb/> die katholische Idee,</item> <item> 6. die Nation als Beziehungspunkt aller politischen Kräfte und Zwecke.<lb/> Menenius will alle tatsächlichen Politischen Strömungen unserer Zeit als</item> </list><lb/> <p xml:id="ID_306"> .Kombinationen dieser sechs Grundideen auffassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_307"> Es fällt auf, daß von einer konservativen Staatsidee hier überhaupt nicht<lb/> die Rede ist. Der Eindruck, daß es eine solche in der praktischen Politik kaum<lb/> mehr gibt, ist heute weit verbreitet. Ein jüngerer Politiker hat aus dieser Auf¬<lb/> fassung heraus gelegentlich die Bezeichnung der „Deutschnativnalen Volkspartei"<lb/> als „Liberalisierter Nationalpartei" geprägt.</p><lb/> <p xml:id="ID_308"> Eine genauere Untersuchung der in unserer Zeit lebenden Ideologien wird<lb/> zu einem wesentlich anderen Ergebnis führen. Die Abplattung der politischen<lb/> Ideale zu bloßen Schlagworten infolge der Demokratisierung unserer Zeit hat<lb/> allerdings zur Folge, daß das nicht zum Massenfang geeignete konservative<lb/> Staatsideal sich aus der Arena zurückgezogen hat, in welcher das Ringen der<lb/> Parteiideale mehr einem Boxkampf als einer geistigen Auseinandersetzung ähnlich<lb/> geworden ist. Wenn wir uns nicht täuschen, so bereitet sich aber gerade in<lb/> unserer Zeit die Wiederauferstehung der konservativen Staatsidee zu einem wirk¬<lb/> lichen Ideal vor. Die konservativen Elemente finden am heutigen Staat wenig<lb/> mehr zu konservieren, um so mehr aber neu zu schaffen. Vielleicht steht nun die<lb/> geistige Schöpferkraft der Ideen, in die sich das politische Fühlen der Menschheit<lb/> spektralanalytisch auseinanderlegt, oft im umgekehrten Verhältnis zu dem<lb/> mechanisierten Machtbesitz ihrer Träger.' Die konservative Staatsidee konnte ein¬<lb/> schlummern, solange das deutsche Staatswesen hauptsächlich von konservativen<lb/> Grundsätzen und Personenkreisen beherrscht wurde. Heute ist dagegen das Recht<lb/> des Widerstandes, der Gedanke der Umwälzung und damit die Veranlassung, viel¬<lb/> leicht auch die Kraft zur Schöpfung gerade auf die sogenannten konservativen<lb/> Kreise übergegangen.<lb/> '''</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> s-</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0097]
Die „konservative" Staatsidee
Die „konservative" Staatsidee
Fritz Aem von
I.
marins hat in Heft 2/3 der „Grenzboten" (S. 67) die sechs Politi¬
schen Ideologien nebeneinander gestellt, die seiner Meinung nach
gegenwärtig Europa beherrschen. Die Begriffe, um die sich seine
sechs Ideologien gruppieren, sind:
1. der Sinn für Macht schlechthin, „Realpolitik", d. h, das Streben
nach möglichst viel irgendwie verwendbarer Potentieller Energie,
2. die Beurteilung aller politischen Beziehungen unter dem Gesichtspunkt
der Mehrung der Verbrauchs guter, d. h. Wirtschaftspolitik,
3. der Individualismus, der die Bindung an überindividuelle Einheiten
möglichst einschränken will, d. h. der Liberalismus,
4. der Gedanke der abstrakt ausgleichenden Gerechtigkeit, notwendig ver¬
knüpft mit einer besonders starken Bindung des Individuums an
überindividuelle Einheiten, d. h. der Kommunismus, der heute
auftritt als Religion der Weltrevolution,
5. die Erlösung der Einzelseele und die dazu gehörige Gemeinde, d. h.
die katholische Idee,
6. die Nation als Beziehungspunkt aller politischen Kräfte und Zwecke.
Menenius will alle tatsächlichen Politischen Strömungen unserer Zeit als
.Kombinationen dieser sechs Grundideen auffassen.
Es fällt auf, daß von einer konservativen Staatsidee hier überhaupt nicht
die Rede ist. Der Eindruck, daß es eine solche in der praktischen Politik kaum
mehr gibt, ist heute weit verbreitet. Ein jüngerer Politiker hat aus dieser Auf¬
fassung heraus gelegentlich die Bezeichnung der „Deutschnativnalen Volkspartei"
als „Liberalisierter Nationalpartei" geprägt.
Eine genauere Untersuchung der in unserer Zeit lebenden Ideologien wird
zu einem wesentlich anderen Ergebnis führen. Die Abplattung der politischen
Ideale zu bloßen Schlagworten infolge der Demokratisierung unserer Zeit hat
allerdings zur Folge, daß das nicht zum Massenfang geeignete konservative
Staatsideal sich aus der Arena zurückgezogen hat, in welcher das Ringen der
Parteiideale mehr einem Boxkampf als einer geistigen Auseinandersetzung ähnlich
geworden ist. Wenn wir uns nicht täuschen, so bereitet sich aber gerade in
unserer Zeit die Wiederauferstehung der konservativen Staatsidee zu einem wirk¬
lichen Ideal vor. Die konservativen Elemente finden am heutigen Staat wenig
mehr zu konservieren, um so mehr aber neu zu schaffen. Vielleicht steht nun die
geistige Schöpferkraft der Ideen, in die sich das politische Fühlen der Menschheit
spektralanalytisch auseinanderlegt, oft im umgekehrten Verhältnis zu dem
mechanisierten Machtbesitz ihrer Träger.' Die konservative Staatsidee konnte ein¬
schlummern, solange das deutsche Staatswesen hauptsächlich von konservativen
Grundsätzen und Personenkreisen beherrscht wurde. Heute ist dagegen das Recht
des Widerstandes, der Gedanke der Umwälzung und damit die Veranlassung, viel¬
leicht auch die Kraft zur Schöpfung gerade auf die sogenannten konservativen
Kreise übergegangen.
'''
s-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |