Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.Zur "Raumer der Arbeit" Zur "Aammer der Arbeit" Dr. A. Ringleb von den deutschen Grenzen steht, wirtschaftlich und militaristisch Die Neuzeit hatte die Gesellschaft in stetem Fortschritt in den Vordergrund Sie dürfte das bei ihren Verantwortlicher und Gebildeten um so weniger, Unsere Zeit hatte die Bedeutung der wirtschaftlichen Zustände, angesichts Wirtschaftliche Erziehung und Aufklärung tut not I Staat ist nicht ohne Wirtschaft. Löst sich das Staatsgefüge, so erlahmt Zur „Raumer der Arbeit" Zur „Aammer der Arbeit" Dr. A. Ringleb von den deutschen Grenzen steht, wirtschaftlich und militaristisch Die Neuzeit hatte die Gesellschaft in stetem Fortschritt in den Vordergrund Sie dürfte das bei ihren Verantwortlicher und Gebildeten um so weniger, Unsere Zeit hatte die Bedeutung der wirtschaftlichen Zustände, angesichts Wirtschaftliche Erziehung und Aufklärung tut not I Staat ist nicht ohne Wirtschaft. Löst sich das Staatsgefüge, so erlahmt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337294"/> <fw type="header" place="top"> Zur „Raumer der Arbeit"</fw><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Zur „Aammer der Arbeit"<lb/><note type="byline"> Dr. A. Ringleb</note> von</head><lb/> <p xml:id="ID_205"> den deutschen Grenzen steht, wirtschaftlich und militaristisch<lb/> kämpfend, der russische Bolschewismus. Die Baltischen Staaten<lb/> verbrüdern sich den Sowjets, Litauen verkommt im Schieberelend<lb/> und hat längst aufgehört, ein „Pufferstaat gegen die Bolsche-<lb/> ^! wisierung Europas" zu sein. Innerhalb des Reiches Marken, in<lb/> seinem innersten Mark aber schwelt die verzehrende, den Staatsbäu unterhöhlende<lb/> Glut eines unterirdischen Feuers: Selbstvernichtender Sozialismus, der vergaß,<lb/> daß seine erste Aufgabe und sein Grundprinzip ist: Hinaussireben aus der Partei¬<lb/> oder klassenegoistischen Vereinzelung. Man beschuldige nicht die Arbeitermassen,<lb/> die der Sozialismus als erste angeht. Nicht ihre Schuld.ist diese Unterlassung.<lb/> Die deutschen Gebildeten, die satten nachdenklichen und die Denker im Mangel<lb/> haben sich — im Banne des zeitgenössischen russischen Schrifttums —<lb/> einem Jdealanarchismus ergeben, der sie vergessen ließ, daß des Mannes Auf¬<lb/> gabe Gesellschafts- und Staaienbildung ist, Führerauslese zum Dienste am Ganzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_206"> Die Neuzeit hatte die Gesellschaft in stetem Fortschritt in den Vordergrund<lb/> gestellt; trug vor ihr nur eine verschwindende Minderheit die Kultur, um sie<lb/> gleichzeitig in vollem Sinne zu besitzen, so durfte das Jahrhundert der tausend¬<lb/> fältig nach Raum und Zeit gesteigerten Beziehungen zwischen den Völkern, die<lb/> eine stolz ins überirdische greifende Technik gewähren und leisten konnte, keinen<lb/> Rückfall in einen selbstbetrachtenden, selbstgefälligen, abbauenden Individualismus<lb/> dulden.</p><lb/> <p xml:id="ID_207"> Sie dürfte das bei ihren Verantwortlicher und Gebildeten um so weniger,<lb/> als den Massen das Schicksal, nur Objekt wohlwollender Fürsorge einzelner zu<lb/> sein, genommen schien. Sie durfte es nicht, weil sie jene Massen zu selbständiger<lb/> Mitwirkung, zur Entscheidung über Gehalt und Richtung des Lebens berufen hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_208"> Unsere Zeit hatte die Bedeutung der wirtschaftlichen Zustände, angesichts<lb/> des Entwicklungsgedankens und der Milieutheorie, als fast den wichtigsten Faktor<lb/> der neuen Rechnung von Hegel und Marx ihren Menschen vorgesetzt. Als es<lb/> galt, den stolzen Bau stolzester Gedanken zu erproben, als ein Krieg und tausend<lb/> andere Gewalten zerstörend, vernichtend und zersetzend gewirkt hatten und nur<lb/> 'mehr die Grundmauern standen, glaubten jene Dekadenten mit dem billigen<lb/> ^orde vom Pazifismus genug zu tun und gründeten „neue Vaterländer", er¬<lb/> dachten Freiheit und dekretierten Gleichheit. Wo ist doch wohl ein Hausbau<lb/> begonnen worden am Giebel? Die sozialökonomische Gliederung von Gesellschaft<lb/> und Wirtschaft droht der Auflösung anheimzufallen. Von dort ans ersteht und<lb/> ^alt sich riesengroß die Gefahr einer zweiten, der blutigen Umwälzung eines<lb/> Staates, der kaum mehr als solcher erkennbar ist, weil ein Teil seiner produk-<lb/> x?" Kaste seine normalen Arbeitsbahnen verließ — die Blutbahnen des Wirt-<lb/> ichaftskörpers — und die absterbenden Teile ärgstem und schamlosesten Parasiten-<lb/> »um ausgeliefert hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_209"> Wirtschaftliche Erziehung und Aufklärung tut not I</p><lb/> <p xml:id="ID_210" next="#ID_211"> Staat ist nicht ohne Wirtschaft. Löst sich das Staatsgefüge, so erlahmt<lb/> und erliegt seine Wirtschaft und es sterben ab die produktiven Kräfte. Fehlen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0057]
Zur „Raumer der Arbeit"
Zur „Aammer der Arbeit"
Dr. A. Ringleb von
den deutschen Grenzen steht, wirtschaftlich und militaristisch
kämpfend, der russische Bolschewismus. Die Baltischen Staaten
verbrüdern sich den Sowjets, Litauen verkommt im Schieberelend
und hat längst aufgehört, ein „Pufferstaat gegen die Bolsche-
^! wisierung Europas" zu sein. Innerhalb des Reiches Marken, in
seinem innersten Mark aber schwelt die verzehrende, den Staatsbäu unterhöhlende
Glut eines unterirdischen Feuers: Selbstvernichtender Sozialismus, der vergaß,
daß seine erste Aufgabe und sein Grundprinzip ist: Hinaussireben aus der Partei¬
oder klassenegoistischen Vereinzelung. Man beschuldige nicht die Arbeitermassen,
die der Sozialismus als erste angeht. Nicht ihre Schuld.ist diese Unterlassung.
Die deutschen Gebildeten, die satten nachdenklichen und die Denker im Mangel
haben sich — im Banne des zeitgenössischen russischen Schrifttums —
einem Jdealanarchismus ergeben, der sie vergessen ließ, daß des Mannes Auf¬
gabe Gesellschafts- und Staaienbildung ist, Führerauslese zum Dienste am Ganzen.
Die Neuzeit hatte die Gesellschaft in stetem Fortschritt in den Vordergrund
gestellt; trug vor ihr nur eine verschwindende Minderheit die Kultur, um sie
gleichzeitig in vollem Sinne zu besitzen, so durfte das Jahrhundert der tausend¬
fältig nach Raum und Zeit gesteigerten Beziehungen zwischen den Völkern, die
eine stolz ins überirdische greifende Technik gewähren und leisten konnte, keinen
Rückfall in einen selbstbetrachtenden, selbstgefälligen, abbauenden Individualismus
dulden.
Sie dürfte das bei ihren Verantwortlicher und Gebildeten um so weniger,
als den Massen das Schicksal, nur Objekt wohlwollender Fürsorge einzelner zu
sein, genommen schien. Sie durfte es nicht, weil sie jene Massen zu selbständiger
Mitwirkung, zur Entscheidung über Gehalt und Richtung des Lebens berufen hatte.
Unsere Zeit hatte die Bedeutung der wirtschaftlichen Zustände, angesichts
des Entwicklungsgedankens und der Milieutheorie, als fast den wichtigsten Faktor
der neuen Rechnung von Hegel und Marx ihren Menschen vorgesetzt. Als es
galt, den stolzen Bau stolzester Gedanken zu erproben, als ein Krieg und tausend
andere Gewalten zerstörend, vernichtend und zersetzend gewirkt hatten und nur
'mehr die Grundmauern standen, glaubten jene Dekadenten mit dem billigen
^orde vom Pazifismus genug zu tun und gründeten „neue Vaterländer", er¬
dachten Freiheit und dekretierten Gleichheit. Wo ist doch wohl ein Hausbau
begonnen worden am Giebel? Die sozialökonomische Gliederung von Gesellschaft
und Wirtschaft droht der Auflösung anheimzufallen. Von dort ans ersteht und
^alt sich riesengroß die Gefahr einer zweiten, der blutigen Umwälzung eines
Staates, der kaum mehr als solcher erkennbar ist, weil ein Teil seiner produk-
x?" Kaste seine normalen Arbeitsbahnen verließ — die Blutbahnen des Wirt-
ichaftskörpers — und die absterbenden Teile ärgstem und schamlosesten Parasiten-
»um ausgeliefert hat.
Wirtschaftliche Erziehung und Aufklärung tut not I
Staat ist nicht ohne Wirtschaft. Löst sich das Staatsgefüge, so erlahmt
und erliegt seine Wirtschaft und es sterben ab die produktiven Kräfte. Fehlen
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