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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Zwischen den Preisen, die in der früheren
Provinz Posen und Kongrcßpolcn bzw. Galizien
bestehen, sind große Differenzen vorhanden.
In der ersteren Provinz zahlt man z. B. für
ein Brot von etwa 5 deutschen Pfund seit der
Erhöhung vom 1. Mai 4 >//<!. Eine Meile
weiter entfernt, also jenseits der früheren
deutschen Grenze, zahlt man für 400 g in
erheblich schlechterer Qualität 10 ^ bis Is ^
und auch noch darüber. Kommt man weiter
hinein nach Kongreßpolen, dann sind die Preise
noch viel höher. In demselben Verhältnis
bewegen sich auch die Preise für alle anderen
Lebensbedürfnisse, so daß man in der Provinz
Posen überzeugt ist, daß in dem Moment, wo
die geplante Aufhebung der alten Grenze zur
Tatsache wird, die Preise in der Provinz
Posen so in die Höhe schnellen, daß dieselben
kaum erschwinglich sein dürften, obgleich gerade
die Provinz Posen, soweit Nahrungsmittel:
Kartoffeln, Roggen usw. in Frage kommen,
ebenso wie früher die Kornkammer von Deutsch¬
land, jetzt die Basis von ganz Polen zu sein
scheint. Die Einwohner von Posen sind also
in der denkbar größten Aufregung über die
bevorstehenden Maßnahmen. Man hört sehr
oft, namentlich in der Bevölkerung des Mittel¬
stands der eingeborenen Polen, die Tatsache
erwähnt, daß man es eigentlich unter deutscher
Herrschaft nach jeder Richtung hin viel besser
gehabt hätte. Überall war Ordnung, Handel
und Wandel war im Verkehr, die Beamten
waren gut eingearbeitet und unbedingt zuver¬
lässig, Einnahmen und Ausgaben bewegten
sich immer in durchaus auskömmlichen Nahmen.
Man hat da den Eindruck, als ob die früheren
deutschen Provinzen, soweit das Gros der
polnischen Bevölkerung in Frage kommt, eine
Anlehnung an Deutschland sehr gern sehen
würden, da man sich allgemein nach Ruhe,
Frieden und geordneten Verhältnissen sehnt.

Auch die höheren Klassen scheinen mit der
wirtschaftlichen Entwicklung, welche das neue
Polen unter seiner eigenen Verwaltung ge¬
nommen hat, in keiner Weise zufrieden zu
sein So hat sich neulich nach deutschem
Muster ein Bund der polnischen Landwirte
gebildet. In der Versammlung, die vor etwa
zehn Tagen stattfand, wurde der Beschluß ge¬
faßt, die Regierung zu ersuchen, schleunigst
mit Deutschland in Verbindung zu treten

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behufs Lieferung von Maschinenteilen und
anderen für die Landwirtschaft unbedingt not¬
wendigen Produkten. Geschähe dies nicht, so
würde die Landwirtschaft auch ihrerseits sich
gezwungen sehen, mit der Ablieferung von
Getreide zu streiken, da der ganze landwirt¬
schaftliche Betrieb unter dem Mangel an not¬
wendigen Produkten und Ersatzteilen so leide,
daß die Weiterführung kaum möglich erscheine.
Die Verwaltung der früheren Provinz Posen
gibt sich auch alle erdenkliche Mühe, ihre
bevorzugte Stellung gegenüber den anderen
Provinzen aufrechtzuerhalten. Man ist sich
jetzt darüber klar, welche kolossalen Leistungen
Deutschland für die ehemals so vernachlässigte
Provinz Posen vollbracht hat. Man sieht,
welche Mengen an Kultur- und Verkehrsmitteln
Posen besitzt, und bemerkt beim Vergleich mit
Kongreßpolen und Galizien, daß man wieder
auf einen ganz erheblich tieferen Stand herab-
gedrückt wird, wenn man dem Verlangen
dieser Provinzen, ganz in ihnen aufzugehen,
nachgäbe.

Das Valutaclend drückt außerdem die
Stimmung noch kolossal herunter. Die Ein¬
wohnerschaft ist sich ja darüber klar, daß die
dort herrschende reine Papicrwirtschaft nicht
zum wenigste": zur Verelendung des Landes
beiträgt. Wer ein Vermögen von einer Million
besitzt, erhält dafür in Deutschland nur zwei¬
mal hunderttausend Mark. Da diese zweimal
hunderttausend deutsche Mark im Ausland
nur einen Wert von etwa SS 000 Goldmark
besitzen, kann man sich denke", wie deprimierend
das Resultat der ganzen Arbeit und der ver¬
meintlichen großen Verdienste für die Polen ist.

G-
Die Notlage der Saarindnstrie.

Der
Förderungsausfall der nordfranzösischen Gruben
zwingt Frankreich in den nächsten Jahren, das
Lebenselement seiner Industrie, die Kohle,
außerhalb seiner Grenzen zu suchen. Die
Saargrubcn, die mit dem Minettegebict Elsaß-
Lothringens eine industrielle Einheit bilden,
sind die nächstliegenden Kohlengruben. Der
Friedensvertrag läßt sie für die Zeit von
15 Jahren in den Besitz Frankreichs über¬
gehen, aber Frankreich, das einesteils in
Elsaß-Lothringen auf die Saarkohle angewiesen
ist und andererseits Deutschland seinen

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Zwischen den Preisen, die in der früheren
Provinz Posen und Kongrcßpolcn bzw. Galizien
bestehen, sind große Differenzen vorhanden.
In der ersteren Provinz zahlt man z. B. für
ein Brot von etwa 5 deutschen Pfund seit der
Erhöhung vom 1. Mai 4 >//<!. Eine Meile
weiter entfernt, also jenseits der früheren
deutschen Grenze, zahlt man für 400 g in
erheblich schlechterer Qualität 10 ^ bis Is ^
und auch noch darüber. Kommt man weiter
hinein nach Kongreßpolen, dann sind die Preise
noch viel höher. In demselben Verhältnis
bewegen sich auch die Preise für alle anderen
Lebensbedürfnisse, so daß man in der Provinz
Posen überzeugt ist, daß in dem Moment, wo
die geplante Aufhebung der alten Grenze zur
Tatsache wird, die Preise in der Provinz
Posen so in die Höhe schnellen, daß dieselben
kaum erschwinglich sein dürften, obgleich gerade
die Provinz Posen, soweit Nahrungsmittel:
Kartoffeln, Roggen usw. in Frage kommen,
ebenso wie früher die Kornkammer von Deutsch¬
land, jetzt die Basis von ganz Polen zu sein
scheint. Die Einwohner von Posen sind also
in der denkbar größten Aufregung über die
bevorstehenden Maßnahmen. Man hört sehr
oft, namentlich in der Bevölkerung des Mittel¬
stands der eingeborenen Polen, die Tatsache
erwähnt, daß man es eigentlich unter deutscher
Herrschaft nach jeder Richtung hin viel besser
gehabt hätte. Überall war Ordnung, Handel
und Wandel war im Verkehr, die Beamten
waren gut eingearbeitet und unbedingt zuver¬
lässig, Einnahmen und Ausgaben bewegten
sich immer in durchaus auskömmlichen Nahmen.
Man hat da den Eindruck, als ob die früheren
deutschen Provinzen, soweit das Gros der
polnischen Bevölkerung in Frage kommt, eine
Anlehnung an Deutschland sehr gern sehen
würden, da man sich allgemein nach Ruhe,
Frieden und geordneten Verhältnissen sehnt.

Auch die höheren Klassen scheinen mit der
wirtschaftlichen Entwicklung, welche das neue
Polen unter seiner eigenen Verwaltung ge¬
nommen hat, in keiner Weise zufrieden zu
sein So hat sich neulich nach deutschem
Muster ein Bund der polnischen Landwirte
gebildet. In der Versammlung, die vor etwa
zehn Tagen stattfand, wurde der Beschluß ge¬
faßt, die Regierung zu ersuchen, schleunigst
mit Deutschland in Verbindung zu treten

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behufs Lieferung von Maschinenteilen und
anderen für die Landwirtschaft unbedingt not¬
wendigen Produkten. Geschähe dies nicht, so
würde die Landwirtschaft auch ihrerseits sich
gezwungen sehen, mit der Ablieferung von
Getreide zu streiken, da der ganze landwirt¬
schaftliche Betrieb unter dem Mangel an not¬
wendigen Produkten und Ersatzteilen so leide,
daß die Weiterführung kaum möglich erscheine.
Die Verwaltung der früheren Provinz Posen
gibt sich auch alle erdenkliche Mühe, ihre
bevorzugte Stellung gegenüber den anderen
Provinzen aufrechtzuerhalten. Man ist sich
jetzt darüber klar, welche kolossalen Leistungen
Deutschland für die ehemals so vernachlässigte
Provinz Posen vollbracht hat. Man sieht,
welche Mengen an Kultur- und Verkehrsmitteln
Posen besitzt, und bemerkt beim Vergleich mit
Kongreßpolen und Galizien, daß man wieder
auf einen ganz erheblich tieferen Stand herab-
gedrückt wird, wenn man dem Verlangen
dieser Provinzen, ganz in ihnen aufzugehen,
nachgäbe.

Das Valutaclend drückt außerdem die
Stimmung noch kolossal herunter. Die Ein¬
wohnerschaft ist sich ja darüber klar, daß die
dort herrschende reine Papicrwirtschaft nicht
zum wenigste«: zur Verelendung des Landes
beiträgt. Wer ein Vermögen von einer Million
besitzt, erhält dafür in Deutschland nur zwei¬
mal hunderttausend Mark. Da diese zweimal
hunderttausend deutsche Mark im Ausland
nur einen Wert von etwa SS 000 Goldmark
besitzen, kann man sich denke», wie deprimierend
das Resultat der ganzen Arbeit und der ver¬
meintlichen großen Verdienste für die Polen ist.

G-
Die Notlage der Saarindnstrie.

Der
Förderungsausfall der nordfranzösischen Gruben
zwingt Frankreich in den nächsten Jahren, das
Lebenselement seiner Industrie, die Kohle,
außerhalb seiner Grenzen zu suchen. Die
Saargrubcn, die mit dem Minettegebict Elsaß-
Lothringens eine industrielle Einheit bilden,
sind die nächstliegenden Kohlengruben. Der
Friedensvertrag läßt sie für die Zeit von
15 Jahren in den Besitz Frankreichs über¬
gehen, aber Frankreich, das einesteils in
Elsaß-Lothringen auf die Saarkohle angewiesen
ist und andererseits Deutschland seinen

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[0360] Drinnen und draußen Zwischen den Preisen, die in der früheren Provinz Posen und Kongrcßpolcn bzw. Galizien bestehen, sind große Differenzen vorhanden. In der ersteren Provinz zahlt man z. B. für ein Brot von etwa 5 deutschen Pfund seit der Erhöhung vom 1. Mai 4 >//<!. Eine Meile weiter entfernt, also jenseits der früheren deutschen Grenze, zahlt man für 400 g in erheblich schlechterer Qualität 10 ^ bis Is ^ und auch noch darüber. Kommt man weiter hinein nach Kongreßpolen, dann sind die Preise noch viel höher. In demselben Verhältnis bewegen sich auch die Preise für alle anderen Lebensbedürfnisse, so daß man in der Provinz Posen überzeugt ist, daß in dem Moment, wo die geplante Aufhebung der alten Grenze zur Tatsache wird, die Preise in der Provinz Posen so in die Höhe schnellen, daß dieselben kaum erschwinglich sein dürften, obgleich gerade die Provinz Posen, soweit Nahrungsmittel: Kartoffeln, Roggen usw. in Frage kommen, ebenso wie früher die Kornkammer von Deutsch¬ land, jetzt die Basis von ganz Polen zu sein scheint. Die Einwohner von Posen sind also in der denkbar größten Aufregung über die bevorstehenden Maßnahmen. Man hört sehr oft, namentlich in der Bevölkerung des Mittel¬ stands der eingeborenen Polen, die Tatsache erwähnt, daß man es eigentlich unter deutscher Herrschaft nach jeder Richtung hin viel besser gehabt hätte. Überall war Ordnung, Handel und Wandel war im Verkehr, die Beamten waren gut eingearbeitet und unbedingt zuver¬ lässig, Einnahmen und Ausgaben bewegten sich immer in durchaus auskömmlichen Nahmen. Man hat da den Eindruck, als ob die früheren deutschen Provinzen, soweit das Gros der polnischen Bevölkerung in Frage kommt, eine Anlehnung an Deutschland sehr gern sehen würden, da man sich allgemein nach Ruhe, Frieden und geordneten Verhältnissen sehnt. Auch die höheren Klassen scheinen mit der wirtschaftlichen Entwicklung, welche das neue Polen unter seiner eigenen Verwaltung ge¬ nommen hat, in keiner Weise zufrieden zu sein So hat sich neulich nach deutschem Muster ein Bund der polnischen Landwirte gebildet. In der Versammlung, die vor etwa zehn Tagen stattfand, wurde der Beschluß ge¬ faßt, die Regierung zu ersuchen, schleunigst mit Deutschland in Verbindung zu treten behufs Lieferung von Maschinenteilen und anderen für die Landwirtschaft unbedingt not¬ wendigen Produkten. Geschähe dies nicht, so würde die Landwirtschaft auch ihrerseits sich gezwungen sehen, mit der Ablieferung von Getreide zu streiken, da der ganze landwirt¬ schaftliche Betrieb unter dem Mangel an not¬ wendigen Produkten und Ersatzteilen so leide, daß die Weiterführung kaum möglich erscheine. Die Verwaltung der früheren Provinz Posen gibt sich auch alle erdenkliche Mühe, ihre bevorzugte Stellung gegenüber den anderen Provinzen aufrechtzuerhalten. Man ist sich jetzt darüber klar, welche kolossalen Leistungen Deutschland für die ehemals so vernachlässigte Provinz Posen vollbracht hat. Man sieht, welche Mengen an Kultur- und Verkehrsmitteln Posen besitzt, und bemerkt beim Vergleich mit Kongreßpolen und Galizien, daß man wieder auf einen ganz erheblich tieferen Stand herab- gedrückt wird, wenn man dem Verlangen dieser Provinzen, ganz in ihnen aufzugehen, nachgäbe. Das Valutaclend drückt außerdem die Stimmung noch kolossal herunter. Die Ein¬ wohnerschaft ist sich ja darüber klar, daß die dort herrschende reine Papicrwirtschaft nicht zum wenigste«: zur Verelendung des Landes beiträgt. Wer ein Vermögen von einer Million besitzt, erhält dafür in Deutschland nur zwei¬ mal hunderttausend Mark. Da diese zweimal hunderttausend deutsche Mark im Ausland nur einen Wert von etwa SS 000 Goldmark besitzen, kann man sich denke», wie deprimierend das Resultat der ganzen Arbeit und der ver¬ meintlichen großen Verdienste für die Polen ist. G- Die Notlage der Saarindnstrie. Der Förderungsausfall der nordfranzösischen Gruben zwingt Frankreich in den nächsten Jahren, das Lebenselement seiner Industrie, die Kohle, außerhalb seiner Grenzen zu suchen. Die Saargrubcn, die mit dem Minettegebict Elsaß- Lothringens eine industrielle Einheit bilden, sind die nächstliegenden Kohlengruben. Der Friedensvertrag läßt sie für die Zeit von 15 Jahren in den Besitz Frankreichs über¬ gehen, aber Frankreich, das einesteils in Elsaß-Lothringen auf die Saarkohle angewiesen ist und andererseits Deutschland seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/360>, abgerufen am 28.09.2024.