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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Die englisch-deutschen Bündnisverhandlungen von ^8yy--^9"^ usw.

Jgy

Während sie "Schriftsteller" meinten. Dieser Schriftsteller hatte die Jungens von
früh auf für nichts als die Revanche erzogen. "Wir sprechen deutsch, damit wir
es einmal im nächsten Krieg können", erklärte Gaston uns staunenden deutschen
Kindern, denen hier zum erstenmal im Leben Politik greifbar entgegentrat, denn
wir hatten beim Lesen der Geschichtsbücher oder beim Auffangen von Zeit¬
ereignissen nur das Malerische und menschlich Bewegte aufgenommen, und beim
Sprachenlernen wäre uns jede andere zukünftige Verwendung zu Arbeit oder
Genuß eher eingefallen, als die für einen Krieg. "Unser Großvater, der aus
dem Elsaß stammt, spricht mit uns nur deutsche wir werden beide Offiziere, und
den nächsten Krieg werden wir gewinnen, denn das letztemal haben wir verloren,
und es gibt ein französisches Sprichwort, das sagt ungefähr: heute mir, morgen
dir." Einer von uns wußte zu erwidern, daß doch 1813, 1815 und 1870 die
Würfel jedesmal gleich gefallen wären, aber darauf schwiegen die beiden glühenden
Patrioten weniger verlegen als zielbewußt. Heute ist der eine als Offizier in
Mainz tätig, während der andere in der Schlacht bei Mühlhausen gefallen ist.
Elsässisches Blut, durch französischen Nationalstolz destilliert.

Jeder unter uns sehe nach dem Seinen und gedenke der Vergangenheit und
Zukunft mit seinen Kindern. Keine Lage ist unter geschichtlichen Maßstäben
hoffnungslos, aber damit sich Wege zeigen, muß erst ein Wille da sein, und nur
ein einiger Nationalwille, nichts von außen Kommendes, legt das Fundament zu
besseren Zeiten.




Die englisch-deutschen Vündnisverhandlungen von
5 898 90 ^ im weltpolitischen Zusammenhang
Dr. Felix Zalomon, Professor an der Universität Leipzig. von

"Man soll die Dinge weder bespötteln noch beweinen,
Spinoza. sondern zu verstehen suchen."

s ist zum Gemeinplatz geworden, die deutsche Diplomatie nach
Bismarcks Sturz habe versagt. Da ist es merkwürdig, daß es heute so
viele gute Diplomaten gibt, denn solche scheinen es doch zu sein,
die alle wissen, wie man es hätte besser machen sollen. Indessen der
Schein trügt; das Vesserwissen beruht auf Schlüssen aus dem
Späteren; die furchtbaren Erfahrungen des Weltkrieges wurden zu Lehrmeistern,
die den für Deutschlands Wohl verantwortlichen Staatsmännern noch nicht zur
Verfügung stehen konnten. Dem mag entgegengehalten werden: Den großen
Staatsmann kennzeichne doch eben die Fähigkeit, die Zukunft zu deuten, aber selbst
Bismarck hat einmal gesagt, es ließe sich nichts über höchstens drei Jahre voraus¬
sagen, und keinesfalls darf der Historiker diesen Maßstab für sein Urteil anwenden.
Er hat das Geschehen aus der Vergangenheit heraus zu begreifen und die Verant¬
wortung des Handelnden allein aus den Zeitumständen abzuleiten, unter denen er
lebte und wirkte. Die historische Arbeit darf jetzt beginnen, wo die Waffen nieder-M


Die englisch-deutschen Bündnisverhandlungen von ^8yy—^9»^ usw.

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Während sie „Schriftsteller" meinten. Dieser Schriftsteller hatte die Jungens von
früh auf für nichts als die Revanche erzogen. „Wir sprechen deutsch, damit wir
es einmal im nächsten Krieg können", erklärte Gaston uns staunenden deutschen
Kindern, denen hier zum erstenmal im Leben Politik greifbar entgegentrat, denn
wir hatten beim Lesen der Geschichtsbücher oder beim Auffangen von Zeit¬
ereignissen nur das Malerische und menschlich Bewegte aufgenommen, und beim
Sprachenlernen wäre uns jede andere zukünftige Verwendung zu Arbeit oder
Genuß eher eingefallen, als die für einen Krieg. „Unser Großvater, der aus
dem Elsaß stammt, spricht mit uns nur deutsche wir werden beide Offiziere, und
den nächsten Krieg werden wir gewinnen, denn das letztemal haben wir verloren,
und es gibt ein französisches Sprichwort, das sagt ungefähr: heute mir, morgen
dir." Einer von uns wußte zu erwidern, daß doch 1813, 1815 und 1870 die
Würfel jedesmal gleich gefallen wären, aber darauf schwiegen die beiden glühenden
Patrioten weniger verlegen als zielbewußt. Heute ist der eine als Offizier in
Mainz tätig, während der andere in der Schlacht bei Mühlhausen gefallen ist.
Elsässisches Blut, durch französischen Nationalstolz destilliert.

Jeder unter uns sehe nach dem Seinen und gedenke der Vergangenheit und
Zukunft mit seinen Kindern. Keine Lage ist unter geschichtlichen Maßstäben
hoffnungslos, aber damit sich Wege zeigen, muß erst ein Wille da sein, und nur
ein einiger Nationalwille, nichts von außen Kommendes, legt das Fundament zu
besseren Zeiten.




Die englisch-deutschen Vündnisverhandlungen von
5 898 90 ^ im weltpolitischen Zusammenhang
Dr. Felix Zalomon, Professor an der Universität Leipzig. von

„Man soll die Dinge weder bespötteln noch beweinen,
Spinoza. sondern zu verstehen suchen."

s ist zum Gemeinplatz geworden, die deutsche Diplomatie nach
Bismarcks Sturz habe versagt. Da ist es merkwürdig, daß es heute so
viele gute Diplomaten gibt, denn solche scheinen es doch zu sein,
die alle wissen, wie man es hätte besser machen sollen. Indessen der
Schein trügt; das Vesserwissen beruht auf Schlüssen aus dem
Späteren; die furchtbaren Erfahrungen des Weltkrieges wurden zu Lehrmeistern,
die den für Deutschlands Wohl verantwortlichen Staatsmännern noch nicht zur
Verfügung stehen konnten. Dem mag entgegengehalten werden: Den großen
Staatsmann kennzeichne doch eben die Fähigkeit, die Zukunft zu deuten, aber selbst
Bismarck hat einmal gesagt, es ließe sich nichts über höchstens drei Jahre voraus¬
sagen, und keinesfalls darf der Historiker diesen Maßstab für sein Urteil anwenden.
Er hat das Geschehen aus der Vergangenheit heraus zu begreifen und die Verant¬
wortung des Handelnden allein aus den Zeitumständen abzuleiten, unter denen er
lebte und wirkte. Die historische Arbeit darf jetzt beginnen, wo die Waffen nieder-M


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/212>, abgerufen am 22.07.2024.