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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Drinnen und draußen

Drinnen und draußen

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Die Behandlung der Grenzdeutschen.

Eine
junge Ostpreußin ist im Harz auf Weihnachts¬
urlaub. Während ihrer Abwesenheit ist das
Gut Polnisch geworden. Wegen ärztlicher
Konsultation ist sie auf der Durchreise einige
Tage aufgehalten worden, sie geht auf die
Brotkommission, um sich ihre Karten zu
holen, und erhält dort den Bescheid: "Sie
sind ja Auslandsdeutsche, Ihnen dürfen wir
keine Brotkarten geben." Erst auf unend¬
liche Bitten, Laufereien, Scherereien erhält
sie ihre knappen Brotmarken. Gewiß ein
Schul fall des alltäglichen Bureaukratismus.
Aber was ist die seelische Wirkung? Das
junge Ding, das noch ganz gedrückt ist,
jetzt dem polnischen Staat anzugehören, ja,
dus noch gar keinen rechten Begriff hat,
welche Wandlung es an sich erfahren hat,
wird in seinem tiefsten Empfinden durch
diesen Eishauch bürokratischer Pedanterie
vom Mutterlande abgestoßen und gehört zu
den ol-im, die dann in ihrer Heimat das
Gefühl verstärken, nicht nur äußerlich, sondern
auch innerlich vom Mutterlande verstoßen
und preisgegeben zu sein.

Was dem Osten recht ist, ist dem Westen
billig. Die kerndcutfchen Melsässer und
Lothringer, die um ihrer deutschen Gesinnung
willen aus der Heimat vertrieben sind, die
wahrhaftig zu den Treuesten und Besten
Zählen, die uns in dieser Zeit der Not ge¬
blieben sind, machen vielfach dieselben Er¬
sahrungen. Einem der angesehensten Stra߬
burger Prediger wurde in einem süddeutschen
Vundesstaat die Anstellung verweigert, weil
er ein VikariatSjahr zu wenig hatte. Einem
der tüchtigsten elsässischen Schulmänner, der
den Posten eines Seminardirektors bekleidet
hatte, wurde zugemutet, eine Volksschullehrer¬
stelle anzunehmen mit der Aussicht, eS mit
der Zeit auch noch einmal zum Hauptlehrer
ZU bringen. ES empfiehlt sich nickt, die
Einzelbeispiele zu häufen. Schon hat sich
die geschickte französische Propaganda dieser
Unglaublichkeiten bemächtigt: einer Reihe
von Bahnbeamten, die wieder nach dem
Elsaß zurückgekehrt sind, weil sie in Deutsch¬
land leine Stelle fanden, hat Wetterlö
triumphierend in einem Leitartikel seines

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Organs diese Undankbarkeit der Boches
vorgehalten und daran die Mahnung ge¬
knüpft, ja nicht nach Deutschland auszu¬
wandern. Wollen wir aber auch nur jene
kulturellen Beziehungen zu Elsaß-Lothringen
aufrecht erhalten, die uns allein davor be¬
wahren können, daß sich zum Politischen
Verlust der Weidenarten auch der geistige
und vor allen Dingen der moralische geselle,
dann brauchen wir eine starke Kolonie von
Elsaß-Lothringern im Reiche, die man es
fühlen läßt, daß man ihnen für ihre nationale
Treue Dank weiß und die man in ihrem
äußeren Fortkommen tatkräftig unterstützt,
selbst wenn darüber einige Paragraphen
von Anstellungsordnungen und büro¬
kratischen Gepflogenheiten zerbrechen sollten.

Es handelt sich hier nicht darum, Politische
Gesichtspunkte in unseren Verwaltungs¬
apparat hineinzutragen. Es handelt sich
auch nicht darum, das Beispiel der Fran¬
zosen sklavisch nachzuahmen, die ein halbes
Jahrhundert lang den Wiederanfchlußgedankcn
dadurch wachgehalten haben, daß sie Elsässern
und Lothringern jegliche Auszeichnung und
pflegliche Sonderbehandlung zuteil werden
ließen. Die Frage liegt für uns jenseits
der Politik auf einem Gebiet, wo nationale
und menschliche Rücksicht in eins verschmelzen.
Diesem Gebiet einer "Wiedervergcliung"
nationaler Treue zum Siege über den Buch¬
staben eines verkalkten Bürokratismus zu
verhelfen, halten wir in der Tat für eine
überaus deutsche Angelegenheit, die das
Gewissen eines jeden Einzelnen von uns
L. berühren sollte.

Die Wahlen in Ungarn und das "ngsr-

liindische Deutschtum.

Unter den in die
Nationalversammlung gewählten Abgeord¬
neten befindet sich auch eine Anzahl Deutsch-
Ungarn. In erster Reihe ist da einer der
entschiedensten Anhänger der deutschen Auto-
nomiebewegung in Ungarn zu nennen: der
Prälat Dr. Alexander Gietzwein. Dr. Gie߬
wein hat als einziger Provinzialabgeordneter,
der außerhalb des Negierungsblockes steht,
in dem Wahlkreise Ungarisch-Alpenburg gesiegt.
Er gehört zu den fortschrittlich gesinnten

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Die Behandlung der Grenzdeutschen.

Eine
junge Ostpreußin ist im Harz auf Weihnachts¬
urlaub. Während ihrer Abwesenheit ist das
Gut Polnisch geworden. Wegen ärztlicher
Konsultation ist sie auf der Durchreise einige
Tage aufgehalten worden, sie geht auf die
Brotkommission, um sich ihre Karten zu
holen, und erhält dort den Bescheid: „Sie
sind ja Auslandsdeutsche, Ihnen dürfen wir
keine Brotkarten geben." Erst auf unend¬
liche Bitten, Laufereien, Scherereien erhält
sie ihre knappen Brotmarken. Gewiß ein
Schul fall des alltäglichen Bureaukratismus.
Aber was ist die seelische Wirkung? Das
junge Ding, das noch ganz gedrückt ist,
jetzt dem polnischen Staat anzugehören, ja,
dus noch gar keinen rechten Begriff hat,
welche Wandlung es an sich erfahren hat,
wird in seinem tiefsten Empfinden durch
diesen Eishauch bürokratischer Pedanterie
vom Mutterlande abgestoßen und gehört zu
den ol-im, die dann in ihrer Heimat das
Gefühl verstärken, nicht nur äußerlich, sondern
auch innerlich vom Mutterlande verstoßen
und preisgegeben zu sein.

Was dem Osten recht ist, ist dem Westen
billig. Die kerndcutfchen Melsässer und
Lothringer, die um ihrer deutschen Gesinnung
willen aus der Heimat vertrieben sind, die
wahrhaftig zu den Treuesten und Besten
Zählen, die uns in dieser Zeit der Not ge¬
blieben sind, machen vielfach dieselben Er¬
sahrungen. Einem der angesehensten Stra߬
burger Prediger wurde in einem süddeutschen
Vundesstaat die Anstellung verweigert, weil
er ein VikariatSjahr zu wenig hatte. Einem
der tüchtigsten elsässischen Schulmänner, der
den Posten eines Seminardirektors bekleidet
hatte, wurde zugemutet, eine Volksschullehrer¬
stelle anzunehmen mit der Aussicht, eS mit
der Zeit auch noch einmal zum Hauptlehrer
ZU bringen. ES empfiehlt sich nickt, die
Einzelbeispiele zu häufen. Schon hat sich
die geschickte französische Propaganda dieser
Unglaublichkeiten bemächtigt: einer Reihe
von Bahnbeamten, die wieder nach dem
Elsaß zurückgekehrt sind, weil sie in Deutsch¬
land leine Stelle fanden, hat Wetterlö
triumphierend in einem Leitartikel seines

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Organs diese Undankbarkeit der Boches
vorgehalten und daran die Mahnung ge¬
knüpft, ja nicht nach Deutschland auszu¬
wandern. Wollen wir aber auch nur jene
kulturellen Beziehungen zu Elsaß-Lothringen
aufrecht erhalten, die uns allein davor be¬
wahren können, daß sich zum Politischen
Verlust der Weidenarten auch der geistige
und vor allen Dingen der moralische geselle,
dann brauchen wir eine starke Kolonie von
Elsaß-Lothringern im Reiche, die man es
fühlen läßt, daß man ihnen für ihre nationale
Treue Dank weiß und die man in ihrem
äußeren Fortkommen tatkräftig unterstützt,
selbst wenn darüber einige Paragraphen
von Anstellungsordnungen und büro¬
kratischen Gepflogenheiten zerbrechen sollten.

Es handelt sich hier nicht darum, Politische
Gesichtspunkte in unseren Verwaltungs¬
apparat hineinzutragen. Es handelt sich
auch nicht darum, das Beispiel der Fran¬
zosen sklavisch nachzuahmen, die ein halbes
Jahrhundert lang den Wiederanfchlußgedankcn
dadurch wachgehalten haben, daß sie Elsässern
und Lothringern jegliche Auszeichnung und
pflegliche Sonderbehandlung zuteil werden
ließen. Die Frage liegt für uns jenseits
der Politik auf einem Gebiet, wo nationale
und menschliche Rücksicht in eins verschmelzen.
Diesem Gebiet einer „Wiedervergcliung"
nationaler Treue zum Siege über den Buch¬
staben eines verkalkten Bürokratismus zu
verhelfen, halten wir in der Tat für eine
überaus deutsche Angelegenheit, die das
Gewissen eines jeden Einzelnen von uns
L. berühren sollte.

Die Wahlen in Ungarn und das «ngsr-

liindische Deutschtum.

Unter den in die
Nationalversammlung gewählten Abgeord¬
neten befindet sich auch eine Anzahl Deutsch-
Ungarn. In erster Reihe ist da einer der
entschiedensten Anhänger der deutschen Auto-
nomiebewegung in Ungarn zu nennen: der
Prälat Dr. Alexander Gietzwein. Dr. Gie߬
wein hat als einziger Provinzialabgeordneter,
der außerhalb des Negierungsblockes steht,
in dem Wahlkreise Ungarisch-Alpenburg gesiegt.
Er gehört zu den fortschrittlich gesinnten

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[0261] Drinnen und draußen Drinnen und draußen Die Behandlung der Grenzdeutschen. Eine junge Ostpreußin ist im Harz auf Weihnachts¬ urlaub. Während ihrer Abwesenheit ist das Gut Polnisch geworden. Wegen ärztlicher Konsultation ist sie auf der Durchreise einige Tage aufgehalten worden, sie geht auf die Brotkommission, um sich ihre Karten zu holen, und erhält dort den Bescheid: „Sie sind ja Auslandsdeutsche, Ihnen dürfen wir keine Brotkarten geben." Erst auf unend¬ liche Bitten, Laufereien, Scherereien erhält sie ihre knappen Brotmarken. Gewiß ein Schul fall des alltäglichen Bureaukratismus. Aber was ist die seelische Wirkung? Das junge Ding, das noch ganz gedrückt ist, jetzt dem polnischen Staat anzugehören, ja, dus noch gar keinen rechten Begriff hat, welche Wandlung es an sich erfahren hat, wird in seinem tiefsten Empfinden durch diesen Eishauch bürokratischer Pedanterie vom Mutterlande abgestoßen und gehört zu den ol-im, die dann in ihrer Heimat das Gefühl verstärken, nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich vom Mutterlande verstoßen und preisgegeben zu sein. Was dem Osten recht ist, ist dem Westen billig. Die kerndcutfchen Melsässer und Lothringer, die um ihrer deutschen Gesinnung willen aus der Heimat vertrieben sind, die wahrhaftig zu den Treuesten und Besten Zählen, die uns in dieser Zeit der Not ge¬ blieben sind, machen vielfach dieselben Er¬ sahrungen. Einem der angesehensten Stra߬ burger Prediger wurde in einem süddeutschen Vundesstaat die Anstellung verweigert, weil er ein VikariatSjahr zu wenig hatte. Einem der tüchtigsten elsässischen Schulmänner, der den Posten eines Seminardirektors bekleidet hatte, wurde zugemutet, eine Volksschullehrer¬ stelle anzunehmen mit der Aussicht, eS mit der Zeit auch noch einmal zum Hauptlehrer ZU bringen. ES empfiehlt sich nickt, die Einzelbeispiele zu häufen. Schon hat sich die geschickte französische Propaganda dieser Unglaublichkeiten bemächtigt: einer Reihe von Bahnbeamten, die wieder nach dem Elsaß zurückgekehrt sind, weil sie in Deutsch¬ land leine Stelle fanden, hat Wetterlö triumphierend in einem Leitartikel seines Organs diese Undankbarkeit der Boches vorgehalten und daran die Mahnung ge¬ knüpft, ja nicht nach Deutschland auszu¬ wandern. Wollen wir aber auch nur jene kulturellen Beziehungen zu Elsaß-Lothringen aufrecht erhalten, die uns allein davor be¬ wahren können, daß sich zum Politischen Verlust der Weidenarten auch der geistige und vor allen Dingen der moralische geselle, dann brauchen wir eine starke Kolonie von Elsaß-Lothringern im Reiche, die man es fühlen läßt, daß man ihnen für ihre nationale Treue Dank weiß und die man in ihrem äußeren Fortkommen tatkräftig unterstützt, selbst wenn darüber einige Paragraphen von Anstellungsordnungen und büro¬ kratischen Gepflogenheiten zerbrechen sollten. Es handelt sich hier nicht darum, Politische Gesichtspunkte in unseren Verwaltungs¬ apparat hineinzutragen. Es handelt sich auch nicht darum, das Beispiel der Fran¬ zosen sklavisch nachzuahmen, die ein halbes Jahrhundert lang den Wiederanfchlußgedankcn dadurch wachgehalten haben, daß sie Elsässern und Lothringern jegliche Auszeichnung und pflegliche Sonderbehandlung zuteil werden ließen. Die Frage liegt für uns jenseits der Politik auf einem Gebiet, wo nationale und menschliche Rücksicht in eins verschmelzen. Diesem Gebiet einer „Wiedervergcliung" nationaler Treue zum Siege über den Buch¬ staben eines verkalkten Bürokratismus zu verhelfen, halten wir in der Tat für eine überaus deutsche Angelegenheit, die das Gewissen eines jeden Einzelnen von uns L. berühren sollte. Die Wahlen in Ungarn und das «ngsr- liindische Deutschtum. Unter den in die Nationalversammlung gewählten Abgeord¬ neten befindet sich auch eine Anzahl Deutsch- Ungarn. In erster Reihe ist da einer der entschiedensten Anhänger der deutschen Auto- nomiebewegung in Ungarn zu nennen: der Prälat Dr. Alexander Gietzwein. Dr. Gie߬ wein hat als einziger Provinzialabgeordneter, der außerhalb des Negierungsblockes steht, in dem Wahlkreise Ungarisch-Alpenburg gesiegt. Er gehört zu den fortschrittlich gesinnten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/261>, abgerufen am 01.09.2024.