Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wege des Wiederaufbaus

Wege des Wiederaufbaus
Friedrich Edlen von Braun, von Präsidenten des Reichswirtschaftsrates, in. d. R.

is ich im Frühjahr 1918 vorübergehend im Westen an der Front
war, hat es mir einen besonders tiefen Eindruck gemacht, wie ich
in einem französischen Dorfe, das in wenigen Tagen beim Rückzug
auf die Siegfriedstellung zerstört werden sollte, einen alten Mann
eifrig in seinem Obstgarten arbeiten sah, als ob tiefster Frieden
sei, und er im Herbste die Früchte seines Fleißes ernten könnte.

Diesem ahnungslosen Greise gleicht das deutsche Volk in seiner gegen¬
wärtigen Verfassung. In stumpfer Ergebenheit geht es seinen täglichen Geschäften
nach, freilich nicht mit der Arbeitsfreude und dem Pflichtbewußtsein wie vor dem
Kriege, und scheint gar nicht zu fühlen, daß das nur eine zwecklose Zeitausfüllung bis
zum Hereinbrechen des Verhängnisses ist, das uns droht. Und nicht nur das
Volk handelt so, sondern auch seine Vertreter im Reichstag und in der Negierung,
die sich doch über die Lage im klaren sein müßten.

Wollen wir aber wieder aufbauen, was ein neidisches Geschick uns zer¬
störte und aus den harten Schlägen des Unglückes die Wurzeln unserer Kraft
zu neuer Blüte stärken, so müssen alle Kreise des Volkes aus dieser bleiernen
Stumpfheit aufgerüttelt werden. Erst wenn man sich die Lage mit unerbittlicher
Offenheit klarzumachen sucht und den drohenden Gefahren mutig ins Auge
blickt, ist die erste Voraussetzung zur Stählung von Willen und Kraft, zur Be¬
wältigung aller Widerstände und Schwierigkeiten gegeben.

Nicht um zu entmutigen also, sondern um aufzurichten in dem trotzigen
Mut, auch das Schwerste zu überwinden, will ich ein Bild unserer wirtschaft¬
lichen Lage entrollen, das fast nur aus tiefen Schlagschatten besteht, will ich
alles zusammentragen, was der verlorene Krieg, die Revolution und der Friede
bon Versailles über das deutsche Volk gebracht haben.

Der Reichsfinanzminister Wirth hat vor einigen Wochen wieder einmal eine
Darstellung der finanziellen Lage des Reiches gegeben.

Die Zahlen, die er bringt, sind so erschütternd, daß fast jede Hoffnung
schwindet, noch einen Ausweg aus diesem Zusammenbruch zu finden. Sie sind
aber, was noch schlimmer ist, immer noch unklar und unverständlich, so daß man
sich kein sicheres Bild über den Schuldenstand Deutschlands machen kann.

In der für die Verhandlungen von Spa ausgearbeiteten Denkschrift über
"Deutschlands wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" wird der Schuldenstand des
Reiches für den Stichtag 31. März 1920 mit 92 Milliarden fundierter und
1V5 Milliarden schwebender Schulden, darunter 13,5 Milliarden Verpflichtungen
und Zahlungsversprechen, zusammen also mit 197 Milliarden angegeben. In
einer etwa vor drei Monaten vom Reichsfinanzminister gegebenen Darstellung wurde
die Höhe der schwebenden Schulden auf 124 Milliarden beziffert und am 27. Oktober
^fahren wir, daß die schwebende Schuld 171,8 Milliarden beträgt, daß dazu
aber noch die Eisenbahnschuld in der Höhe von 25 Milliarden tritt, und daß bis
ö^in Jahresende mit einer weiteren Zunahme der Schuld um 40 Milliarden zu
Nehmen ist, so daß die schwebende Schuld am Ende des Jahres ca. 240 Milliarden


Wege des Wiederaufbaus

Wege des Wiederaufbaus
Friedrich Edlen von Braun, von Präsidenten des Reichswirtschaftsrates, in. d. R.

is ich im Frühjahr 1918 vorübergehend im Westen an der Front
war, hat es mir einen besonders tiefen Eindruck gemacht, wie ich
in einem französischen Dorfe, das in wenigen Tagen beim Rückzug
auf die Siegfriedstellung zerstört werden sollte, einen alten Mann
eifrig in seinem Obstgarten arbeiten sah, als ob tiefster Frieden
sei, und er im Herbste die Früchte seines Fleißes ernten könnte.

Diesem ahnungslosen Greise gleicht das deutsche Volk in seiner gegen¬
wärtigen Verfassung. In stumpfer Ergebenheit geht es seinen täglichen Geschäften
nach, freilich nicht mit der Arbeitsfreude und dem Pflichtbewußtsein wie vor dem
Kriege, und scheint gar nicht zu fühlen, daß das nur eine zwecklose Zeitausfüllung bis
zum Hereinbrechen des Verhängnisses ist, das uns droht. Und nicht nur das
Volk handelt so, sondern auch seine Vertreter im Reichstag und in der Negierung,
die sich doch über die Lage im klaren sein müßten.

Wollen wir aber wieder aufbauen, was ein neidisches Geschick uns zer¬
störte und aus den harten Schlägen des Unglückes die Wurzeln unserer Kraft
zu neuer Blüte stärken, so müssen alle Kreise des Volkes aus dieser bleiernen
Stumpfheit aufgerüttelt werden. Erst wenn man sich die Lage mit unerbittlicher
Offenheit klarzumachen sucht und den drohenden Gefahren mutig ins Auge
blickt, ist die erste Voraussetzung zur Stählung von Willen und Kraft, zur Be¬
wältigung aller Widerstände und Schwierigkeiten gegeben.

Nicht um zu entmutigen also, sondern um aufzurichten in dem trotzigen
Mut, auch das Schwerste zu überwinden, will ich ein Bild unserer wirtschaft¬
lichen Lage entrollen, das fast nur aus tiefen Schlagschatten besteht, will ich
alles zusammentragen, was der verlorene Krieg, die Revolution und der Friede
bon Versailles über das deutsche Volk gebracht haben.

Der Reichsfinanzminister Wirth hat vor einigen Wochen wieder einmal eine
Darstellung der finanziellen Lage des Reiches gegeben.

Die Zahlen, die er bringt, sind so erschütternd, daß fast jede Hoffnung
schwindet, noch einen Ausweg aus diesem Zusammenbruch zu finden. Sie sind
aber, was noch schlimmer ist, immer noch unklar und unverständlich, so daß man
sich kein sicheres Bild über den Schuldenstand Deutschlands machen kann.

In der für die Verhandlungen von Spa ausgearbeiteten Denkschrift über
„Deutschlands wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" wird der Schuldenstand des
Reiches für den Stichtag 31. März 1920 mit 92 Milliarden fundierter und
1V5 Milliarden schwebender Schulden, darunter 13,5 Milliarden Verpflichtungen
und Zahlungsversprechen, zusammen also mit 197 Milliarden angegeben. In
einer etwa vor drei Monaten vom Reichsfinanzminister gegebenen Darstellung wurde
die Höhe der schwebenden Schulden auf 124 Milliarden beziffert und am 27. Oktober
^fahren wir, daß die schwebende Schuld 171,8 Milliarden beträgt, daß dazu
aber noch die Eisenbahnschuld in der Höhe von 25 Milliarden tritt, und daß bis
ö^in Jahresende mit einer weiteren Zunahme der Schuld um 40 Milliarden zu
Nehmen ist, so daß die schwebende Schuld am Ende des Jahres ca. 240 Milliarden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338180"/>
          <fw type="header" place="top"> Wege des Wiederaufbaus</fw><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Wege des Wiederaufbaus<lb/><note type="byline"> Friedrich Edlen von Braun,</note> von Präsidenten des Reichswirtschaftsrates, in. d. R.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_571"> is ich im Frühjahr 1918 vorübergehend im Westen an der Front<lb/>
war, hat es mir einen besonders tiefen Eindruck gemacht, wie ich<lb/>
in einem französischen Dorfe, das in wenigen Tagen beim Rückzug<lb/>
auf die Siegfriedstellung zerstört werden sollte, einen alten Mann<lb/>
eifrig in seinem Obstgarten arbeiten sah, als ob tiefster Frieden<lb/>
sei, und er im Herbste die Früchte seines Fleißes ernten könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_572"> Diesem ahnungslosen Greise gleicht das deutsche Volk in seiner gegen¬<lb/>
wärtigen Verfassung. In stumpfer Ergebenheit geht es seinen täglichen Geschäften<lb/>
nach, freilich nicht mit der Arbeitsfreude und dem Pflichtbewußtsein wie vor dem<lb/>
Kriege, und scheint gar nicht zu fühlen, daß das nur eine zwecklose Zeitausfüllung bis<lb/>
zum Hereinbrechen des Verhängnisses ist, das uns droht. Und nicht nur das<lb/>
Volk handelt so, sondern auch seine Vertreter im Reichstag und in der Negierung,<lb/>
die sich doch über die Lage im klaren sein müßten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_573"> Wollen wir aber wieder aufbauen, was ein neidisches Geschick uns zer¬<lb/>
störte und aus den harten Schlägen des Unglückes die Wurzeln unserer Kraft<lb/>
zu neuer Blüte stärken, so müssen alle Kreise des Volkes aus dieser bleiernen<lb/>
Stumpfheit aufgerüttelt werden. Erst wenn man sich die Lage mit unerbittlicher<lb/>
Offenheit klarzumachen sucht und den drohenden Gefahren mutig ins Auge<lb/>
blickt, ist die erste Voraussetzung zur Stählung von Willen und Kraft, zur Be¬<lb/>
wältigung aller Widerstände und Schwierigkeiten gegeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_574"> Nicht um zu entmutigen also, sondern um aufzurichten in dem trotzigen<lb/>
Mut, auch das Schwerste zu überwinden, will ich ein Bild unserer wirtschaft¬<lb/>
lichen Lage entrollen, das fast nur aus tiefen Schlagschatten besteht, will ich<lb/>
alles zusammentragen, was der verlorene Krieg, die Revolution und der Friede<lb/>
bon Versailles über das deutsche Volk gebracht haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_575"> Der Reichsfinanzminister Wirth hat vor einigen Wochen wieder einmal eine<lb/>
Darstellung der finanziellen Lage des Reiches gegeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_576"> Die Zahlen, die er bringt, sind so erschütternd, daß fast jede Hoffnung<lb/>
schwindet, noch einen Ausweg aus diesem Zusammenbruch zu finden. Sie sind<lb/>
aber, was noch schlimmer ist, immer noch unklar und unverständlich, so daß man<lb/>
sich kein sicheres Bild über den Schuldenstand Deutschlands machen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_577" next="#ID_578"> In der für die Verhandlungen von Spa ausgearbeiteten Denkschrift über<lb/>
&#x201E;Deutschlands wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" wird der Schuldenstand des<lb/>
Reiches für den Stichtag 31. März 1920 mit 92 Milliarden fundierter und<lb/>
1V5 Milliarden schwebender Schulden, darunter 13,5 Milliarden Verpflichtungen<lb/>
und Zahlungsversprechen, zusammen also mit 197 Milliarden angegeben. In<lb/>
einer etwa vor drei Monaten vom Reichsfinanzminister gegebenen Darstellung wurde<lb/>
die Höhe der schwebenden Schulden auf 124 Milliarden beziffert und am 27. Oktober<lb/>
^fahren wir, daß die schwebende Schuld 171,8 Milliarden beträgt, daß dazu<lb/>
aber noch die Eisenbahnschuld in der Höhe von 25 Milliarden tritt, und daß bis<lb/>
ö^in Jahresende mit einer weiteren Zunahme der Schuld um 40 Milliarden zu<lb/>
Nehmen ist, so daß die schwebende Schuld am Ende des Jahres ca. 240 Milliarden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0157] Wege des Wiederaufbaus Wege des Wiederaufbaus Friedrich Edlen von Braun, von Präsidenten des Reichswirtschaftsrates, in. d. R. is ich im Frühjahr 1918 vorübergehend im Westen an der Front war, hat es mir einen besonders tiefen Eindruck gemacht, wie ich in einem französischen Dorfe, das in wenigen Tagen beim Rückzug auf die Siegfriedstellung zerstört werden sollte, einen alten Mann eifrig in seinem Obstgarten arbeiten sah, als ob tiefster Frieden sei, und er im Herbste die Früchte seines Fleißes ernten könnte. Diesem ahnungslosen Greise gleicht das deutsche Volk in seiner gegen¬ wärtigen Verfassung. In stumpfer Ergebenheit geht es seinen täglichen Geschäften nach, freilich nicht mit der Arbeitsfreude und dem Pflichtbewußtsein wie vor dem Kriege, und scheint gar nicht zu fühlen, daß das nur eine zwecklose Zeitausfüllung bis zum Hereinbrechen des Verhängnisses ist, das uns droht. Und nicht nur das Volk handelt so, sondern auch seine Vertreter im Reichstag und in der Negierung, die sich doch über die Lage im klaren sein müßten. Wollen wir aber wieder aufbauen, was ein neidisches Geschick uns zer¬ störte und aus den harten Schlägen des Unglückes die Wurzeln unserer Kraft zu neuer Blüte stärken, so müssen alle Kreise des Volkes aus dieser bleiernen Stumpfheit aufgerüttelt werden. Erst wenn man sich die Lage mit unerbittlicher Offenheit klarzumachen sucht und den drohenden Gefahren mutig ins Auge blickt, ist die erste Voraussetzung zur Stählung von Willen und Kraft, zur Be¬ wältigung aller Widerstände und Schwierigkeiten gegeben. Nicht um zu entmutigen also, sondern um aufzurichten in dem trotzigen Mut, auch das Schwerste zu überwinden, will ich ein Bild unserer wirtschaft¬ lichen Lage entrollen, das fast nur aus tiefen Schlagschatten besteht, will ich alles zusammentragen, was der verlorene Krieg, die Revolution und der Friede bon Versailles über das deutsche Volk gebracht haben. Der Reichsfinanzminister Wirth hat vor einigen Wochen wieder einmal eine Darstellung der finanziellen Lage des Reiches gegeben. Die Zahlen, die er bringt, sind so erschütternd, daß fast jede Hoffnung schwindet, noch einen Ausweg aus diesem Zusammenbruch zu finden. Sie sind aber, was noch schlimmer ist, immer noch unklar und unverständlich, so daß man sich kein sicheres Bild über den Schuldenstand Deutschlands machen kann. In der für die Verhandlungen von Spa ausgearbeiteten Denkschrift über „Deutschlands wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" wird der Schuldenstand des Reiches für den Stichtag 31. März 1920 mit 92 Milliarden fundierter und 1V5 Milliarden schwebender Schulden, darunter 13,5 Milliarden Verpflichtungen und Zahlungsversprechen, zusammen also mit 197 Milliarden angegeben. In einer etwa vor drei Monaten vom Reichsfinanzminister gegebenen Darstellung wurde die Höhe der schwebenden Schulden auf 124 Milliarden beziffert und am 27. Oktober ^fahren wir, daß die schwebende Schuld 171,8 Milliarden beträgt, daß dazu aber noch die Eisenbahnschuld in der Höhe von 25 Milliarden tritt, und daß bis ö^in Jahresende mit einer weiteren Zunahme der Schuld um 40 Milliarden zu Nehmen ist, so daß die schwebende Schuld am Ende des Jahres ca. 240 Milliarden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/157
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/157>, abgerufen am 22.07.2024.