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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Englands Stellungnahme zum Zionismus und
der Standpunkt der deutschen Juden
Dr. Ernst Linn Schweitzer von

as Versprechen der englischen Regierung, dem jüdischen Volk eine
nationale Heimstätte in Palästina zu verschaffen, hat den Zionismus
mit einem Schlage zu einem Faktor der Weltpvlitik gemacht. Die ge¬
samte englische Presse hat die Erklärung Balfours gebilligt, und
zweifellos hofft man hierbei auf englischer Seite jüdische Sympathien
^ im Ausland zu gewinnen. So schreibt- "Manchester Guardian" vom
^ovember 1917: "Die Regierung hat sicherlich eine Politik von großer und
weittragender Bedeutung proklamiert, aber die letztere kann nur ihre vollen
fruchte tragen, wenn die Juden der ganzen Welt ihre Bemühungen vereinen".
der Tat erklärt z. B. Dr. S. Finkelstein in einem Interview der großen
mNvedischen Zeitung "Dagens Nyheter" vom 21- November 1917: "Die Juden
ver ganzen Welt sagen England für sein Versprechen Dank und hoffen, dasz alle
anderen zivilisierten Staaten sich England anschließen werden". Demnach dürfte
vie Stellungnahme der deutschen Juden von besonderem Interesse sein.

5 Ich habe mich verschiedene Male in liberalen Blättern scharf gegen eine he-
mmende Richtung im Zionismus gewendet; es handelt sich hierbei um jene extreme
national-jüdische Propaganda, die in der deutschen Judenheit künstlich eine
hebräische Sprachkultur zu züchten sucht, und zu diesem Zwecke die Errichtung
von jüdischen Volksschulen betreibt. Unabhängig von diesen gefährlichen natio¬
nalistischen Spielereien ist der große Gedanke des Zionismus, wie ihn Theodor
Kerzl verkündigt hat. dem verfolgten und verachteten jüdischen Volke eine Heim-
tatte in Palästina zu geben. Dieser Grundgedanke ist es allein, dem die zionisti-
ichen Parteien ihre große Zahl von Anhängern verdanken, und ihm können wir.
me wir jede jüdisch-nationale Propaganda in Deutschland verwerfen, unsere
Sympathie nicht versagen. Es kommt hierbei insbesondere in Betracht, daß es
Nußland, Polen, Rumänien, Tausende und Abertausende von Juden gibt
denen kein Unbefangener eigenes, nationales Leben absprechen kann, und' denen
^ "Wenn ich deiner vergesse, Jerusalem, dann verdorre meine Zunge", keine
Phrase, sondern Erleben und Ausgabe bedeutet.

, Für überaus bedenklich aber halten wir es, die Zukunft der jüdischen Nation
die Hände Englands zu legen. Dies widerspricht schon dem rein jüdischen
Interesse. Wird Palästina ein Judenstaat unter englischem Protektorat, so wird
Zweifellos bei der großen Geschicklichkeit der Engländer im Kolonisieren (man
vente nnr an die Vurenstaaten) englischer Geist bald das ganze Land beherrschen,
'-s wird dann jene Kluft zwischen den Generationen entstehen, die wir schon jetzt


Grenzboten I INI 8 15


Englands Stellungnahme zum Zionismus und
der Standpunkt der deutschen Juden
Dr. Ernst Linn Schweitzer von

as Versprechen der englischen Regierung, dem jüdischen Volk eine
nationale Heimstätte in Palästina zu verschaffen, hat den Zionismus
mit einem Schlage zu einem Faktor der Weltpvlitik gemacht. Die ge¬
samte englische Presse hat die Erklärung Balfours gebilligt, und
zweifellos hofft man hierbei auf englischer Seite jüdische Sympathien
^ im Ausland zu gewinnen. So schreibt- „Manchester Guardian" vom
^ovember 1917: „Die Regierung hat sicherlich eine Politik von großer und
weittragender Bedeutung proklamiert, aber die letztere kann nur ihre vollen
fruchte tragen, wenn die Juden der ganzen Welt ihre Bemühungen vereinen".
der Tat erklärt z. B. Dr. S. Finkelstein in einem Interview der großen
mNvedischen Zeitung „Dagens Nyheter" vom 21- November 1917: „Die Juden
ver ganzen Welt sagen England für sein Versprechen Dank und hoffen, dasz alle
anderen zivilisierten Staaten sich England anschließen werden". Demnach dürfte
vie Stellungnahme der deutschen Juden von besonderem Interesse sein.

5 Ich habe mich verschiedene Male in liberalen Blättern scharf gegen eine he-
mmende Richtung im Zionismus gewendet; es handelt sich hierbei um jene extreme
national-jüdische Propaganda, die in der deutschen Judenheit künstlich eine
hebräische Sprachkultur zu züchten sucht, und zu diesem Zwecke die Errichtung
von jüdischen Volksschulen betreibt. Unabhängig von diesen gefährlichen natio¬
nalistischen Spielereien ist der große Gedanke des Zionismus, wie ihn Theodor
Kerzl verkündigt hat. dem verfolgten und verachteten jüdischen Volke eine Heim-
tatte in Palästina zu geben. Dieser Grundgedanke ist es allein, dem die zionisti-
ichen Parteien ihre große Zahl von Anhängern verdanken, und ihm können wir.
me wir jede jüdisch-nationale Propaganda in Deutschland verwerfen, unsere
Sympathie nicht versagen. Es kommt hierbei insbesondere in Betracht, daß es
Nußland, Polen, Rumänien, Tausende und Abertausende von Juden gibt
denen kein Unbefangener eigenes, nationales Leben absprechen kann, und' denen
^ "Wenn ich deiner vergesse, Jerusalem, dann verdorre meine Zunge", keine
Phrase, sondern Erleben und Ausgabe bedeutet.

, Für überaus bedenklich aber halten wir es, die Zukunft der jüdischen Nation
die Hände Englands zu legen. Dies widerspricht schon dem rein jüdischen
Interesse. Wird Palästina ein Judenstaat unter englischem Protektorat, so wird
Zweifellos bei der großen Geschicklichkeit der Engländer im Kolonisieren (man
vente nnr an die Vurenstaaten) englischer Geist bald das ganze Land beherrschen,
'-s wird dann jene Kluft zwischen den Generationen entstehen, die wir schon jetzt


Grenzboten I INI 8 15
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[0221] [Abbildung] Englands Stellungnahme zum Zionismus und der Standpunkt der deutschen Juden Dr. Ernst Linn Schweitzer von as Versprechen der englischen Regierung, dem jüdischen Volk eine nationale Heimstätte in Palästina zu verschaffen, hat den Zionismus mit einem Schlage zu einem Faktor der Weltpvlitik gemacht. Die ge¬ samte englische Presse hat die Erklärung Balfours gebilligt, und zweifellos hofft man hierbei auf englischer Seite jüdische Sympathien ^ im Ausland zu gewinnen. So schreibt- „Manchester Guardian" vom ^ovember 1917: „Die Regierung hat sicherlich eine Politik von großer und weittragender Bedeutung proklamiert, aber die letztere kann nur ihre vollen fruchte tragen, wenn die Juden der ganzen Welt ihre Bemühungen vereinen". der Tat erklärt z. B. Dr. S. Finkelstein in einem Interview der großen mNvedischen Zeitung „Dagens Nyheter" vom 21- November 1917: „Die Juden ver ganzen Welt sagen England für sein Versprechen Dank und hoffen, dasz alle anderen zivilisierten Staaten sich England anschließen werden". Demnach dürfte vie Stellungnahme der deutschen Juden von besonderem Interesse sein. 5 Ich habe mich verschiedene Male in liberalen Blättern scharf gegen eine he- mmende Richtung im Zionismus gewendet; es handelt sich hierbei um jene extreme national-jüdische Propaganda, die in der deutschen Judenheit künstlich eine hebräische Sprachkultur zu züchten sucht, und zu diesem Zwecke die Errichtung von jüdischen Volksschulen betreibt. Unabhängig von diesen gefährlichen natio¬ nalistischen Spielereien ist der große Gedanke des Zionismus, wie ihn Theodor Kerzl verkündigt hat. dem verfolgten und verachteten jüdischen Volke eine Heim- tatte in Palästina zu geben. Dieser Grundgedanke ist es allein, dem die zionisti- ichen Parteien ihre große Zahl von Anhängern verdanken, und ihm können wir. me wir jede jüdisch-nationale Propaganda in Deutschland verwerfen, unsere Sympathie nicht versagen. Es kommt hierbei insbesondere in Betracht, daß es Nußland, Polen, Rumänien, Tausende und Abertausende von Juden gibt denen kein Unbefangener eigenes, nationales Leben absprechen kann, und' denen ^ "Wenn ich deiner vergesse, Jerusalem, dann verdorre meine Zunge", keine Phrase, sondern Erleben und Ausgabe bedeutet. , Für überaus bedenklich aber halten wir es, die Zukunft der jüdischen Nation die Hände Englands zu legen. Dies widerspricht schon dem rein jüdischen Interesse. Wird Palästina ein Judenstaat unter englischem Protektorat, so wird Zweifellos bei der großen Geschicklichkeit der Engländer im Kolonisieren (man vente nnr an die Vurenstaaten) englischer Geist bald das ganze Land beherrschen, '-s wird dann jene Kluft zwischen den Generationen entstehen, die wir schon jetzt Grenzboten I INI 8 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/221>, abgerufen am 22.07.2024.