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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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studentischer Standes geiht und Vemagogenverfolgung
Dr. Karl Kossmann von

n meiner Arbeit "Die akademische Jugend und die Parteien"")
hatte ich auf die Gründung der organisierten "Deutschen Studenten¬
schaft" hingewiesen, die im Juli vorigen Jahres auf dem Würz¬
burger allgemeinen Studententage bor sich gegangen war, und die
mittelbare politische Bedeutung dieses Ereignisses hinzustellen ge¬
picht. Schon seit einigen Wochen wird die junge Organisation von einer Be-
wegung durchbebt, die hauptsächlich von Erlangen ausgeht und von der man
sagen muß, daß die Entwicklung damit frühzeitig in ein neues Stadium gerät.
Dieses neue Entwicklungsstadium des studentischen Standesgeistes ist zwiefacher
Art. Es wird hervorgerufen von dem Trieb zu einem schöpferischen Vorstosz
nach vorwärts und bedeutet gleichzeitig eine innere Krisis, die zunächst und jeden-
falls zum Teil eben darauf beruht, ob der schöpferische Vorstosz gelingt oder nicht.

Der allgemeine Studentenausschuß der Universität Erlangen hat den An¬
trag gestellt, für Mitte Mai einen außerordentlichen allgemeinen Studententag
einzuberufen zu dem anfänglichen Zweck, daß die deutsche Studentenschaft als
Ganzes, kurz herausgesagt, zur politischen Gesamilcige nach Maßgabe ihres eigen-
tümlichen Lebensgefühls Stellung nehmen möge. Nicht nur soll die Frage einer
studentischen Beeinflussung der Hochschulreform auf die Tagesordnung gesetzt
werden, sondern ebenso Fragen politischen Charakters, wie Auflösung der Ein¬
wohnerwehren oder ihre Abwandlung in Arbeiterwehren und die langsame Um¬
bildung der Reichswehr in eine Arbeiterarmee. Das heißt! die akademische
Kriegsgeneration greift mutig und unerschrocken in den Gesamtbereich jener Pro¬
bleme hinein, die irgendwie zusammenhängen mit der aktiven und als aktiv auch
staatlich genehmigten Teilhaberschaft aller verfassungstreuen Vevölkerungsklassen
an den handelnden Lebensfunktionen des Staates. Das Wichtigste aber ist dies
daß die deutsche Studentenschaft versuchen soll, bei der Ausstellung der Partei¬
kandidaturen für die bevorstehenden Neichstagswahlen ihre Wünsche geltend zu
machen. Am 25. April hat bereits eine Kreistagung der bayerischen Studenten¬
ausschüsse stattgefunden, wo ein besonderer Ausschuß -- einstweilen eben für die
bayerischen Wahlgebiete - - eingesetzt wurde, der den Reichstagsparteien die Be-
dingungen der Studentenschaft sowie die Namen derjenigen Parteiangehörigen.
in auffallendem Maße das Vertrauen der bayerischen Studentenschaft ge¬
nießen, mitzuteilen hat.

Was bedeutet das alles? Es bedeutet, daß vorwiegend und in ausschlag¬
gebender Weise durch die noch unverletzte Daseinsenergie des akademischen Nach¬
wuchses nun endlich auch der "Stand der Bildung" sich bereit macht, mit dein
Streben nach einer gewissen Geschlossenheit in den politisch-sozialen Kampf ein¬
zutreten. Wohlverstanden: nicht nach parteipolitischer Gesichtspunkten, sondern
getrieben von einer ständischen Lebenserfülltheit, deren Geist von sich aus auf
den schnurrenden Mechanismus des Parteiwesens mitbestimmend und gleichsam
regulativ einwirken will. Dies darf neben vielen anderen Dingen unter keinen



In Ur. 46 und 47 der Grenzboten, Jahrgang 1919. Seitdem bei K, F. Köhler
in Leipzig als Broschüre erschienen.

studentischer Standes geiht und Vemagogenverfolgung
Dr. Karl Kossmann von

n meiner Arbeit „Die akademische Jugend und die Parteien"")
hatte ich auf die Gründung der organisierten „Deutschen Studenten¬
schaft" hingewiesen, die im Juli vorigen Jahres auf dem Würz¬
burger allgemeinen Studententage bor sich gegangen war, und die
mittelbare politische Bedeutung dieses Ereignisses hinzustellen ge¬
picht. Schon seit einigen Wochen wird die junge Organisation von einer Be-
wegung durchbebt, die hauptsächlich von Erlangen ausgeht und von der man
sagen muß, daß die Entwicklung damit frühzeitig in ein neues Stadium gerät.
Dieses neue Entwicklungsstadium des studentischen Standesgeistes ist zwiefacher
Art. Es wird hervorgerufen von dem Trieb zu einem schöpferischen Vorstosz
nach vorwärts und bedeutet gleichzeitig eine innere Krisis, die zunächst und jeden-
falls zum Teil eben darauf beruht, ob der schöpferische Vorstosz gelingt oder nicht.

Der allgemeine Studentenausschuß der Universität Erlangen hat den An¬
trag gestellt, für Mitte Mai einen außerordentlichen allgemeinen Studententag
einzuberufen zu dem anfänglichen Zweck, daß die deutsche Studentenschaft als
Ganzes, kurz herausgesagt, zur politischen Gesamilcige nach Maßgabe ihres eigen-
tümlichen Lebensgefühls Stellung nehmen möge. Nicht nur soll die Frage einer
studentischen Beeinflussung der Hochschulreform auf die Tagesordnung gesetzt
werden, sondern ebenso Fragen politischen Charakters, wie Auflösung der Ein¬
wohnerwehren oder ihre Abwandlung in Arbeiterwehren und die langsame Um¬
bildung der Reichswehr in eine Arbeiterarmee. Das heißt! die akademische
Kriegsgeneration greift mutig und unerschrocken in den Gesamtbereich jener Pro¬
bleme hinein, die irgendwie zusammenhängen mit der aktiven und als aktiv auch
staatlich genehmigten Teilhaberschaft aller verfassungstreuen Vevölkerungsklassen
an den handelnden Lebensfunktionen des Staates. Das Wichtigste aber ist dies
daß die deutsche Studentenschaft versuchen soll, bei der Ausstellung der Partei¬
kandidaturen für die bevorstehenden Neichstagswahlen ihre Wünsche geltend zu
machen. Am 25. April hat bereits eine Kreistagung der bayerischen Studenten¬
ausschüsse stattgefunden, wo ein besonderer Ausschuß — einstweilen eben für die
bayerischen Wahlgebiete - - eingesetzt wurde, der den Reichstagsparteien die Be-
dingungen der Studentenschaft sowie die Namen derjenigen Parteiangehörigen.
in auffallendem Maße das Vertrauen der bayerischen Studentenschaft ge¬
nießen, mitzuteilen hat.

Was bedeutet das alles? Es bedeutet, daß vorwiegend und in ausschlag¬
gebender Weise durch die noch unverletzte Daseinsenergie des akademischen Nach¬
wuchses nun endlich auch der „Stand der Bildung" sich bereit macht, mit dein
Streben nach einer gewissen Geschlossenheit in den politisch-sozialen Kampf ein¬
zutreten. Wohlverstanden: nicht nach parteipolitischer Gesichtspunkten, sondern
getrieben von einer ständischen Lebenserfülltheit, deren Geist von sich aus auf
den schnurrenden Mechanismus des Parteiwesens mitbestimmend und gleichsam
regulativ einwirken will. Dies darf neben vielen anderen Dingen unter keinen



In Ur. 46 und 47 der Grenzboten, Jahrgang 1919. Seitdem bei K, F. Köhler
in Leipzig als Broschüre erschienen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/157>, abgerufen am 22.07.2024.