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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Die revolutionäre Grippe. In Ur. 49
der "Grenzboien" vom 6, Dezember wies
ich darauf hin, wie bedeutend nach Zeugnis
aus feindlichem und neutralem Munde die
Wahrscheinlichkeit ist, das; die sozialistische
Welle, die im November Deutschland
überspülte, in wenigen Monaten auch die
siegreichen Ententeländer erfassen w.ird. In
der seither verflossenen kurzen Zeit haben die
Anzeichen hierfür sich so beträchtlich verstärkt,
daß ein nochmaliges, kurzes Zurückkommen
auf das Thema berechtigt erscheint,

Zwar in Frankreich und in dem von der
Zersetzung noch mehr bedrohten Italien waltet
die Zensur mit eiserner Strenge und laßt
keinen Ton hioausschallen, der der Regierung
nicht genehm ist. Dennoch ist aus den spär¬
lichen Meldungen zu ersehen, daß man sich
in beiden Ländern Vielfach vor der Rückkehr
der eigenen Truppen und der Demobilsierung
geradezu fürchtet. Trotz lebhaften Verlangens
der französischen Kammer, daß die älteren
Jahrgänge bis 1891, sogleich demobilisiert
Werden möchten, lehnte die Pariser Re¬
gierung (Ävrami) dies Verlangen ab, um
sie wenige Tage später dennoch zuzugestehen
und überdies das Versprechen abzugeben,
daß die allgemeine Demobilisierung baldigst
folgen solle. Ließ schon diese Ziellosigkeit
vermuten, daß irgend etwas nicht in
Ordnung sei und daß Teile des Heeres
Neigung zeigten, "sich selber zu demobili-
. hieran", so lagen aus Italien am 3. De¬
zember schon Meldungen vor, daß einzelne
Truppen begonnen hätten, ohne Befehl in
die Heimat zurückzukehren, Meldungen, die
unverbürgt waren, aber nicht unglaubhaft
klangen. In Berliner Arbeiterkreisen waren
Gerüchte verbreitet, daß auch in Paris die
rote Fahne schon hier und da' erschienen sei.
Die Nachricht mag übertrieben sein, ist aber
im äußersten Falle den Ereignissen nur um
mehrere Wochen oder Monate vorausgeeilt.
Daß eine starke, den imperialistischen Be¬
strebungen der Regierung recht unbequeme
Bewegung drüben im Gange sein muß, ging
trotz aller Zensurmaßnahmen aus dem "Libre
Parole" vom 25. November hervor, worin
Klage geführt Wurde, daß in Paris Flug¬


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blätter verteilt worden seien, worin es u, a.
hieß:

"Fordert die Regierung auf. das Joch
des verwünschten Engländers abzuschütteln,
der früher oder später Frankreich aus¬
hungern wird ... In der Kammer
kommt das Volk nicht zu Wort. Nieder
mit Clömencecm und dem Militarismus,
die Frankreich zu Englands Sklaven ge¬
macht haben. England hat uns in einen
imperialistischen Krieg hineingezogen . . . .
Verlangt für Elsaß-Lothringen Volks¬
abstimmung!"

Und 14 Tage darauf brachte die "Huma-
nitb" einen Artikel, der zwar von der Zensur
stark beschnitten war, dessen höchst bezeich¬
nende Übeischrift "Das erste Blut in Paris" (I)
aber die Spähaugen des Zensors übersehen
hatten Aus dem Artikel selbst ging hervor,
daß Sozialisten triumphierend verkündet
hatten, die rote Fahne flattere schon vom
Rhein bis nach Asien hinein, und daß es
nachher zu Zusammenstößen mit der Polizei
gekommen war. Im "Popülaire" wurde
gleichzeitig gedroht, wenn man erst von der
Leber weg schreiben dürfe, so könne Clö-
menceau etwas an Kritik erleben. "Frank¬
reich habe ehedem gegen die Könige Krieg
geführt; jetzt habe eS dem Volke den Krieg
erklärt. Der Zorn des Volkes sei be¬
rechtigt usw."

Am interessantesten aber sind die engli¬
schen Pressestimmcn, die von der Zensur am
wenigsten "geniert" werden. Obwohl dort
die soziale Unisturzgefahr nicht annähernd so
groß wie in Italien und Frankreich ist,
macht sich doch anch dort eine Massenbewegung
von elementarer Wucht bemerkbar. Die
"Morning Post" vom 26, November erinnert
an eine von Ramsay Macdonald verfaßte
Druckschrift "XVK^ we are se ^vör", die
Deutschland als Opfer der Verbandsmächte
bezeichnete, und teilt im Anschluß daran mit:
"Es bildete sich in allen Industriezentren
eine große Anzahl von Gesellschaften, deren
Zweck und Ziel nach dem Vorbild der Bolsche¬
wik! der Kampf gegen das Kapital und die
Regierung ist. Der Krieg sei nur ein Krieg
der Kapitalisten, dtL sich noch mehr be-

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Die revolutionäre Grippe. In Ur. 49
der „Grenzboien" vom 6, Dezember wies
ich darauf hin, wie bedeutend nach Zeugnis
aus feindlichem und neutralem Munde die
Wahrscheinlichkeit ist, das; die sozialistische
Welle, die im November Deutschland
überspülte, in wenigen Monaten auch die
siegreichen Ententeländer erfassen w.ird. In
der seither verflossenen kurzen Zeit haben die
Anzeichen hierfür sich so beträchtlich verstärkt,
daß ein nochmaliges, kurzes Zurückkommen
auf das Thema berechtigt erscheint,

Zwar in Frankreich und in dem von der
Zersetzung noch mehr bedrohten Italien waltet
die Zensur mit eiserner Strenge und laßt
keinen Ton hioausschallen, der der Regierung
nicht genehm ist. Dennoch ist aus den spär¬
lichen Meldungen zu ersehen, daß man sich
in beiden Ländern Vielfach vor der Rückkehr
der eigenen Truppen und der Demobilsierung
geradezu fürchtet. Trotz lebhaften Verlangens
der französischen Kammer, daß die älteren
Jahrgänge bis 1891, sogleich demobilisiert
Werden möchten, lehnte die Pariser Re¬
gierung (Ävrami) dies Verlangen ab, um
sie wenige Tage später dennoch zuzugestehen
und überdies das Versprechen abzugeben,
daß die allgemeine Demobilisierung baldigst
folgen solle. Ließ schon diese Ziellosigkeit
vermuten, daß irgend etwas nicht in
Ordnung sei und daß Teile des Heeres
Neigung zeigten, „sich selber zu demobili-
. hieran", so lagen aus Italien am 3. De¬
zember schon Meldungen vor, daß einzelne
Truppen begonnen hätten, ohne Befehl in
die Heimat zurückzukehren, Meldungen, die
unverbürgt waren, aber nicht unglaubhaft
klangen. In Berliner Arbeiterkreisen waren
Gerüchte verbreitet, daß auch in Paris die
rote Fahne schon hier und da' erschienen sei.
Die Nachricht mag übertrieben sein, ist aber
im äußersten Falle den Ereignissen nur um
mehrere Wochen oder Monate vorausgeeilt.
Daß eine starke, den imperialistischen Be¬
strebungen der Regierung recht unbequeme
Bewegung drüben im Gange sein muß, ging
trotz aller Zensurmaßnahmen aus dem „Libre
Parole" vom 25. November hervor, worin
Klage geführt Wurde, daß in Paris Flug¬


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blätter verteilt worden seien, worin es u, a.
hieß:

„Fordert die Regierung auf. das Joch
des verwünschten Engländers abzuschütteln,
der früher oder später Frankreich aus¬
hungern wird ... In der Kammer
kommt das Volk nicht zu Wort. Nieder
mit Clömencecm und dem Militarismus,
die Frankreich zu Englands Sklaven ge¬
macht haben. England hat uns in einen
imperialistischen Krieg hineingezogen . . . .
Verlangt für Elsaß-Lothringen Volks¬
abstimmung!"

Und 14 Tage darauf brachte die „Huma-
nitb" einen Artikel, der zwar von der Zensur
stark beschnitten war, dessen höchst bezeich¬
nende Übeischrift „Das erste Blut in Paris" (I)
aber die Spähaugen des Zensors übersehen
hatten Aus dem Artikel selbst ging hervor,
daß Sozialisten triumphierend verkündet
hatten, die rote Fahne flattere schon vom
Rhein bis nach Asien hinein, und daß es
nachher zu Zusammenstößen mit der Polizei
gekommen war. Im „Popülaire" wurde
gleichzeitig gedroht, wenn man erst von der
Leber weg schreiben dürfe, so könne Clö-
menceau etwas an Kritik erleben. „Frank¬
reich habe ehedem gegen die Könige Krieg
geführt; jetzt habe eS dem Volke den Krieg
erklärt. Der Zorn des Volkes sei be¬
rechtigt usw."

Am interessantesten aber sind die engli¬
schen Pressestimmcn, die von der Zensur am
wenigsten „geniert" werden. Obwohl dort
die soziale Unisturzgefahr nicht annähernd so
groß wie in Italien und Frankreich ist,
macht sich doch anch dort eine Massenbewegung
von elementarer Wucht bemerkbar. Die
„Morning Post" vom 26, November erinnert
an eine von Ramsay Macdonald verfaßte
Druckschrift „XVK^ we are se ^vör", die
Deutschland als Opfer der Verbandsmächte
bezeichnete, und teilt im Anschluß daran mit:
„Es bildete sich in allen Industriezentren
eine große Anzahl von Gesellschaften, deren
Zweck und Ziel nach dem Vorbild der Bolsche¬
wik! der Kampf gegen das Kapital und die
Regierung ist. Der Krieg sei nur ein Krieg
der Kapitalisten, dtL sich noch mehr be-

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[0327] Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Die revolutionäre Grippe. In Ur. 49 der „Grenzboien" vom 6, Dezember wies ich darauf hin, wie bedeutend nach Zeugnis aus feindlichem und neutralem Munde die Wahrscheinlichkeit ist, das; die sozialistische Welle, die im November Deutschland überspülte, in wenigen Monaten auch die siegreichen Ententeländer erfassen w.ird. In der seither verflossenen kurzen Zeit haben die Anzeichen hierfür sich so beträchtlich verstärkt, daß ein nochmaliges, kurzes Zurückkommen auf das Thema berechtigt erscheint, Zwar in Frankreich und in dem von der Zersetzung noch mehr bedrohten Italien waltet die Zensur mit eiserner Strenge und laßt keinen Ton hioausschallen, der der Regierung nicht genehm ist. Dennoch ist aus den spär¬ lichen Meldungen zu ersehen, daß man sich in beiden Ländern Vielfach vor der Rückkehr der eigenen Truppen und der Demobilsierung geradezu fürchtet. Trotz lebhaften Verlangens der französischen Kammer, daß die älteren Jahrgänge bis 1891, sogleich demobilisiert Werden möchten, lehnte die Pariser Re¬ gierung (Ävrami) dies Verlangen ab, um sie wenige Tage später dennoch zuzugestehen und überdies das Versprechen abzugeben, daß die allgemeine Demobilisierung baldigst folgen solle. Ließ schon diese Ziellosigkeit vermuten, daß irgend etwas nicht in Ordnung sei und daß Teile des Heeres Neigung zeigten, „sich selber zu demobili- . hieran", so lagen aus Italien am 3. De¬ zember schon Meldungen vor, daß einzelne Truppen begonnen hätten, ohne Befehl in die Heimat zurückzukehren, Meldungen, die unverbürgt waren, aber nicht unglaubhaft klangen. In Berliner Arbeiterkreisen waren Gerüchte verbreitet, daß auch in Paris die rote Fahne schon hier und da' erschienen sei. Die Nachricht mag übertrieben sein, ist aber im äußersten Falle den Ereignissen nur um mehrere Wochen oder Monate vorausgeeilt. Daß eine starke, den imperialistischen Be¬ strebungen der Regierung recht unbequeme Bewegung drüben im Gange sein muß, ging trotz aller Zensurmaßnahmen aus dem „Libre Parole" vom 25. November hervor, worin Klage geführt Wurde, daß in Paris Flug¬ blätter verteilt worden seien, worin es u, a. hieß: „Fordert die Regierung auf. das Joch des verwünschten Engländers abzuschütteln, der früher oder später Frankreich aus¬ hungern wird ... In der Kammer kommt das Volk nicht zu Wort. Nieder mit Clömencecm und dem Militarismus, die Frankreich zu Englands Sklaven ge¬ macht haben. England hat uns in einen imperialistischen Krieg hineingezogen . . . . Verlangt für Elsaß-Lothringen Volks¬ abstimmung!" Und 14 Tage darauf brachte die „Huma- nitb" einen Artikel, der zwar von der Zensur stark beschnitten war, dessen höchst bezeich¬ nende Übeischrift „Das erste Blut in Paris" (I) aber die Spähaugen des Zensors übersehen hatten Aus dem Artikel selbst ging hervor, daß Sozialisten triumphierend verkündet hatten, die rote Fahne flattere schon vom Rhein bis nach Asien hinein, und daß es nachher zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen war. Im „Popülaire" wurde gleichzeitig gedroht, wenn man erst von der Leber weg schreiben dürfe, so könne Clö- menceau etwas an Kritik erleben. „Frank¬ reich habe ehedem gegen die Könige Krieg geführt; jetzt habe eS dem Volke den Krieg erklärt. Der Zorn des Volkes sei be¬ rechtigt usw." Am interessantesten aber sind die engli¬ schen Pressestimmcn, die von der Zensur am wenigsten „geniert" werden. Obwohl dort die soziale Unisturzgefahr nicht annähernd so groß wie in Italien und Frankreich ist, macht sich doch anch dort eine Massenbewegung von elementarer Wucht bemerkbar. Die „Morning Post" vom 26, November erinnert an eine von Ramsay Macdonald verfaßte Druckschrift „XVK^ we are se ^vör", die Deutschland als Opfer der Verbandsmächte bezeichnete, und teilt im Anschluß daran mit: „Es bildete sich in allen Industriezentren eine große Anzahl von Gesellschaften, deren Zweck und Ziel nach dem Vorbild der Bolsche¬ wik! der Kampf gegen das Kapital und die Regierung ist. Der Krieg sei nur ein Krieg der Kapitalisten, dtL sich noch mehr be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/327>, abgerufen am 24.11.2024.