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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsch-russische Riickversicherungsvertrag von ^88? und seine Kündigung

nicht: für meinen schlichten Verstand ist der ein schlechter Patriot, der in einer
Gefahr, wie sie Deutschland im Weltkrieg drohte, nicht ohne jeden Nebengedanken
und mit aller Willenskraft, deren er fähig ist, den Sieg der eigenen Sache erstrebt.
Und wer den Sieg des Feindes wünscht, der bleibt für mich ein Vaterlandsverräter,
gleichviel, was er sich dabei denkt!

Fern sei es von mir, ich wiederhole es, den einzelnen Anhängern der Sozial¬
demokratie solche Vorwürfe zu machen. Auch die Partei als solche kann sich mit nur
zu, zahlreichen Mitschuldigen darein teilen. Der Fluch, sich von solchen Stimmungen
haben beeinflussen zu lassen, trifft, um es rund herauszusagen, die ganze Reichstags¬
mehrheit, die sich, um die Reichsleitung unter das parlamentarische Joch zu beugen,
in: dritten Kriegsjahre zusammenfand. Ihr Geburtstag -- nicht umsonst hieß der Ge¬
burtshelfer Matthias Erzberger -- ist mir immer als schwarzer Tag im Leben des
deutschen Volkes erschienen und sie selbst als die Verkörperung alles dessen, was schwach
und halb und kleinlich, dumpf und niedrig in unserem Volke ist. Was war aber jene
Mehrheit anderes als eine Verlängerung der Sozialdemokratie? Sie bildete den
Kern und hatte die Führung. Ihr Geist war es, der die Mehrheitspolitik bestimmte-,
sie vor allem trifft daher auch die Verantwortung für die durch Kricgsmüdigkeit und
Siegesscheu bestimmte .Kriegs- und Friedenspolitik des Reichstages.

Und nun frage ich Sie wieder und werbe meinerseits um Ihre Seele: Kann
ein Mann von nationalem Bewußtsein und Gewissen mit dieser Partei zusammen¬
gehen?




Der deutsch-russische RückVersicherungsvertrag
von 1^887 und seine Kündigung
Professor Dr. Fritz Härtung von

seitdem L. Raschdau, angeregt durch O. Hammanns Buch über den
neuen Kurs, vor mehr als zwei Jahren (Grenzboten 1918 Ur. ,15
vom 12. April) an dieser Stelle auf Grund seiner Erinnerungen
über den deutsch-russischen Nückversicherungsvertrag berichtet hat, ist
zahlreiches neues Material darüber veröffentlicht worden, Wir kennen
jetzt den vollen Wortlaut mit Einschluß des ganz geheimen Zusatzprotokolls, wir
verdanken der von A. F. Pribram besorgten Ausgabe der österreich-ungarischen Ge-
hcimvcrträge den Text der zwischen Deutschland, Ssterreich-Ungarn und Rußland in
den Jahren 1881 und 1884 abgeschlossenen Neutralitätsverträge, die uns erst das
rechte Verständnis für den Nückversicherungsvertrag gewähren und uns manche
Andeutung Bismarcks über diesen klarmachen; wir haben endlich aus dem Schlu߬
band der Lebenserinnerungen des Generalkonsuls I. von Eckardt, der kürzlich
unter dem Titel "Aus den Tagen von Bismarcks Kampf gegen Caprivi" erschienen
ist, ausführliche und hochinteressante Mitteilungen über die Kündigung des Vertrags
erhalten, die L. Raschdau im Tag vom 17. Oktober 1920 noch ergänzt hat.^) Nach



>) Ich darf wohl auf die ausführlichere Darstellung hinweisen, die ich in meiner
"Deutschen Geschichte von 1871 bis 1914" (Bonn 19S0) von diesen Dingen gegeben habe.
Der deutsch-russische Riickversicherungsvertrag von ^88? und seine Kündigung

nicht: für meinen schlichten Verstand ist der ein schlechter Patriot, der in einer
Gefahr, wie sie Deutschland im Weltkrieg drohte, nicht ohne jeden Nebengedanken
und mit aller Willenskraft, deren er fähig ist, den Sieg der eigenen Sache erstrebt.
Und wer den Sieg des Feindes wünscht, der bleibt für mich ein Vaterlandsverräter,
gleichviel, was er sich dabei denkt!

Fern sei es von mir, ich wiederhole es, den einzelnen Anhängern der Sozial¬
demokratie solche Vorwürfe zu machen. Auch die Partei als solche kann sich mit nur
zu, zahlreichen Mitschuldigen darein teilen. Der Fluch, sich von solchen Stimmungen
haben beeinflussen zu lassen, trifft, um es rund herauszusagen, die ganze Reichstags¬
mehrheit, die sich, um die Reichsleitung unter das parlamentarische Joch zu beugen,
in: dritten Kriegsjahre zusammenfand. Ihr Geburtstag — nicht umsonst hieß der Ge¬
burtshelfer Matthias Erzberger — ist mir immer als schwarzer Tag im Leben des
deutschen Volkes erschienen und sie selbst als die Verkörperung alles dessen, was schwach
und halb und kleinlich, dumpf und niedrig in unserem Volke ist. Was war aber jene
Mehrheit anderes als eine Verlängerung der Sozialdemokratie? Sie bildete den
Kern und hatte die Führung. Ihr Geist war es, der die Mehrheitspolitik bestimmte-,
sie vor allem trifft daher auch die Verantwortung für die durch Kricgsmüdigkeit und
Siegesscheu bestimmte .Kriegs- und Friedenspolitik des Reichstages.

Und nun frage ich Sie wieder und werbe meinerseits um Ihre Seele: Kann
ein Mann von nationalem Bewußtsein und Gewissen mit dieser Partei zusammen¬
gehen?




Der deutsch-russische RückVersicherungsvertrag
von 1^887 und seine Kündigung
Professor Dr. Fritz Härtung von

seitdem L. Raschdau, angeregt durch O. Hammanns Buch über den
neuen Kurs, vor mehr als zwei Jahren (Grenzboten 1918 Ur. ,15
vom 12. April) an dieser Stelle auf Grund seiner Erinnerungen
über den deutsch-russischen Nückversicherungsvertrag berichtet hat, ist
zahlreiches neues Material darüber veröffentlicht worden, Wir kennen
jetzt den vollen Wortlaut mit Einschluß des ganz geheimen Zusatzprotokolls, wir
verdanken der von A. F. Pribram besorgten Ausgabe der österreich-ungarischen Ge-
hcimvcrträge den Text der zwischen Deutschland, Ssterreich-Ungarn und Rußland in
den Jahren 1881 und 1884 abgeschlossenen Neutralitätsverträge, die uns erst das
rechte Verständnis für den Nückversicherungsvertrag gewähren und uns manche
Andeutung Bismarcks über diesen klarmachen; wir haben endlich aus dem Schlu߬
band der Lebenserinnerungen des Generalkonsuls I. von Eckardt, der kürzlich
unter dem Titel „Aus den Tagen von Bismarcks Kampf gegen Caprivi" erschienen
ist, ausführliche und hochinteressante Mitteilungen über die Kündigung des Vertrags
erhalten, die L. Raschdau im Tag vom 17. Oktober 1920 noch ergänzt hat.^) Nach



>) Ich darf wohl auf die ausführlichere Darstellung hinweisen, die ich in meiner
„Deutschen Geschichte von 1871 bis 1914" (Bonn 19S0) von diesen Dingen gegeben habe.
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[0026] Der deutsch-russische Riickversicherungsvertrag von ^88? und seine Kündigung nicht: für meinen schlichten Verstand ist der ein schlechter Patriot, der in einer Gefahr, wie sie Deutschland im Weltkrieg drohte, nicht ohne jeden Nebengedanken und mit aller Willenskraft, deren er fähig ist, den Sieg der eigenen Sache erstrebt. Und wer den Sieg des Feindes wünscht, der bleibt für mich ein Vaterlandsverräter, gleichviel, was er sich dabei denkt! Fern sei es von mir, ich wiederhole es, den einzelnen Anhängern der Sozial¬ demokratie solche Vorwürfe zu machen. Auch die Partei als solche kann sich mit nur zu, zahlreichen Mitschuldigen darein teilen. Der Fluch, sich von solchen Stimmungen haben beeinflussen zu lassen, trifft, um es rund herauszusagen, die ganze Reichstags¬ mehrheit, die sich, um die Reichsleitung unter das parlamentarische Joch zu beugen, in: dritten Kriegsjahre zusammenfand. Ihr Geburtstag — nicht umsonst hieß der Ge¬ burtshelfer Matthias Erzberger — ist mir immer als schwarzer Tag im Leben des deutschen Volkes erschienen und sie selbst als die Verkörperung alles dessen, was schwach und halb und kleinlich, dumpf und niedrig in unserem Volke ist. Was war aber jene Mehrheit anderes als eine Verlängerung der Sozialdemokratie? Sie bildete den Kern und hatte die Führung. Ihr Geist war es, der die Mehrheitspolitik bestimmte-, sie vor allem trifft daher auch die Verantwortung für die durch Kricgsmüdigkeit und Siegesscheu bestimmte .Kriegs- und Friedenspolitik des Reichstages. Und nun frage ich Sie wieder und werbe meinerseits um Ihre Seele: Kann ein Mann von nationalem Bewußtsein und Gewissen mit dieser Partei zusammen¬ gehen? Der deutsch-russische RückVersicherungsvertrag von 1^887 und seine Kündigung Professor Dr. Fritz Härtung von seitdem L. Raschdau, angeregt durch O. Hammanns Buch über den neuen Kurs, vor mehr als zwei Jahren (Grenzboten 1918 Ur. ,15 vom 12. April) an dieser Stelle auf Grund seiner Erinnerungen über den deutsch-russischen Nückversicherungsvertrag berichtet hat, ist zahlreiches neues Material darüber veröffentlicht worden, Wir kennen jetzt den vollen Wortlaut mit Einschluß des ganz geheimen Zusatzprotokolls, wir verdanken der von A. F. Pribram besorgten Ausgabe der österreich-ungarischen Ge- hcimvcrträge den Text der zwischen Deutschland, Ssterreich-Ungarn und Rußland in den Jahren 1881 und 1884 abgeschlossenen Neutralitätsverträge, die uns erst das rechte Verständnis für den Nückversicherungsvertrag gewähren und uns manche Andeutung Bismarcks über diesen klarmachen; wir haben endlich aus dem Schlu߬ band der Lebenserinnerungen des Generalkonsuls I. von Eckardt, der kürzlich unter dem Titel „Aus den Tagen von Bismarcks Kampf gegen Caprivi" erschienen ist, ausführliche und hochinteressante Mitteilungen über die Kündigung des Vertrags erhalten, die L. Raschdau im Tag vom 17. Oktober 1920 noch ergänzt hat.^) Nach >) Ich darf wohl auf die ausführlichere Darstellung hinweisen, die ich in meiner „Deutschen Geschichte von 1871 bis 1914" (Bonn 19S0) von diesen Dingen gegeben habe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/26>, abgerufen am 27.06.2024.