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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Wonach orientiert sich der Luftfahrer?
Von Margarete Große

aguas lesen wir jetzt von Fahrten, die unsere Flieger und Luft¬
schiffer zu Erkundungszwecken oder zum Bombenwerfen über feind¬
lichem Gebiete ausführen. Außer moralischer Eignung für diesen
Dienst sind auch mancherlei Kenntnisse die unerläßlich notwendige
Voraussetzung dazu. Der Luftfahrer muß nicht nur sein Fahrzeug
ganz genau kennen und mit den Luftverhältnissen vertraut sein, er
muß sich auch über das unter ihm liegende Gelände orientieren können. Orts- und
Richtungssinn sind eine Gabe, die ohne Zweifel nicht jeder von der Natur in
gleicher Weise empfängt. Es kann aber jeder in hohem Maße diesen Sinn
durch Übung bilden und schärfen. In gewisser Beziehung ist es zwar schwerer,
sich aus der Luft zu orientieren als unten auf der Eröe: sehen wir doch die
Landschaft für gewöhnlich ganz anders als aus dem Luftfahrzeug, nicht im
Grundriß, sondern von der Seite. Das Bild der Erde aus den Lüften stellt
sich dem, der es zum ersten Male sieht, tatsächlich als etwas ganz Neues,
Fremdes dar, an das er sich erst gewöhnen muß. Aber je häufiger man es
sieht, desto geringer werden die Schwierigkeiten der Orientierung. Ja, dem
Luftfahrer will es bisweilen scheinen, als sei das Zurechtfinden aus der Luft
leichter als das drunten auf der Erde: stets bietet sich bei Sicht der Erde ein
Überblick über ein gewisses Gebiet dar, und dazu zeigt sich dem Luftfahrer
dieses Gebiet ähnlich wie auf der Karte. Je vollkommener die zur Verfügung
stehende Karte ist, desto leichter ist darum die Orientierung aus der Luft --
andererseits wieder: je häufiger und unter je verschiedeneren Verhältnissen jemand
Gelegenheit gehabt hat, sich aus der Luft über die Erde zu orientieren, desto
eher wird er Mängel entdecken, die hier und da unseren im ganzen vorzüglichen
Karten noch anhaften.

Die beste Schule für solche Beobachtungen sind Freiballonfahrten. Von
den Zielfahrten bei durchaus sicheren Wetterverhältnissen und gründlichster
meteorologischer Vorbereitung abgesehen, läßt sich bei Freiballonfahrten die
Fahrtlinie vorher nicht bis in alle Einzelheiten bestimmend es gibt sogar manche
Fahrten, auf denen trotz alles Studiums der Wetterlage Aotus die Fahrer ganz
nach seinem unberechenbaren Willen führt. So ist der Freiballonfahrer in den
meisten Fällen gezwungen, ständig Erdenbild und Karte miteinander zu ver¬
gleichen, um aus den tausend Möglichkeiten für die Richtung die herauszufinden,
die sich der Ballon gewählt hat. Mancher unserer Flieger und Luftschiffer
draußen an der Front ist vor dem Kriege durch diese Schule des Freiballons
gegangen und dankt gerade ihr einen großen Teil seiner Ersahrungen.

Was die Orientierung aus der Luft kennzeichnet, ist, daß sie sich bei sieht
der Erde immer auf Wesentliches, Charakteristisches stützt. Als hervortretende




Wonach orientiert sich der Luftfahrer?
Von Margarete Große

aguas lesen wir jetzt von Fahrten, die unsere Flieger und Luft¬
schiffer zu Erkundungszwecken oder zum Bombenwerfen über feind¬
lichem Gebiete ausführen. Außer moralischer Eignung für diesen
Dienst sind auch mancherlei Kenntnisse die unerläßlich notwendige
Voraussetzung dazu. Der Luftfahrer muß nicht nur sein Fahrzeug
ganz genau kennen und mit den Luftverhältnissen vertraut sein, er
muß sich auch über das unter ihm liegende Gelände orientieren können. Orts- und
Richtungssinn sind eine Gabe, die ohne Zweifel nicht jeder von der Natur in
gleicher Weise empfängt. Es kann aber jeder in hohem Maße diesen Sinn
durch Übung bilden und schärfen. In gewisser Beziehung ist es zwar schwerer,
sich aus der Luft zu orientieren als unten auf der Eröe: sehen wir doch die
Landschaft für gewöhnlich ganz anders als aus dem Luftfahrzeug, nicht im
Grundriß, sondern von der Seite. Das Bild der Erde aus den Lüften stellt
sich dem, der es zum ersten Male sieht, tatsächlich als etwas ganz Neues,
Fremdes dar, an das er sich erst gewöhnen muß. Aber je häufiger man es
sieht, desto geringer werden die Schwierigkeiten der Orientierung. Ja, dem
Luftfahrer will es bisweilen scheinen, als sei das Zurechtfinden aus der Luft
leichter als das drunten auf der Erde: stets bietet sich bei Sicht der Erde ein
Überblick über ein gewisses Gebiet dar, und dazu zeigt sich dem Luftfahrer
dieses Gebiet ähnlich wie auf der Karte. Je vollkommener die zur Verfügung
stehende Karte ist, desto leichter ist darum die Orientierung aus der Luft —
andererseits wieder: je häufiger und unter je verschiedeneren Verhältnissen jemand
Gelegenheit gehabt hat, sich aus der Luft über die Erde zu orientieren, desto
eher wird er Mängel entdecken, die hier und da unseren im ganzen vorzüglichen
Karten noch anhaften.

Die beste Schule für solche Beobachtungen sind Freiballonfahrten. Von
den Zielfahrten bei durchaus sicheren Wetterverhältnissen und gründlichster
meteorologischer Vorbereitung abgesehen, läßt sich bei Freiballonfahrten die
Fahrtlinie vorher nicht bis in alle Einzelheiten bestimmend es gibt sogar manche
Fahrten, auf denen trotz alles Studiums der Wetterlage Aotus die Fahrer ganz
nach seinem unberechenbaren Willen führt. So ist der Freiballonfahrer in den
meisten Fällen gezwungen, ständig Erdenbild und Karte miteinander zu ver¬
gleichen, um aus den tausend Möglichkeiten für die Richtung die herauszufinden,
die sich der Ballon gewählt hat. Mancher unserer Flieger und Luftschiffer
draußen an der Front ist vor dem Kriege durch diese Schule des Freiballons
gegangen und dankt gerade ihr einen großen Teil seiner Ersahrungen.

Was die Orientierung aus der Luft kennzeichnet, ist, daß sie sich bei sieht
der Erde immer auf Wesentliches, Charakteristisches stützt. Als hervortretende


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[0392] [Abbildung] Wonach orientiert sich der Luftfahrer? Von Margarete Große aguas lesen wir jetzt von Fahrten, die unsere Flieger und Luft¬ schiffer zu Erkundungszwecken oder zum Bombenwerfen über feind¬ lichem Gebiete ausführen. Außer moralischer Eignung für diesen Dienst sind auch mancherlei Kenntnisse die unerläßlich notwendige Voraussetzung dazu. Der Luftfahrer muß nicht nur sein Fahrzeug ganz genau kennen und mit den Luftverhältnissen vertraut sein, er muß sich auch über das unter ihm liegende Gelände orientieren können. Orts- und Richtungssinn sind eine Gabe, die ohne Zweifel nicht jeder von der Natur in gleicher Weise empfängt. Es kann aber jeder in hohem Maße diesen Sinn durch Übung bilden und schärfen. In gewisser Beziehung ist es zwar schwerer, sich aus der Luft zu orientieren als unten auf der Eröe: sehen wir doch die Landschaft für gewöhnlich ganz anders als aus dem Luftfahrzeug, nicht im Grundriß, sondern von der Seite. Das Bild der Erde aus den Lüften stellt sich dem, der es zum ersten Male sieht, tatsächlich als etwas ganz Neues, Fremdes dar, an das er sich erst gewöhnen muß. Aber je häufiger man es sieht, desto geringer werden die Schwierigkeiten der Orientierung. Ja, dem Luftfahrer will es bisweilen scheinen, als sei das Zurechtfinden aus der Luft leichter als das drunten auf der Erde: stets bietet sich bei Sicht der Erde ein Überblick über ein gewisses Gebiet dar, und dazu zeigt sich dem Luftfahrer dieses Gebiet ähnlich wie auf der Karte. Je vollkommener die zur Verfügung stehende Karte ist, desto leichter ist darum die Orientierung aus der Luft — andererseits wieder: je häufiger und unter je verschiedeneren Verhältnissen jemand Gelegenheit gehabt hat, sich aus der Luft über die Erde zu orientieren, desto eher wird er Mängel entdecken, die hier und da unseren im ganzen vorzüglichen Karten noch anhaften. Die beste Schule für solche Beobachtungen sind Freiballonfahrten. Von den Zielfahrten bei durchaus sicheren Wetterverhältnissen und gründlichster meteorologischer Vorbereitung abgesehen, läßt sich bei Freiballonfahrten die Fahrtlinie vorher nicht bis in alle Einzelheiten bestimmend es gibt sogar manche Fahrten, auf denen trotz alles Studiums der Wetterlage Aotus die Fahrer ganz nach seinem unberechenbaren Willen führt. So ist der Freiballonfahrer in den meisten Fällen gezwungen, ständig Erdenbild und Karte miteinander zu ver¬ gleichen, um aus den tausend Möglichkeiten für die Richtung die herauszufinden, die sich der Ballon gewählt hat. Mancher unserer Flieger und Luftschiffer draußen an der Front ist vor dem Kriege durch diese Schule des Freiballons gegangen und dankt gerade ihr einen großen Teil seiner Ersahrungen. Was die Orientierung aus der Luft kennzeichnet, ist, daß sie sich bei sieht der Erde immer auf Wesentliches, Charakteristisches stützt. Als hervortretende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/392>, abgerufen am 27.06.2024.