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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Regierung und Parlament in Deutschland

in Moskau und anderen von den Maximalisten beherrschten Orten geben, wahr¬
scheinlich aber auch zum Einmarsch japanischer Truppen in Sibirien, sowie zum
Angriff der Rätetruppen auf Finnland, Eisenbahnstreik und Sabotage in der
Ukraina, -- und wenn es uns auch gelingen würde, über Jahr und Tag die
Städte des europäischen Rußland zu beruhigen, so wüßten wir am Ende nicht,
für wen wir gearbeitet hätten: aller Voraussicht nach wäre alsdann die dünne
bürgerliche Schicht in Rußland völlig verschwunden, und wir stünden einem
finsteren, unorganisierten Bauern- und Proletariervolk gegenüber, das überhaupt
erst von neuem organisiert werden müßte.

So ist denn eine Intervention in Rußland auch vom politischen Stand¬
punkte aus lediglich als eine Nervenfrage zu behandeln und zu verwerfen. Unsere
Aufgabe Rußland gegenüber ist die Befestigung unserer Macht in den Baltischen
Provinzen und die Stärkung der Ukraina bis zu dem hohen Maße, daß sie be¬
fähigt wird, das Rußland der Räte unter seine Botmäßigkeit zu bringen. Gewiß
werden wir bei einer solchen besonnenen Politik zusehen müssen, wie noch manches
deutsche Kulturgut vernichtet wird, und daß im fernen Osten ein Vakuum eintritt,
das auszufüllen die historische Aufgabe der gelben Rasse würde. Dafür würde uns
eine sichere Brücke zum Orient und zum Indischen Ozean geöffnet, die wir ge¬
meinsam mit dem neuen Rußland beherrschen könnten. Hat der Hetman Skoropadski
seine große Mission an der Seite der Deutschen erkannt, und läßt er sich von
russischen Emissären der Entente nicht umgarnen, dann steuern wir gemeinsam
einer sehr glücklichen und aussichtsreichen Zukunft im Osten entgegen, so aussichts¬
reich, daß auch die Polenfrage ihre Schärfe für den Mittel- und osteuropäischen
Ausgleich verlieren könnte, und daß eine grundsätzliche Erledigung der baltischen
Frage nach den Wünschen der Ballen selber unsere freundschaftlichen Beziehungen
zu Rußland nicht zu beeinträchtigen brauchte.




Regierung und Parlament in Deutschland

l er Rücktritt von Kühlmanns hat das Problem unserer Regierungs¬
form wieder einmal akut werden lassen. Der Staatssekretär des
Auswärtigen-Amtes hat seinen Posten räumen müssen, ohne daß das
Parlament vorher in irgendeiner mitberatenden oder mitbeschließenden
Form herangezogen worden ist. Auch hinsichtlich der Person des
^! Nachfolgers ist das Entscheidende ohne seine Mitwirkung geschehen.
Im Gegensatz zu dem bei Ernennung des Kanzlers und Vizekanzlers beobachteten
Verfahren hat man den neuesten Wechsel in der Regierung nach den alten auto¬
kratischen Methoden vorgenommen, wobei es ja gleichgültig ist, welche Kräfte sonst
noch im Spiele waren, ob insbesondere Herr von Hintze durch das Zivilkabinett


Regierung und Parlament in Deutschland

in Moskau und anderen von den Maximalisten beherrschten Orten geben, wahr¬
scheinlich aber auch zum Einmarsch japanischer Truppen in Sibirien, sowie zum
Angriff der Rätetruppen auf Finnland, Eisenbahnstreik und Sabotage in der
Ukraina, — und wenn es uns auch gelingen würde, über Jahr und Tag die
Städte des europäischen Rußland zu beruhigen, so wüßten wir am Ende nicht,
für wen wir gearbeitet hätten: aller Voraussicht nach wäre alsdann die dünne
bürgerliche Schicht in Rußland völlig verschwunden, und wir stünden einem
finsteren, unorganisierten Bauern- und Proletariervolk gegenüber, das überhaupt
erst von neuem organisiert werden müßte.

So ist denn eine Intervention in Rußland auch vom politischen Stand¬
punkte aus lediglich als eine Nervenfrage zu behandeln und zu verwerfen. Unsere
Aufgabe Rußland gegenüber ist die Befestigung unserer Macht in den Baltischen
Provinzen und die Stärkung der Ukraina bis zu dem hohen Maße, daß sie be¬
fähigt wird, das Rußland der Räte unter seine Botmäßigkeit zu bringen. Gewiß
werden wir bei einer solchen besonnenen Politik zusehen müssen, wie noch manches
deutsche Kulturgut vernichtet wird, und daß im fernen Osten ein Vakuum eintritt,
das auszufüllen die historische Aufgabe der gelben Rasse würde. Dafür würde uns
eine sichere Brücke zum Orient und zum Indischen Ozean geöffnet, die wir ge¬
meinsam mit dem neuen Rußland beherrschen könnten. Hat der Hetman Skoropadski
seine große Mission an der Seite der Deutschen erkannt, und läßt er sich von
russischen Emissären der Entente nicht umgarnen, dann steuern wir gemeinsam
einer sehr glücklichen und aussichtsreichen Zukunft im Osten entgegen, so aussichts¬
reich, daß auch die Polenfrage ihre Schärfe für den Mittel- und osteuropäischen
Ausgleich verlieren könnte, und daß eine grundsätzliche Erledigung der baltischen
Frage nach den Wünschen der Ballen selber unsere freundschaftlichen Beziehungen
zu Rußland nicht zu beeinträchtigen brauchte.




Regierung und Parlament in Deutschland

l er Rücktritt von Kühlmanns hat das Problem unserer Regierungs¬
form wieder einmal akut werden lassen. Der Staatssekretär des
Auswärtigen-Amtes hat seinen Posten räumen müssen, ohne daß das
Parlament vorher in irgendeiner mitberatenden oder mitbeschließenden
Form herangezogen worden ist. Auch hinsichtlich der Person des
^! Nachfolgers ist das Entscheidende ohne seine Mitwirkung geschehen.
Im Gegensatz zu dem bei Ernennung des Kanzlers und Vizekanzlers beobachteten
Verfahren hat man den neuesten Wechsel in der Regierung nach den alten auto¬
kratischen Methoden vorgenommen, wobei es ja gleichgültig ist, welche Kräfte sonst
noch im Spiele waren, ob insbesondere Herr von Hintze durch das Zivilkabinett


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[0092] Regierung und Parlament in Deutschland in Moskau und anderen von den Maximalisten beherrschten Orten geben, wahr¬ scheinlich aber auch zum Einmarsch japanischer Truppen in Sibirien, sowie zum Angriff der Rätetruppen auf Finnland, Eisenbahnstreik und Sabotage in der Ukraina, — und wenn es uns auch gelingen würde, über Jahr und Tag die Städte des europäischen Rußland zu beruhigen, so wüßten wir am Ende nicht, für wen wir gearbeitet hätten: aller Voraussicht nach wäre alsdann die dünne bürgerliche Schicht in Rußland völlig verschwunden, und wir stünden einem finsteren, unorganisierten Bauern- und Proletariervolk gegenüber, das überhaupt erst von neuem organisiert werden müßte. So ist denn eine Intervention in Rußland auch vom politischen Stand¬ punkte aus lediglich als eine Nervenfrage zu behandeln und zu verwerfen. Unsere Aufgabe Rußland gegenüber ist die Befestigung unserer Macht in den Baltischen Provinzen und die Stärkung der Ukraina bis zu dem hohen Maße, daß sie be¬ fähigt wird, das Rußland der Räte unter seine Botmäßigkeit zu bringen. Gewiß werden wir bei einer solchen besonnenen Politik zusehen müssen, wie noch manches deutsche Kulturgut vernichtet wird, und daß im fernen Osten ein Vakuum eintritt, das auszufüllen die historische Aufgabe der gelben Rasse würde. Dafür würde uns eine sichere Brücke zum Orient und zum Indischen Ozean geöffnet, die wir ge¬ meinsam mit dem neuen Rußland beherrschen könnten. Hat der Hetman Skoropadski seine große Mission an der Seite der Deutschen erkannt, und läßt er sich von russischen Emissären der Entente nicht umgarnen, dann steuern wir gemeinsam einer sehr glücklichen und aussichtsreichen Zukunft im Osten entgegen, so aussichts¬ reich, daß auch die Polenfrage ihre Schärfe für den Mittel- und osteuropäischen Ausgleich verlieren könnte, und daß eine grundsätzliche Erledigung der baltischen Frage nach den Wünschen der Ballen selber unsere freundschaftlichen Beziehungen zu Rußland nicht zu beeinträchtigen brauchte. Regierung und Parlament in Deutschland l er Rücktritt von Kühlmanns hat das Problem unserer Regierungs¬ form wieder einmal akut werden lassen. Der Staatssekretär des Auswärtigen-Amtes hat seinen Posten räumen müssen, ohne daß das Parlament vorher in irgendeiner mitberatenden oder mitbeschließenden Form herangezogen worden ist. Auch hinsichtlich der Person des ^! Nachfolgers ist das Entscheidende ohne seine Mitwirkung geschehen. Im Gegensatz zu dem bei Ernennung des Kanzlers und Vizekanzlers beobachteten Verfahren hat man den neuesten Wechsel in der Regierung nach den alten auto¬ kratischen Methoden vorgenommen, wobei es ja gleichgültig ist, welche Kräfte sonst noch im Spiele waren, ob insbesondere Herr von Hintze durch das Zivilkabinett

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/92>, abgerufen am 22.07.2024.