Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.Das Gesetz der Sprache im Leben der Völker erbte. Den Völkern jedoch, die außerdem die römische Sprache erbten, ward mit '6.' Die Wirkung dieses römischen Wesens wurde zwar anfangs durch die Um¬ Dieser Anlaß war die Wicdcrentdecknug des klassischen Altertums. Dieses So war es einer Schar von Philologen möglich, die große mittelalterlich- Das Gesetz der Sprache im Leben der Völker erbte. Den Völkern jedoch, die außerdem die römische Sprache erbten, ward mit '6.' Die Wirkung dieses römischen Wesens wurde zwar anfangs durch die Um¬ Dieser Anlaß war die Wicdcrentdecknug des klassischen Altertums. Dieses So war es einer Schar von Philologen möglich, die große mittelalterlich- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0077" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338510"/> <fw type="header" place="top"> Das Gesetz der Sprache im Leben der Völker</fw><lb/> <p xml:id="ID_230" prev="#ID_229"> erbte. Den Völkern jedoch, die außerdem die römische Sprache erbten, ward mit<lb/> dieser Sprache die Fähigkeit vererbt, gänzlich abstrakte und logisch werbende Mächte<lb/> neu aus sich zu erzeugen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> '6.'</head><lb/> <p xml:id="ID_231"> Die Wirkung dieses römischen Wesens wurde zwar anfangs durch die Um¬<lb/> gestaltung, die die germanischen Gebmuchcr der übernommenen römischen Sprache an-<lb/> gedeihen ließen, gemildert. So zeigt sich gleich im Setzen des Artikels, der nichts ist als<lb/> das lateinische Demonstrativpronomen, daß sie versuchten, die persönliche Beziehung<lb/> des Menschen zur Sache, die der römischen Sprache fehlte, in diese hineinzutragen.<lb/> „Der Mensch", welcher im Lateinischen bloß Iromo, „Mensch", geheißen hatte, wurde<lb/> zu mo tonio, dieser bestimmte Mensch dort, 1o domino, l'domiris. Im Sntzban,<lb/> in der Formenbildung, trat das germanische Sprachgefühl überall zutage. Aber<lb/> dies alles hatte Einfluß und Macht und auch für die Weltanschauung des Ge¬<lb/> brauchers noch den Wert bewahrter völkischer Eigenart nur, solange die Sprache<lb/> in der Entwicklung, im Flusse war; ferner, solange diese Entwicklung naiv und<lb/> unbewußt vor sich ging, das heißt, solange der Gebrauchet die Sprache fortsprach,<lb/> ohne sich ausdrücklich klarzumachen, woher sie letzten Endes stammte und wie ihre<lb/> ursprünglichen Muster und Vorbilder ausgesehen hätten. Dies dauerte fast das<lb/> ganze Mittelalter hindurch, und die Kultur und .Kunst dieser Zeit in Frankreich,<lb/> Spanien, Italien beweist, daß die Weltanschauung dieser fremdsprechender Ab¬<lb/> kömmlinge von Germanen im wesentlichen eine germanische, von der deutschen noch<lb/> nicht so sehr verschiedene war, so wie ihre Sprache eine der damaligen deutschen ver¬<lb/> wandte Naivität und Kindlichkeit des Ausdrucks darbot, und klanglich und rhythmisch<lb/> oft mehr ein dieses Deutsche erinnert als an das klassische Latein. Dies war ja sogar<lb/> mit der damaligen internationalen Schriftsprache, dem Kirchenlatein, der Fall,<lb/> welches mit Unrecht, nach ausländischem Vorbild, später von uns verspottet wurde,<lb/> während es doch in Wahrheit ein Zeichen des Triumphs deutschen Geistes über<lb/> römische Form war, welcher das ganze Mittclciltcr kennzeichnet. Aber in dem<lb/> Element des Lateinischen selbst und seinen Provinzialdialcktcn blieb dennoch ein<lb/> Stoff bestehen, aus dem beim geringsten Anlaß römischer Geist und römische Wertung<lb/> der Welt wieder ausleben konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_232"> Dieser Anlaß war die Wicdcrentdecknug des klassischen Altertums. Dieses<lb/> wäre einem deutsch sprechenden Europa eine fremde, märchenhafte .Kuriosität ge¬<lb/> blieben, die eS das ganze Mittelalter hindurch war, eS hätte nie Einfluß auf sein<lb/> Leben gewonnen. Dem romanisch sprechenden Süd- und Westeuropa mußte es, ver¬<lb/> mittels der gemeinsamen Sprache, mehr sein: es mußte ihm alles sein, sowie-es<lb/> sich bewußt wurde, daß hier die Sprache und Kultur zu finden war, von der die<lb/> eigene Sprache und Kultur abstammte.</p><lb/> <p xml:id="ID_233" next="#ID_234"> So war es einer Schar von Philologen möglich, die große mittelalterlich-<lb/> germanische Kultur zu zerschlagen, indem sie bloß auf die „echten" sprachlichen<lb/> Quellen der noch fortgesprochenen römischen Dialekte zurückging. In dem Augen¬<lb/> blick, da dem „Romanen" die ältere, echte römische „klassische" Sprach- und Geistes¬<lb/> kultur als das „Höhere" erschien, war das Schicksal der europäischen Kultur besiegelt.<lb/> Er bildete diesem Höheren mit aller Kraft sich zu — diesen Prozeß heißt man die<lb/> Renaissance. Sie war die geistige Wiederaufrichtung der Römerherrschaft! —</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0077]
Das Gesetz der Sprache im Leben der Völker
erbte. Den Völkern jedoch, die außerdem die römische Sprache erbten, ward mit
dieser Sprache die Fähigkeit vererbt, gänzlich abstrakte und logisch werbende Mächte
neu aus sich zu erzeugen.
'6.'
Die Wirkung dieses römischen Wesens wurde zwar anfangs durch die Um¬
gestaltung, die die germanischen Gebmuchcr der übernommenen römischen Sprache an-
gedeihen ließen, gemildert. So zeigt sich gleich im Setzen des Artikels, der nichts ist als
das lateinische Demonstrativpronomen, daß sie versuchten, die persönliche Beziehung
des Menschen zur Sache, die der römischen Sprache fehlte, in diese hineinzutragen.
„Der Mensch", welcher im Lateinischen bloß Iromo, „Mensch", geheißen hatte, wurde
zu mo tonio, dieser bestimmte Mensch dort, 1o domino, l'domiris. Im Sntzban,
in der Formenbildung, trat das germanische Sprachgefühl überall zutage. Aber
dies alles hatte Einfluß und Macht und auch für die Weltanschauung des Ge¬
brauchers noch den Wert bewahrter völkischer Eigenart nur, solange die Sprache
in der Entwicklung, im Flusse war; ferner, solange diese Entwicklung naiv und
unbewußt vor sich ging, das heißt, solange der Gebrauchet die Sprache fortsprach,
ohne sich ausdrücklich klarzumachen, woher sie letzten Endes stammte und wie ihre
ursprünglichen Muster und Vorbilder ausgesehen hätten. Dies dauerte fast das
ganze Mittelalter hindurch, und die Kultur und .Kunst dieser Zeit in Frankreich,
Spanien, Italien beweist, daß die Weltanschauung dieser fremdsprechender Ab¬
kömmlinge von Germanen im wesentlichen eine germanische, von der deutschen noch
nicht so sehr verschiedene war, so wie ihre Sprache eine der damaligen deutschen ver¬
wandte Naivität und Kindlichkeit des Ausdrucks darbot, und klanglich und rhythmisch
oft mehr ein dieses Deutsche erinnert als an das klassische Latein. Dies war ja sogar
mit der damaligen internationalen Schriftsprache, dem Kirchenlatein, der Fall,
welches mit Unrecht, nach ausländischem Vorbild, später von uns verspottet wurde,
während es doch in Wahrheit ein Zeichen des Triumphs deutschen Geistes über
römische Form war, welcher das ganze Mittclciltcr kennzeichnet. Aber in dem
Element des Lateinischen selbst und seinen Provinzialdialcktcn blieb dennoch ein
Stoff bestehen, aus dem beim geringsten Anlaß römischer Geist und römische Wertung
der Welt wieder ausleben konnte.
Dieser Anlaß war die Wicdcrentdecknug des klassischen Altertums. Dieses
wäre einem deutsch sprechenden Europa eine fremde, märchenhafte .Kuriosität ge¬
blieben, die eS das ganze Mittelalter hindurch war, eS hätte nie Einfluß auf sein
Leben gewonnen. Dem romanisch sprechenden Süd- und Westeuropa mußte es, ver¬
mittels der gemeinsamen Sprache, mehr sein: es mußte ihm alles sein, sowie-es
sich bewußt wurde, daß hier die Sprache und Kultur zu finden war, von der die
eigene Sprache und Kultur abstammte.
So war es einer Schar von Philologen möglich, die große mittelalterlich-
germanische Kultur zu zerschlagen, indem sie bloß auf die „echten" sprachlichen
Quellen der noch fortgesprochenen römischen Dialekte zurückging. In dem Augen¬
blick, da dem „Romanen" die ältere, echte römische „klassische" Sprach- und Geistes¬
kultur als das „Höhere" erschien, war das Schicksal der europäischen Kultur besiegelt.
Er bildete diesem Höheren mit aller Kraft sich zu — diesen Prozeß heißt man die
Renaissance. Sie war die geistige Wiederaufrichtung der Römerherrschaft! —
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |