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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Das Raxpschs Abenteuer

Im übrigen bildete für die enttäuschten Truppen nicht dieses sie kaum
berührende Hin und Her über Fachminister usw., sondern der Ruf: Ein¬
heitsfront gegen den Bolschewismus! die goldene Brücke zu neuer Pflicht¬
erfüllung im Dienste der alten Regierung. 'Mit dem Ruf "gegen die Schieber"
waren sie auf der Döberitzer Heerstraße nach Berlin geführt worden. Jetzt
traten sie in die seit dem Jahr 1919 ihnen so wohl bekannten Kämpfe gegen
Spartakus zurück. Nur die eigentliche Verschwörergruppe, nicht die Masse
der Verführten, war sich der erlittenen Niederlage ganz bewußt. Es hat im
Laufe des Mittwochs noch erregte Auseinandersetzungen über den Rücktritt
Lüttwitz' gegeben, der erst abends gegen Ludendorffs Widerspruch durchgesetzt
wurde, nachdem Lüttwitz einen letzten Beweis seiner ehrenhaften soldatischen
Gesinnung dadurch gegeben hatte, daß er sich auf die Nachricht von einem
Ultimatum der Kommunisten hin der alten Regierung zur Verfügung stellte,
ohne damit einem späteren Gerichtsverfahren gegen sich vorzugreifen.

Am wenigsten praktische Bedeutung konnte begreiflicherweise in dem
Hexensabbat dieser Tage der theoretische Programmpunkt der "Kammer der
Arbeit" gewinnen. Doch verdient festgehalten zu werden, daß in der Presse¬
konferenz am Montag, als die Kappschen "Bedingungen" verlesen wurden,
diese fast durchweg feindselige Versammlung nur bei diesem einzigen Programm-
Punkt nicht unerhebliche Zustimmung äußerte. Aus dem ganzen Scherbenberg,
welchen das Kappsche Unternehmen aufgehäuft hat. wird dereinst noch dieses von Kapp
nicht gepflanzte, von ihm auch nur in der Not und dürftig begossene Pflänzchen
emporwachsen, weil das hartgeprüfte deutsche Volk bei der raschen Abnutzung
aller ihm bisher versprochenen Heilmittel notwendig auch die Hoffnung auf ein
berufsständisches Parlament in allen ihren Phasen wird durcherleben wolle".


VI.

Am Mittwoch gab es im Reichskanzlerpalais nur noch Kehrichthaufen und
Scheuerfrauen. Der traurige Karnevalsspuk war vorüber und in Ascher¬
mittwochsstimmung gingen als Zeichen eines zweifelhaften Sieges die schwarz¬
rotgoldenen Fahnen auf den Ministerien der Wilhelmstraße wieder in die
Höhe. Die aufgewühlte Arbeiterschaft aber stellte nun ihrerseits der geschwächten
Regierung Eberts ihre Bedingungen. Die Unabhängigen und Kommunisten
präsentierten die Rechnung. Die Massen hörten nur noch auf ihre Gewerk¬
schaftsführer, statt auf die Staatsautorität. Die weiße Woche verwandelte sich
vor ihrem Ende in eine rote. War es ein bewußter Schalk oder ein unab¬
sichtliches Zeichen unserer Zustände, daß auf Eberts Palais das Schwarzrol-
gold verkehrt gesetzt und auf Halbmast wehte?

Im Jahre 1919 hatte das Machtgefühl der Massen Einbuße erlitten, weil
der Generalstreik nie gelungen war. Er kann nur gelingen, wenn er von der
öffentlichen Meinung unterstützt wird. Der erfolgreiche Generalstreik im März
1920 brachte die Arbeiter zu einer gefährlichen Überschätzung ihrer Macht und
steigerte Wünsche und Begierden ihrer Führer im Gegenschlag gegen das
frevelhafte Beginnen der Extremisten von rechts. Die Zeche zahlte das ganze


Das Raxpschs Abenteuer

Im übrigen bildete für die enttäuschten Truppen nicht dieses sie kaum
berührende Hin und Her über Fachminister usw., sondern der Ruf: Ein¬
heitsfront gegen den Bolschewismus! die goldene Brücke zu neuer Pflicht¬
erfüllung im Dienste der alten Regierung. 'Mit dem Ruf „gegen die Schieber"
waren sie auf der Döberitzer Heerstraße nach Berlin geführt worden. Jetzt
traten sie in die seit dem Jahr 1919 ihnen so wohl bekannten Kämpfe gegen
Spartakus zurück. Nur die eigentliche Verschwörergruppe, nicht die Masse
der Verführten, war sich der erlittenen Niederlage ganz bewußt. Es hat im
Laufe des Mittwochs noch erregte Auseinandersetzungen über den Rücktritt
Lüttwitz' gegeben, der erst abends gegen Ludendorffs Widerspruch durchgesetzt
wurde, nachdem Lüttwitz einen letzten Beweis seiner ehrenhaften soldatischen
Gesinnung dadurch gegeben hatte, daß er sich auf die Nachricht von einem
Ultimatum der Kommunisten hin der alten Regierung zur Verfügung stellte,
ohne damit einem späteren Gerichtsverfahren gegen sich vorzugreifen.

Am wenigsten praktische Bedeutung konnte begreiflicherweise in dem
Hexensabbat dieser Tage der theoretische Programmpunkt der „Kammer der
Arbeit" gewinnen. Doch verdient festgehalten zu werden, daß in der Presse¬
konferenz am Montag, als die Kappschen „Bedingungen" verlesen wurden,
diese fast durchweg feindselige Versammlung nur bei diesem einzigen Programm-
Punkt nicht unerhebliche Zustimmung äußerte. Aus dem ganzen Scherbenberg,
welchen das Kappsche Unternehmen aufgehäuft hat. wird dereinst noch dieses von Kapp
nicht gepflanzte, von ihm auch nur in der Not und dürftig begossene Pflänzchen
emporwachsen, weil das hartgeprüfte deutsche Volk bei der raschen Abnutzung
aller ihm bisher versprochenen Heilmittel notwendig auch die Hoffnung auf ein
berufsständisches Parlament in allen ihren Phasen wird durcherleben wolle».


VI.

Am Mittwoch gab es im Reichskanzlerpalais nur noch Kehrichthaufen und
Scheuerfrauen. Der traurige Karnevalsspuk war vorüber und in Ascher¬
mittwochsstimmung gingen als Zeichen eines zweifelhaften Sieges die schwarz¬
rotgoldenen Fahnen auf den Ministerien der Wilhelmstraße wieder in die
Höhe. Die aufgewühlte Arbeiterschaft aber stellte nun ihrerseits der geschwächten
Regierung Eberts ihre Bedingungen. Die Unabhängigen und Kommunisten
präsentierten die Rechnung. Die Massen hörten nur noch auf ihre Gewerk¬
schaftsführer, statt auf die Staatsautorität. Die weiße Woche verwandelte sich
vor ihrem Ende in eine rote. War es ein bewußter Schalk oder ein unab¬
sichtliches Zeichen unserer Zustände, daß auf Eberts Palais das Schwarzrol-
gold verkehrt gesetzt und auf Halbmast wehte?

Im Jahre 1919 hatte das Machtgefühl der Massen Einbuße erlitten, weil
der Generalstreik nie gelungen war. Er kann nur gelingen, wenn er von der
öffentlichen Meinung unterstützt wird. Der erfolgreiche Generalstreik im März
1920 brachte die Arbeiter zu einer gefährlichen Überschätzung ihrer Macht und
steigerte Wünsche und Begierden ihrer Führer im Gegenschlag gegen das
frevelhafte Beginnen der Extremisten von rechts. Die Zeche zahlte das ganze


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[0358] Das Raxpschs Abenteuer Im übrigen bildete für die enttäuschten Truppen nicht dieses sie kaum berührende Hin und Her über Fachminister usw., sondern der Ruf: Ein¬ heitsfront gegen den Bolschewismus! die goldene Brücke zu neuer Pflicht¬ erfüllung im Dienste der alten Regierung. 'Mit dem Ruf „gegen die Schieber" waren sie auf der Döberitzer Heerstraße nach Berlin geführt worden. Jetzt traten sie in die seit dem Jahr 1919 ihnen so wohl bekannten Kämpfe gegen Spartakus zurück. Nur die eigentliche Verschwörergruppe, nicht die Masse der Verführten, war sich der erlittenen Niederlage ganz bewußt. Es hat im Laufe des Mittwochs noch erregte Auseinandersetzungen über den Rücktritt Lüttwitz' gegeben, der erst abends gegen Ludendorffs Widerspruch durchgesetzt wurde, nachdem Lüttwitz einen letzten Beweis seiner ehrenhaften soldatischen Gesinnung dadurch gegeben hatte, daß er sich auf die Nachricht von einem Ultimatum der Kommunisten hin der alten Regierung zur Verfügung stellte, ohne damit einem späteren Gerichtsverfahren gegen sich vorzugreifen. Am wenigsten praktische Bedeutung konnte begreiflicherweise in dem Hexensabbat dieser Tage der theoretische Programmpunkt der „Kammer der Arbeit" gewinnen. Doch verdient festgehalten zu werden, daß in der Presse¬ konferenz am Montag, als die Kappschen „Bedingungen" verlesen wurden, diese fast durchweg feindselige Versammlung nur bei diesem einzigen Programm- Punkt nicht unerhebliche Zustimmung äußerte. Aus dem ganzen Scherbenberg, welchen das Kappsche Unternehmen aufgehäuft hat. wird dereinst noch dieses von Kapp nicht gepflanzte, von ihm auch nur in der Not und dürftig begossene Pflänzchen emporwachsen, weil das hartgeprüfte deutsche Volk bei der raschen Abnutzung aller ihm bisher versprochenen Heilmittel notwendig auch die Hoffnung auf ein berufsständisches Parlament in allen ihren Phasen wird durcherleben wolle». VI. Am Mittwoch gab es im Reichskanzlerpalais nur noch Kehrichthaufen und Scheuerfrauen. Der traurige Karnevalsspuk war vorüber und in Ascher¬ mittwochsstimmung gingen als Zeichen eines zweifelhaften Sieges die schwarz¬ rotgoldenen Fahnen auf den Ministerien der Wilhelmstraße wieder in die Höhe. Die aufgewühlte Arbeiterschaft aber stellte nun ihrerseits der geschwächten Regierung Eberts ihre Bedingungen. Die Unabhängigen und Kommunisten präsentierten die Rechnung. Die Massen hörten nur noch auf ihre Gewerk¬ schaftsführer, statt auf die Staatsautorität. Die weiße Woche verwandelte sich vor ihrem Ende in eine rote. War es ein bewußter Schalk oder ein unab¬ sichtliches Zeichen unserer Zustände, daß auf Eberts Palais das Schwarzrol- gold verkehrt gesetzt und auf Halbmast wehte? Im Jahre 1919 hatte das Machtgefühl der Massen Einbuße erlitten, weil der Generalstreik nie gelungen war. Er kann nur gelingen, wenn er von der öffentlichen Meinung unterstützt wird. Der erfolgreiche Generalstreik im März 1920 brachte die Arbeiter zu einer gefährlichen Überschätzung ihrer Macht und steigerte Wünsche und Begierden ihrer Führer im Gegenschlag gegen das frevelhafte Beginnen der Extremisten von rechts. Die Zeche zahlte das ganze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/358>, abgerufen am 22.12.2024.