Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Über den Zusammenhang von innerer und äußerer
Politik
(Der sogenannte Seeleysche Satz)
Dr. Heinrich Gelo Meisner von

eigentlich der Erörterungen über die Eigenart unserer preußisch¬
deutschen Verfassungsformen hat man neuerdings häufig den
sogenannten "Seeleyschen Satz" zitiert, der besagt, daß das Maß
von Freiheit in den Staaten umgekehrt proportional sein muß
dem militärisch-politischen Druck, der auf ihren Grenzen lastet.
Auch Graf Yorck von Wartenburg erwähnt ihn wiederholt in seiner be¬
kannten Herrenhausrede*), das zweite Mal allerdings in einer Irrtümer nicht
ausschließenden Form**).

Nun handelt es sich bei jenen Worten genau gesprochen nicht um einen
Seeleyschen Satz***), sondern nur um ähnliche Gedanken, die der englischeJmperialist
in seinen Vorlesungen zu Cambridges) geäußert und die der Berliner Historiker
Otto Hintze in obiger scharfer Prägung in die Literatur eingeführt hat ff). Es
wird gut sein, einmal auf die Quelle zurückzugehen und Seelens Ausführungen
im Original zu betrachten. Sein Gedanke ist, wie wir sehen werden, schiefer
Deutung von verschiedenster Seite begegnet.

Vorherbemerkt sei. daß der Engländer unter "Zovernment" nicht nur die
bei uns sogenannte "Regierung" begreift, sondern die Summe der staatlichen,







*) Der von der "Kreuzzeitung" "nach dem amtlichen Stenogramm" in extenso ge¬
brachte Abdruck nennt nicht den Namen Sceleys, sondern spricht nur von "einem bekannten
Engländer". Andere Zeitungen brachten an der fraglichen Stelle irrtümlich als Verfasser
Carlyle, dessen innere Verwandtschaft mit Seeley auf dem Gebiets des Imperialismus neuer¬
dings verschiedentlich bemerkt worden ist.
*') "Ich habe bereits ausgeführt: unsere zentrale Lage im Herzen Europas untersagt
uns ein gewisses Maß politischer Freiheiten."
***) Wie man allgemein zu lesen bekommt, z. B. bei Preufz in seiner unten behan¬
delten Schrift."
f) Herausgegeben von H.Sidgewick unter dem Titel: "Introäuction to politiesl science.
London 1902. Auf der Kgl. Bibliothek ist das Buch nicht vorhanden.
hö) Zum ersten Male Wohl in seinem Aufsatz: "Das monarchische Prinzip und die kon¬
stitutionelle Verfassung" ("Preußische Jahrbücher" Bd. LXUV, 1911, Heft 3, S.388); später
namentlich in der Studie: "Machtpolitik und Regierungsverfassung" ("Internationale Monats¬
schrift", 1913. Juni und Juli).
Grenzchoten IV 1"17 4


Über den Zusammenhang von innerer und äußerer
Politik
(Der sogenannte Seeleysche Satz)
Dr. Heinrich Gelo Meisner von

eigentlich der Erörterungen über die Eigenart unserer preußisch¬
deutschen Verfassungsformen hat man neuerdings häufig den
sogenannten „Seeleyschen Satz" zitiert, der besagt, daß das Maß
von Freiheit in den Staaten umgekehrt proportional sein muß
dem militärisch-politischen Druck, der auf ihren Grenzen lastet.
Auch Graf Yorck von Wartenburg erwähnt ihn wiederholt in seiner be¬
kannten Herrenhausrede*), das zweite Mal allerdings in einer Irrtümer nicht
ausschließenden Form**).

Nun handelt es sich bei jenen Worten genau gesprochen nicht um einen
Seeleyschen Satz***), sondern nur um ähnliche Gedanken, die der englischeJmperialist
in seinen Vorlesungen zu Cambridges) geäußert und die der Berliner Historiker
Otto Hintze in obiger scharfer Prägung in die Literatur eingeführt hat ff). Es
wird gut sein, einmal auf die Quelle zurückzugehen und Seelens Ausführungen
im Original zu betrachten. Sein Gedanke ist, wie wir sehen werden, schiefer
Deutung von verschiedenster Seite begegnet.

Vorherbemerkt sei. daß der Engländer unter „Zovernment" nicht nur die
bei uns sogenannte „Regierung" begreift, sondern die Summe der staatlichen,







*) Der von der „Kreuzzeitung" „nach dem amtlichen Stenogramm" in extenso ge¬
brachte Abdruck nennt nicht den Namen Sceleys, sondern spricht nur von „einem bekannten
Engländer". Andere Zeitungen brachten an der fraglichen Stelle irrtümlich als Verfasser
Carlyle, dessen innere Verwandtschaft mit Seeley auf dem Gebiets des Imperialismus neuer¬
dings verschiedentlich bemerkt worden ist.
*') „Ich habe bereits ausgeführt: unsere zentrale Lage im Herzen Europas untersagt
uns ein gewisses Maß politischer Freiheiten."
***) Wie man allgemein zu lesen bekommt, z. B. bei Preufz in seiner unten behan¬
delten Schrift."
f) Herausgegeben von H.Sidgewick unter dem Titel: „Introäuction to politiesl science.
London 1902. Auf der Kgl. Bibliothek ist das Buch nicht vorhanden.
hö) Zum ersten Male Wohl in seinem Aufsatz: „Das monarchische Prinzip und die kon¬
stitutionelle Verfassung" („Preußische Jahrbücher" Bd. LXUV, 1911, Heft 3, S.388); später
namentlich in der Studie: „Machtpolitik und Regierungsverfassung" („Internationale Monats¬
schrift", 1913. Juni und Juli).
Grenzchoten IV 1»17 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332776"/>
        <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341905_332712/figures/grenzboten_341905_332712_332776_000.jpg"/><lb/>
        <div n="1">
          <head> Über den Zusammenhang von innerer und äußerer<lb/>
Politik<lb/>
(Der sogenannte Seeleysche Satz)<lb/><note type="byline"> Dr. Heinrich Gelo Meisner</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_208"> eigentlich der Erörterungen über die Eigenart unserer preußisch¬<lb/>
deutschen Verfassungsformen hat man neuerdings häufig den<lb/>
sogenannten &#x201E;Seeleyschen Satz" zitiert, der besagt, daß das Maß<lb/>
von Freiheit in den Staaten umgekehrt proportional sein muß<lb/>
dem militärisch-politischen Druck, der auf ihren Grenzen lastet.<lb/>
Auch Graf Yorck von Wartenburg erwähnt ihn wiederholt in seiner be¬<lb/>
kannten Herrenhausrede*), das zweite Mal allerdings in einer Irrtümer nicht<lb/>
ausschließenden Form**).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_209"> Nun handelt es sich bei jenen Worten genau gesprochen nicht um einen<lb/>
Seeleyschen Satz***), sondern nur um ähnliche Gedanken, die der englischeJmperialist<lb/>
in seinen Vorlesungen zu Cambridges) geäußert und die der Berliner Historiker<lb/>
Otto Hintze in obiger scharfer Prägung in die Literatur eingeführt hat ff). Es<lb/>
wird gut sein, einmal auf die Quelle zurückzugehen und Seelens Ausführungen<lb/>
im Original zu betrachten. Sein Gedanke ist, wie wir sehen werden, schiefer<lb/>
Deutung von verschiedenster Seite begegnet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_210" next="#ID_211"> Vorherbemerkt sei. daß der Engländer unter &#x201E;Zovernment" nicht nur die<lb/>
bei uns sogenannte &#x201E;Regierung" begreift, sondern die Summe der staatlichen,</p><lb/>
          <note xml:id="FID_4" place="foot"> *) Der von der &#x201E;Kreuzzeitung" &#x201E;nach dem amtlichen Stenogramm" in extenso ge¬<lb/>
brachte Abdruck nennt nicht den Namen Sceleys, sondern spricht nur von &#x201E;einem bekannten<lb/>
Engländer". Andere Zeitungen brachten an der fraglichen Stelle irrtümlich als Verfasser<lb/>
Carlyle, dessen innere Verwandtschaft mit Seeley auf dem Gebiets des Imperialismus neuer¬<lb/>
dings verschiedentlich bemerkt worden ist.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_5" place="foot"> *') &#x201E;Ich habe bereits ausgeführt: unsere zentrale Lage im Herzen Europas untersagt<lb/>
uns ein gewisses Maß politischer Freiheiten."</note><lb/>
          <note xml:id="FID_6" place="foot"> ***) Wie man allgemein zu lesen bekommt, z. B. bei Preufz in seiner unten behan¬<lb/>
delten Schrift."</note><lb/>
          <note xml:id="FID_7" place="foot"> f) Herausgegeben von H.Sidgewick unter dem Titel: &#x201E;Introäuction to politiesl science.<lb/>
London 1902. Auf der Kgl. Bibliothek ist das Buch nicht vorhanden.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_8" place="foot"> hö) Zum ersten Male Wohl in seinem Aufsatz: &#x201E;Das monarchische Prinzip und die kon¬<lb/>
stitutionelle Verfassung" (&#x201E;Preußische Jahrbücher" Bd. LXUV, 1911, Heft 3, S.388); später<lb/>
namentlich in der Studie: &#x201E;Machtpolitik und Regierungsverfassung" (&#x201E;Internationale Monats¬<lb/>
schrift", 1913. Juni und Juli).</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzchoten IV 1»17 4</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] [Abbildung] Über den Zusammenhang von innerer und äußerer Politik (Der sogenannte Seeleysche Satz) Dr. Heinrich Gelo Meisner von eigentlich der Erörterungen über die Eigenart unserer preußisch¬ deutschen Verfassungsformen hat man neuerdings häufig den sogenannten „Seeleyschen Satz" zitiert, der besagt, daß das Maß von Freiheit in den Staaten umgekehrt proportional sein muß dem militärisch-politischen Druck, der auf ihren Grenzen lastet. Auch Graf Yorck von Wartenburg erwähnt ihn wiederholt in seiner be¬ kannten Herrenhausrede*), das zweite Mal allerdings in einer Irrtümer nicht ausschließenden Form**). Nun handelt es sich bei jenen Worten genau gesprochen nicht um einen Seeleyschen Satz***), sondern nur um ähnliche Gedanken, die der englischeJmperialist in seinen Vorlesungen zu Cambridges) geäußert und die der Berliner Historiker Otto Hintze in obiger scharfer Prägung in die Literatur eingeführt hat ff). Es wird gut sein, einmal auf die Quelle zurückzugehen und Seelens Ausführungen im Original zu betrachten. Sein Gedanke ist, wie wir sehen werden, schiefer Deutung von verschiedenster Seite begegnet. Vorherbemerkt sei. daß der Engländer unter „Zovernment" nicht nur die bei uns sogenannte „Regierung" begreift, sondern die Summe der staatlichen, *) Der von der „Kreuzzeitung" „nach dem amtlichen Stenogramm" in extenso ge¬ brachte Abdruck nennt nicht den Namen Sceleys, sondern spricht nur von „einem bekannten Engländer". Andere Zeitungen brachten an der fraglichen Stelle irrtümlich als Verfasser Carlyle, dessen innere Verwandtschaft mit Seeley auf dem Gebiets des Imperialismus neuer¬ dings verschiedentlich bemerkt worden ist. *') „Ich habe bereits ausgeführt: unsere zentrale Lage im Herzen Europas untersagt uns ein gewisses Maß politischer Freiheiten." ***) Wie man allgemein zu lesen bekommt, z. B. bei Preufz in seiner unten behan¬ delten Schrift." f) Herausgegeben von H.Sidgewick unter dem Titel: „Introäuction to politiesl science. London 1902. Auf der Kgl. Bibliothek ist das Buch nicht vorhanden. hö) Zum ersten Male Wohl in seinem Aufsatz: „Das monarchische Prinzip und die kon¬ stitutionelle Verfassung" („Preußische Jahrbücher" Bd. LXUV, 1911, Heft 3, S.388); später namentlich in der Studie: „Machtpolitik und Regierungsverfassung" („Internationale Monats¬ schrift", 1913. Juni und Juli). Grenzchoten IV 1»17 4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/61>, abgerufen am 27.07.2024.