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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Anthroposophie, Biologie und Christentum

und an die Anwaltskammer abgeführt werden, so daß der Anwalt nichts anderes
zu tun hätte, als bei hohem Objekt seine Gebühren um 5 v. H. niedriger geltend
zu machen. Dieser Fonds wäre jährlich unter die Rechtsanwälte zu verteilen,
die weniger als beispielsweise 10 000 Mark berufliches Jahreseinkommen hatten und
dieses dem Kammervorstand deklarieren. Der Verteilungsschlüssel müßte derart
sein, daß die Zuschlage nicht etwa ein Existenzminimum zu schaffen hätten, daß
vielmehr zu jedem geführten Prozeß unter beispielsweise 600 Mark Streitwert
ein Zuschlag von zum Beispiel je 10 Mark gezahlt würde.

Aus diesem Vorschlage spricht eine edle und uneigennützige Gesinnung, und
würden die Anwälte -- womöglich gar ohne gesetzgeberischen Zwang -- sich ihn
zu eigen machen, so würden sie damit ein Vorbild genossenschaftlicher Selbsthilfe
schaffen, welches in unserer selbstsüchtigen und eigennützigen Zeit wie ein Weckruf
wirken könnte. Sonnenfelds Vorschlag könnte aber nicht nur ideelle, sondern
auch praktische Wirkungen für den ganzen Stand der Anwälte haben, indem die
jüngeren unter ihnen eine auskömmliche Beschäftigung mit kleinen Prozessen er¬
hielten und dadurch vor standeswidrigen Seitensprüngcn und unlauteren Wett¬
bewerb bewahrt blieben.

Überblicken wir das Gesagte, so findet sich sehr Ungleichartiges unter
dem Schlagworte der Sozialisierung der Justiz und der Rechtspflege zusammen.
Aber aus allem ist doch wohl gleicherweise die Erkenntnis herauszulesen, daß sich
im Volke wie unter den Juristen ein Bedürfnis nach mancherlei Umgestaltung
der Rechtspflege zeigt. Es bleibt die Frage, ob unserer sturmbewegten Gegen¬
wart der Beruf zu fruchtbarer Gesetzgebung eignet. Wir möchten die Frage mit
Goethe bejahen, der vor fast hundert Jahren zu Eckermann sagte: "Ist ein
wirkliches Bedürfnis nach einer großen Reform in einem Volk vorhanden, so ist
Gott mit ihm und sie gelingt."




Anthroposophie, Biologie und Christentum
Professor Dr. Rudolf Lhrenberg von(Schluß.)

Es ist ja sehr bezeichnend: diese Lehre entwertet die Natur. Denn wenn
ich ^das wahre Wesen der Dinge hinter ihnen sehe, dann bin ich wirklich sehr
töricht, mir die Mühe der sinnlich-empirischen Forschung zu machen. Zugleich
aber ist es die Naturwissenschaft, der sie ihren stärksten originalen, nicht¬
orientalischen Impuls verdankt: in der Entwicklungslehre. Es ist Steiners immer
wiederkehrendes Argument, daß er der Vollstrecker von Darwin, Häckel usw. sei.
Warum habe man denn bei dem gewöhnlichen Menschen haltgemacht? -- sogut
wie es von der unbeseelten Pflanze zum beseelten Tier, vom beseelten Tiere zum
seelisch-geistigen Menschen weitergehe, so gehe es auch von da zum reinen Geist¬
wesen. Konsequenterweise verlängert er die Kette auch nach unten und entdeckt



Vgl. Grenzboten Heft 10/11.
Anthroposophie, Biologie und Christentum

und an die Anwaltskammer abgeführt werden, so daß der Anwalt nichts anderes
zu tun hätte, als bei hohem Objekt seine Gebühren um 5 v. H. niedriger geltend
zu machen. Dieser Fonds wäre jährlich unter die Rechtsanwälte zu verteilen,
die weniger als beispielsweise 10 000 Mark berufliches Jahreseinkommen hatten und
dieses dem Kammervorstand deklarieren. Der Verteilungsschlüssel müßte derart
sein, daß die Zuschlage nicht etwa ein Existenzminimum zu schaffen hätten, daß
vielmehr zu jedem geführten Prozeß unter beispielsweise 600 Mark Streitwert
ein Zuschlag von zum Beispiel je 10 Mark gezahlt würde.

Aus diesem Vorschlage spricht eine edle und uneigennützige Gesinnung, und
würden die Anwälte — womöglich gar ohne gesetzgeberischen Zwang — sich ihn
zu eigen machen, so würden sie damit ein Vorbild genossenschaftlicher Selbsthilfe
schaffen, welches in unserer selbstsüchtigen und eigennützigen Zeit wie ein Weckruf
wirken könnte. Sonnenfelds Vorschlag könnte aber nicht nur ideelle, sondern
auch praktische Wirkungen für den ganzen Stand der Anwälte haben, indem die
jüngeren unter ihnen eine auskömmliche Beschäftigung mit kleinen Prozessen er¬
hielten und dadurch vor standeswidrigen Seitensprüngcn und unlauteren Wett¬
bewerb bewahrt blieben.

Überblicken wir das Gesagte, so findet sich sehr Ungleichartiges unter
dem Schlagworte der Sozialisierung der Justiz und der Rechtspflege zusammen.
Aber aus allem ist doch wohl gleicherweise die Erkenntnis herauszulesen, daß sich
im Volke wie unter den Juristen ein Bedürfnis nach mancherlei Umgestaltung
der Rechtspflege zeigt. Es bleibt die Frage, ob unserer sturmbewegten Gegen¬
wart der Beruf zu fruchtbarer Gesetzgebung eignet. Wir möchten die Frage mit
Goethe bejahen, der vor fast hundert Jahren zu Eckermann sagte: „Ist ein
wirkliches Bedürfnis nach einer großen Reform in einem Volk vorhanden, so ist
Gott mit ihm und sie gelingt."




Anthroposophie, Biologie und Christentum
Professor Dr. Rudolf Lhrenberg von(Schluß.)

Es ist ja sehr bezeichnend: diese Lehre entwertet die Natur. Denn wenn
ich ^das wahre Wesen der Dinge hinter ihnen sehe, dann bin ich wirklich sehr
töricht, mir die Mühe der sinnlich-empirischen Forschung zu machen. Zugleich
aber ist es die Naturwissenschaft, der sie ihren stärksten originalen, nicht¬
orientalischen Impuls verdankt: in der Entwicklungslehre. Es ist Steiners immer
wiederkehrendes Argument, daß er der Vollstrecker von Darwin, Häckel usw. sei.
Warum habe man denn bei dem gewöhnlichen Menschen haltgemacht? — sogut
wie es von der unbeseelten Pflanze zum beseelten Tier, vom beseelten Tiere zum
seelisch-geistigen Menschen weitergehe, so gehe es auch von da zum reinen Geist¬
wesen. Konsequenterweise verlängert er die Kette auch nach unten und entdeckt



Vgl. Grenzboten Heft 10/11.
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[0314] Anthroposophie, Biologie und Christentum und an die Anwaltskammer abgeführt werden, so daß der Anwalt nichts anderes zu tun hätte, als bei hohem Objekt seine Gebühren um 5 v. H. niedriger geltend zu machen. Dieser Fonds wäre jährlich unter die Rechtsanwälte zu verteilen, die weniger als beispielsweise 10 000 Mark berufliches Jahreseinkommen hatten und dieses dem Kammervorstand deklarieren. Der Verteilungsschlüssel müßte derart sein, daß die Zuschlage nicht etwa ein Existenzminimum zu schaffen hätten, daß vielmehr zu jedem geführten Prozeß unter beispielsweise 600 Mark Streitwert ein Zuschlag von zum Beispiel je 10 Mark gezahlt würde. Aus diesem Vorschlage spricht eine edle und uneigennützige Gesinnung, und würden die Anwälte — womöglich gar ohne gesetzgeberischen Zwang — sich ihn zu eigen machen, so würden sie damit ein Vorbild genossenschaftlicher Selbsthilfe schaffen, welches in unserer selbstsüchtigen und eigennützigen Zeit wie ein Weckruf wirken könnte. Sonnenfelds Vorschlag könnte aber nicht nur ideelle, sondern auch praktische Wirkungen für den ganzen Stand der Anwälte haben, indem die jüngeren unter ihnen eine auskömmliche Beschäftigung mit kleinen Prozessen er¬ hielten und dadurch vor standeswidrigen Seitensprüngcn und unlauteren Wett¬ bewerb bewahrt blieben. Überblicken wir das Gesagte, so findet sich sehr Ungleichartiges unter dem Schlagworte der Sozialisierung der Justiz und der Rechtspflege zusammen. Aber aus allem ist doch wohl gleicherweise die Erkenntnis herauszulesen, daß sich im Volke wie unter den Juristen ein Bedürfnis nach mancherlei Umgestaltung der Rechtspflege zeigt. Es bleibt die Frage, ob unserer sturmbewegten Gegen¬ wart der Beruf zu fruchtbarer Gesetzgebung eignet. Wir möchten die Frage mit Goethe bejahen, der vor fast hundert Jahren zu Eckermann sagte: „Ist ein wirkliches Bedürfnis nach einer großen Reform in einem Volk vorhanden, so ist Gott mit ihm und sie gelingt." Anthroposophie, Biologie und Christentum Professor Dr. Rudolf Lhrenberg von(Schluß.) Es ist ja sehr bezeichnend: diese Lehre entwertet die Natur. Denn wenn ich ^das wahre Wesen der Dinge hinter ihnen sehe, dann bin ich wirklich sehr töricht, mir die Mühe der sinnlich-empirischen Forschung zu machen. Zugleich aber ist es die Naturwissenschaft, der sie ihren stärksten originalen, nicht¬ orientalischen Impuls verdankt: in der Entwicklungslehre. Es ist Steiners immer wiederkehrendes Argument, daß er der Vollstrecker von Darwin, Häckel usw. sei. Warum habe man denn bei dem gewöhnlichen Menschen haltgemacht? — sogut wie es von der unbeseelten Pflanze zum beseelten Tier, vom beseelten Tiere zum seelisch-geistigen Menschen weitergehe, so gehe es auch von da zum reinen Geist¬ wesen. Konsequenterweise verlängert er die Kette auch nach unten und entdeckt Vgl. Grenzboten Heft 10/11.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/314>, abgerufen am 27.12.2024.