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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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E. C. Corli: Alexander von Battenverg.
Sein Kampf mit den Zaren und
Bismarck, Nach des Fürsten von Bulgarien
nachgelassenen Papieren und sonstigen
ungedruckten Quellen. Mit 6 Abbildungen,
13 Brief-Faksimiles und S Karten. Wien,
L. W. Seidel u, Sohn, 1920. 3S1 S.
Brosch. M. 40.-.

Die bulgarische Frage hat in dein Jahr¬
zehnt nach dem Berliner Kongreß die amt¬
lichen Kabinette und die öffentliche Meinung
Europas dauernd in Atem gehalten. Dieser
ihrer großen internationalen Bedeutung ent¬
spricht das allgemeine Interesse, das ihre
Behandlung in der zeitgenössischen Literatur
stets aufs neue hervorgerufen hat. Soviel
wir auch bereits über ihre Entwicklung durch
offizielle, offiziöse und private, oft recht in
diskrete Veröffentlichungen wissen, jeden neuen
Beitrag über ihren Verlauf werden wir mit
großer Dankbarkeit begrüßen: ein derartiger
dankenswerter Beitrag ist unzweifelhaft Cortis
hier zu besprechendes Buch.

Da die Schöpfung Bulgariens das Er¬
gebnis internationaler Abmachungen war,
rückt der Verfasser, ein Neffe des italienischen
Vertreters auf dem Berliner Kongreß und
späteren Botschafters in Konstantinopel, die
Stellung der Großmächte zu Bulgarien in
den Mittelpunkt seiner Darstellung; hierin
liegt die große Bedeutung seiner Leistung.
Ein angenehm zu lesendes, gut disponiertes
Buch erhalten wir nicht; es ist vielmehr
eine nur lose verknüpfte Aneinanderreihung
von Akten und Briefabschriften/) die, soweit
ein Vergleich mit den beigefügten Brief-
Faksimiles ergibt, nicht stets genau gelesen
sind, als eine in sich abgerundete Darstellung
jener ereignisreichen zehn Jahre; jedoch hier
kann der Inhalt für die Form entschädigen.
Eine Fülle neuer politischer Beurteilungen
der damaligen Läge von kompetentester Seite
wird uns geboten; die kleinen, großen und ganz

[Spaltenumbruch]

großen Diplomaten und Staatsmänner jener
Epoche treten uns mitten in ihrer Tätigkeit ent¬
gegen, aus ihren amtlichen Unterredungen und
ihren privaten wie offiziellen politischen Korre¬
spondenzen werden uns ganz vertrauliche
Äußerungen mitgeteilt, alles äußerlich gruppiert
um den Kampf um Bulgarien, in Wahrheit
jedoch um die große Frage von internationaler,
europäischer Bedeutung, ob Nußland in diesen:
Teil der Balkanhalbinsel überwiegenden Ein¬
fluß erlangen und damit der Erbe des
kranken Mannes werden, wie demgegenüber
Österreich-Ungarn diese sein Vordringen nach
dem Orient durchkreuzende Politik vereiteln
soll; und darum gruppiert sich weiterhin die
Stellungnahme der übrigen Großmächte zu
diesem Problem, nicht so sehr Frankreichs
und Italiens, die damals noch wenig hervor¬
traten, als Englands, das bei seiner wohl¬
wollenden Politik gegenüber der Türkei der,
schärfste Gegner der russischen Bestrebungen
war, und Deutschlands, das durch Vündnis-
beziehungen zu Osterreich und Familien¬
tradition zum russischen Herrscherhaus zu
einer vermittelnden Haltung zwischen den
beiden Nebenbuhlern gezwungen war, Die
sympathische Gestalt des jugendlichen Alexander
von Ballenberg, der zudem noch durch inner¬
bulgarische Sorgen überreich bedrängt war,
erscheint in diesen: großen Jnteressenspiel
fast nur als eine Nebenfigur; wie er hei
seiner Wahl ein Kompromißkandidat Europas
war, so hat er auch später das traurige
Schicksal aller Kompromißschöpfungen erleiden
müssen: man duldete ihn, so lange man ihn
brauchte; man opferte ihn rücksichtslos, als
die Interessen einer in ihren Mitteln nicht
gerade wählerischen Politik es erheischten.

Bismarcks Stellung zu Bulgarien ist ge¬
kennzeichnet durch das bekannte, freilich oft zu
stark verallgemeinerte Wort von den Knochen
des pommerschen Grenadiers. Für Alexander
von Ballenberg führte der Weg nach Berlin
stets über Petersburg; sobald er sich mit
Rußland und dem Zaren überworfen hatte,
war er für Bismarck als selbständiger
politischer Faktor nicht mehr vorhanden, und
Wilhelm I., der so zähe an der russischen
Freundschaft festhielt, ist hier durchaus mit

[Ende Spaltensatz]
") Benutze sind vornehmlich außer dem Hartenau-
Archiv die Alten des Ministeriums des ". u. k. Hauses
und des Äußeren in Wien; eine Verwendung der im
Vorwort erwähnten Cortischen Papiere habe ich nicht
feststellen können.
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E. C. Corli: Alexander von Battenverg.
Sein Kampf mit den Zaren und
Bismarck, Nach des Fürsten von Bulgarien
nachgelassenen Papieren und sonstigen
ungedruckten Quellen. Mit 6 Abbildungen,
13 Brief-Faksimiles und S Karten. Wien,
L. W. Seidel u, Sohn, 1920. 3S1 S.
Brosch. M. 40.-.

Die bulgarische Frage hat in dein Jahr¬
zehnt nach dem Berliner Kongreß die amt¬
lichen Kabinette und die öffentliche Meinung
Europas dauernd in Atem gehalten. Dieser
ihrer großen internationalen Bedeutung ent¬
spricht das allgemeine Interesse, das ihre
Behandlung in der zeitgenössischen Literatur
stets aufs neue hervorgerufen hat. Soviel
wir auch bereits über ihre Entwicklung durch
offizielle, offiziöse und private, oft recht in
diskrete Veröffentlichungen wissen, jeden neuen
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dankenswerter Beitrag ist unzweifelhaft Cortis
hier zu besprechendes Buch.

Da die Schöpfung Bulgariens das Er¬
gebnis internationaler Abmachungen war,
rückt der Verfasser, ein Neffe des italienischen
Vertreters auf dem Berliner Kongreß und
späteren Botschafters in Konstantinopel, die
Stellung der Großmächte zu Bulgarien in
den Mittelpunkt seiner Darstellung; hierin
liegt die große Bedeutung seiner Leistung.
Ein angenehm zu lesendes, gut disponiertes
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ein Vergleich mit den beigefügten Brief-
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sind, als eine in sich abgerundete Darstellung
jener ereignisreichen zehn Jahre; jedoch hier
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Eine Fülle neuer politischer Beurteilungen
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wird uns geboten; die kleinen, großen und ganz

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großen Diplomaten und Staatsmänner jener
Epoche treten uns mitten in ihrer Tätigkeit ent¬
gegen, aus ihren amtlichen Unterredungen und
ihren privaten wie offiziellen politischen Korre¬
spondenzen werden uns ganz vertrauliche
Äußerungen mitgeteilt, alles äußerlich gruppiert
um den Kampf um Bulgarien, in Wahrheit
jedoch um die große Frage von internationaler,
europäischer Bedeutung, ob Nußland in diesen:
Teil der Balkanhalbinsel überwiegenden Ein¬
fluß erlangen und damit der Erbe des
kranken Mannes werden, wie demgegenüber
Österreich-Ungarn diese sein Vordringen nach
dem Orient durchkreuzende Politik vereiteln
soll; und darum gruppiert sich weiterhin die
Stellungnahme der übrigen Großmächte zu
diesem Problem, nicht so sehr Frankreichs
und Italiens, die damals noch wenig hervor¬
traten, als Englands, das bei seiner wohl¬
wollenden Politik gegenüber der Türkei der,
schärfste Gegner der russischen Bestrebungen
war, und Deutschlands, das durch Vündnis-
beziehungen zu Osterreich und Familien¬
tradition zum russischen Herrscherhaus zu
einer vermittelnden Haltung zwischen den
beiden Nebenbuhlern gezwungen war, Die
sympathische Gestalt des jugendlichen Alexander
von Ballenberg, der zudem noch durch inner¬
bulgarische Sorgen überreich bedrängt war,
erscheint in diesen: großen Jnteressenspiel
fast nur als eine Nebenfigur; wie er hei
seiner Wahl ein Kompromißkandidat Europas
war, so hat er auch später das traurige
Schicksal aller Kompromißschöpfungen erleiden
müssen: man duldete ihn, so lange man ihn
brauchte; man opferte ihn rücksichtslos, als
die Interessen einer in ihren Mitteln nicht
gerade wählerischen Politik es erheischten.

Bismarcks Stellung zu Bulgarien ist ge¬
kennzeichnet durch das bekannte, freilich oft zu
stark verallgemeinerte Wort von den Knochen
des pommerschen Grenadiers. Für Alexander
von Ballenberg führte der Weg nach Berlin
stets über Petersburg; sobald er sich mit
Rußland und dem Zaren überworfen hatte,
war er für Bismarck als selbständiger
politischer Faktor nicht mehr vorhanden, und
Wilhelm I., der so zähe an der russischen
Freundschaft festhielt, ist hier durchaus mit

[Ende Spaltensatz]
") Benutze sind vornehmlich außer dem Hartenau-
Archiv die Alten des Ministeriums des «. u. k. Hauses
und des Äußeren in Wien; eine Verwendung der im
Vorwort erwähnten Cortischen Papiere habe ich nicht
feststellen können.
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[0362] ZZücherschau Vuescschau E. C. Corli: Alexander von Battenverg. Sein Kampf mit den Zaren und Bismarck, Nach des Fürsten von Bulgarien nachgelassenen Papieren und sonstigen ungedruckten Quellen. Mit 6 Abbildungen, 13 Brief-Faksimiles und S Karten. Wien, L. W. Seidel u, Sohn, 1920. 3S1 S. Brosch. M. 40.-. Die bulgarische Frage hat in dein Jahr¬ zehnt nach dem Berliner Kongreß die amt¬ lichen Kabinette und die öffentliche Meinung Europas dauernd in Atem gehalten. Dieser ihrer großen internationalen Bedeutung ent¬ spricht das allgemeine Interesse, das ihre Behandlung in der zeitgenössischen Literatur stets aufs neue hervorgerufen hat. Soviel wir auch bereits über ihre Entwicklung durch offizielle, offiziöse und private, oft recht in diskrete Veröffentlichungen wissen, jeden neuen Beitrag über ihren Verlauf werden wir mit großer Dankbarkeit begrüßen: ein derartiger dankenswerter Beitrag ist unzweifelhaft Cortis hier zu besprechendes Buch. Da die Schöpfung Bulgariens das Er¬ gebnis internationaler Abmachungen war, rückt der Verfasser, ein Neffe des italienischen Vertreters auf dem Berliner Kongreß und späteren Botschafters in Konstantinopel, die Stellung der Großmächte zu Bulgarien in den Mittelpunkt seiner Darstellung; hierin liegt die große Bedeutung seiner Leistung. Ein angenehm zu lesendes, gut disponiertes Buch erhalten wir nicht; es ist vielmehr eine nur lose verknüpfte Aneinanderreihung von Akten und Briefabschriften/) die, soweit ein Vergleich mit den beigefügten Brief- Faksimiles ergibt, nicht stets genau gelesen sind, als eine in sich abgerundete Darstellung jener ereignisreichen zehn Jahre; jedoch hier kann der Inhalt für die Form entschädigen. Eine Fülle neuer politischer Beurteilungen der damaligen Läge von kompetentester Seite wird uns geboten; die kleinen, großen und ganz großen Diplomaten und Staatsmänner jener Epoche treten uns mitten in ihrer Tätigkeit ent¬ gegen, aus ihren amtlichen Unterredungen und ihren privaten wie offiziellen politischen Korre¬ spondenzen werden uns ganz vertrauliche Äußerungen mitgeteilt, alles äußerlich gruppiert um den Kampf um Bulgarien, in Wahrheit jedoch um die große Frage von internationaler, europäischer Bedeutung, ob Nußland in diesen: Teil der Balkanhalbinsel überwiegenden Ein¬ fluß erlangen und damit der Erbe des kranken Mannes werden, wie demgegenüber Österreich-Ungarn diese sein Vordringen nach dem Orient durchkreuzende Politik vereiteln soll; und darum gruppiert sich weiterhin die Stellungnahme der übrigen Großmächte zu diesem Problem, nicht so sehr Frankreichs und Italiens, die damals noch wenig hervor¬ traten, als Englands, das bei seiner wohl¬ wollenden Politik gegenüber der Türkei der, schärfste Gegner der russischen Bestrebungen war, und Deutschlands, das durch Vündnis- beziehungen zu Osterreich und Familien¬ tradition zum russischen Herrscherhaus zu einer vermittelnden Haltung zwischen den beiden Nebenbuhlern gezwungen war, Die sympathische Gestalt des jugendlichen Alexander von Ballenberg, der zudem noch durch inner¬ bulgarische Sorgen überreich bedrängt war, erscheint in diesen: großen Jnteressenspiel fast nur als eine Nebenfigur; wie er hei seiner Wahl ein Kompromißkandidat Europas war, so hat er auch später das traurige Schicksal aller Kompromißschöpfungen erleiden müssen: man duldete ihn, so lange man ihn brauchte; man opferte ihn rücksichtslos, als die Interessen einer in ihren Mitteln nicht gerade wählerischen Politik es erheischten. Bismarcks Stellung zu Bulgarien ist ge¬ kennzeichnet durch das bekannte, freilich oft zu stark verallgemeinerte Wort von den Knochen des pommerschen Grenadiers. Für Alexander von Ballenberg führte der Weg nach Berlin stets über Petersburg; sobald er sich mit Rußland und dem Zaren überworfen hatte, war er für Bismarck als selbständiger politischer Faktor nicht mehr vorhanden, und Wilhelm I., der so zähe an der russischen Freundschaft festhielt, ist hier durchaus mit ") Benutze sind vornehmlich außer dem Hartenau- Archiv die Alten des Ministeriums des «. u. k. Hauses und des Äußeren in Wien; eine Verwendung der im Vorwort erwähnten Cortischen Papiere habe ich nicht feststellen können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/362>, abgerufen am 24.07.2024.