Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.Bürokraten-Briefe Der Vorläufer des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches war der Man mag über die "nationale Verlumpung" der deutschen Sozialdemokratie Bürokraten-Briefe*) Unterstaatssekretär a. D. Freiherr v. Falkenhausen von V. Sozialdemokratie und nationales Bewußtsein. Es klang fast nach einer Einladung zum gemästeten Kalbe, so freudig begrüßten *) Nachstehende Bürokratenbriefe des bekannten Verfassers stammen aus dem
Winter 1919/1920. Siehe auch "Grenzboten" Heft 44/45, 46, 47/43 und 49. Weitere Briefe folgen in den nächsten Heften. Bürokraten-Briefe Der Vorläufer des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches war der Man mag über die „nationale Verlumpung" der deutschen Sozialdemokratie Bürokraten-Briefe*) Unterstaatssekretär a. D. Freiherr v. Falkenhausen von V. Sozialdemokratie und nationales Bewußtsein. Es klang fast nach einer Einladung zum gemästeten Kalbe, so freudig begrüßten *) Nachstehende Bürokratenbriefe des bekannten Verfassers stammen aus dem
Winter 1919/1920. Siehe auch „Grenzboten" Heft 44/45, 46, 47/43 und 49. Weitere Briefe folgen in den nächsten Heften. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0325" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338348"/> <fw type="header" place="top"> Bürokraten-Briefe</fw><lb/> <p xml:id="ID_1187" prev="#ID_1186"> Der Vorläufer des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches war der<lb/> deutsche Zollverein. Die Einigung damals ging also vom Wirtschaftlichen aus und<lb/> endigte im Politischen. Es ist nicht undenkbar, daß es diesmal umgekehrt sein<lb/> wird. In einer Zeit wirtschaftlichen Niederbruchs ohne gleichen und bei einer<lb/> politischen Entwicklungsmöglichkeit, wie sie bisher noch selten in der deutschen Ge¬<lb/> schichte bestanden hat, kann diesmal wohl die politische Einigung den Vortritt<lb/> erhalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1188"> Man mag über die „nationale Verlumpung" der deutschen Sozialdemokratie<lb/> — ein gutes Wort Rostes — so absprechend urteilen, wie man nur will, der Real¬<lb/> politiker wird nie vergessen dürfen, daß die von ihr vertretenen Massen in ihrer<lb/> Abkehr vom Föderalismus eine Strömung bilden, die, sicher geleitet und genutzt,<lb/> uns dem Ziele des Einheitsstaates näherbringen muß. Diese Strömung steht in<lb/> einer beiden Teilen unbewußten Wechselwirkung mit den guten, für unsere staatliche<lb/> Entwicklung nützlichen Seiten des Föderalismus, wie sie oben gekennzeichnet<lb/> wurden. Der Gedanke des Einheitsstaates muß das Brauchbare nehmen, wo er es<lb/> findet und das Unbrauchbare abstoßen. Wenn die staatliche Konsolidation Bayerns<lb/> in ihrer Einwirkung auf Norddeutschland bei uns Sowjetzustände verhindert, so<lb/> kann es ihr wirklich nicht hoch genug gedankt werden. Führt sie aber zu einer<lb/> notwendig die Reichseinheit sprengenden Sondermonarchie, so wird sie wahrscheinlich<lb/> schwereren Schaden anrichten, als sie Nutzen stiften kann. Hätten wir nur ein<lb/> bißchen politischen Fernblick und Großzügigkeit, so müßte uns der Umstand, daß<lb/> unsere Feinde den Föderalismus wollen, der beste Beweis dafür sein, daß wir jetzt<lb/> den Einheitsstaat haben müssen. Er ist heute möglich und es bleibt nur dafür zu<lb/> sorgen, daß er in einer Gestalt ersteht, die eine organische Fortsetzung des preußisch¬<lb/> deutschen Reiches verbürgt, wie es von 1870 bis 1918 doch schließlich die größten<lb/> Leistungen aufzuweisen hatte, die in der Weltgeschichte in so kurzer Zeit jemals<lb/> vollbracht sind. Um den Kaisergedanken braucht kein Anhänger Preußens in<lb/> Deutschland bange zu sein. Wie er sich durch die Jahrtausende erhalten hat und<lb/> wie er nach zweijährigem Umsturz bereits wieder mächtig angewachsen ist, so wird<lb/> auch die weitere politische Entwicklung des deutschen Volkes niemals an ihm vorbei¬<lb/> gehen können. „Kaiser" und „Reich" klingen immer wieder zusammen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Bürokraten-Briefe*)<lb/><note type="byline"> Unterstaatssekretär a. D. Freiherr v. Falkenhausen</note> von<lb/> V. Sozialdemokratie und nationales Bewußtsein.</head><lb/> <p xml:id="ID_1189" next="#ID_1190"> Es klang fast nach einer Einladung zum gemästeten Kalbe, so freudig begrüßten<lb/> Sie mich verlorenen Sohn, der eben noch mit Schutz der Arbeitswilligen, Obrigkeits¬<lb/> staat u, tgi. reaktionären Schändlichkeiten das Erbe seiner Vernunft vergeudet hatte,<lb/> wegen der Abkehr vom Kapitalismus, die Sie in meinem letzten Briefe überrascht</p><lb/> <note xml:id="FID_22" place="foot"> *) Nachstehende Bürokratenbriefe des bekannten Verfassers stammen aus dem<lb/> Winter 1919/1920. Siehe auch „Grenzboten" Heft 44/45, 46, 47/43 und 49. Weitere<lb/> Briefe folgen in den nächsten Heften.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0325]
Bürokraten-Briefe
Der Vorläufer des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches war der
deutsche Zollverein. Die Einigung damals ging also vom Wirtschaftlichen aus und
endigte im Politischen. Es ist nicht undenkbar, daß es diesmal umgekehrt sein
wird. In einer Zeit wirtschaftlichen Niederbruchs ohne gleichen und bei einer
politischen Entwicklungsmöglichkeit, wie sie bisher noch selten in der deutschen Ge¬
schichte bestanden hat, kann diesmal wohl die politische Einigung den Vortritt
erhalten.
Man mag über die „nationale Verlumpung" der deutschen Sozialdemokratie
— ein gutes Wort Rostes — so absprechend urteilen, wie man nur will, der Real¬
politiker wird nie vergessen dürfen, daß die von ihr vertretenen Massen in ihrer
Abkehr vom Föderalismus eine Strömung bilden, die, sicher geleitet und genutzt,
uns dem Ziele des Einheitsstaates näherbringen muß. Diese Strömung steht in
einer beiden Teilen unbewußten Wechselwirkung mit den guten, für unsere staatliche
Entwicklung nützlichen Seiten des Föderalismus, wie sie oben gekennzeichnet
wurden. Der Gedanke des Einheitsstaates muß das Brauchbare nehmen, wo er es
findet und das Unbrauchbare abstoßen. Wenn die staatliche Konsolidation Bayerns
in ihrer Einwirkung auf Norddeutschland bei uns Sowjetzustände verhindert, so
kann es ihr wirklich nicht hoch genug gedankt werden. Führt sie aber zu einer
notwendig die Reichseinheit sprengenden Sondermonarchie, so wird sie wahrscheinlich
schwereren Schaden anrichten, als sie Nutzen stiften kann. Hätten wir nur ein
bißchen politischen Fernblick und Großzügigkeit, so müßte uns der Umstand, daß
unsere Feinde den Föderalismus wollen, der beste Beweis dafür sein, daß wir jetzt
den Einheitsstaat haben müssen. Er ist heute möglich und es bleibt nur dafür zu
sorgen, daß er in einer Gestalt ersteht, die eine organische Fortsetzung des preußisch¬
deutschen Reiches verbürgt, wie es von 1870 bis 1918 doch schließlich die größten
Leistungen aufzuweisen hatte, die in der Weltgeschichte in so kurzer Zeit jemals
vollbracht sind. Um den Kaisergedanken braucht kein Anhänger Preußens in
Deutschland bange zu sein. Wie er sich durch die Jahrtausende erhalten hat und
wie er nach zweijährigem Umsturz bereits wieder mächtig angewachsen ist, so wird
auch die weitere politische Entwicklung des deutschen Volkes niemals an ihm vorbei¬
gehen können. „Kaiser" und „Reich" klingen immer wieder zusammen.
Bürokraten-Briefe*)
Unterstaatssekretär a. D. Freiherr v. Falkenhausen von
V. Sozialdemokratie und nationales Bewußtsein.
Es klang fast nach einer Einladung zum gemästeten Kalbe, so freudig begrüßten
Sie mich verlorenen Sohn, der eben noch mit Schutz der Arbeitswilligen, Obrigkeits¬
staat u, tgi. reaktionären Schändlichkeiten das Erbe seiner Vernunft vergeudet hatte,
wegen der Abkehr vom Kapitalismus, die Sie in meinem letzten Briefe überrascht
*) Nachstehende Bürokratenbriefe des bekannten Verfassers stammen aus dem
Winter 1919/1920. Siehe auch „Grenzboten" Heft 44/45, 46, 47/43 und 49. Weitere
Briefe folgen in den nächsten Heften.
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