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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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jenem Augenblicke vernehmen wird, der ihnen Sicherheit gibt: Sicherheit vor
den Belästigungen und Angriffen jener Leute, die behaupten, die "belgische Seele"
in sich zu haben, und die sich anstrengen, unter den national gesinnten Vlamen im
Lande Furcht vor späterer Rache zu verbreiten. Indessen hat Deutschland
während der nun bald zweieinhalbjährigen Besetzung des Landes unter dem
weisen Regiment des Generalgouverneurs von Bissing viel Feld gewonnen.
Deutsche Kunst, deutsche Wissenschaft, deutsche Sozialpolitik, deutscher Ordnungs¬
geist -- das alles hat sich vor den Augen aller in Belgien ausbreiten können
und muß jedem gerecht urteilenden Betrachter gesagt haben, daß die viel¬
geschmähte deutsche Kultur kein leeres Wort ist, und daß das deutsche Kultur¬
streben gerade in Belgien ein Arbeitsfeld finden würde, auf dem es mancherlei
zu tun gibt. Daneben hat die Umwandlung, der Genter Hochschule in eine
Pflegestätte vlämischen Geistes und vlämischer Kultur eine überaus ansehnliche Schar
vlämischer Intellektueller bestimmt, wie die großen öffentlichen Kundgebungen zu¬
gunsten Genes deutlich erwiesen haben, sich fest entschlossen dem vlämischen
Nationalideal mit Herz und Hand hinzugeben. Dieses vlämische National¬
ideal aber sieht, wie jedermann bekannt ist, in Wallonen und Franzosen den
Feind, während es von Deutschland den Schutz seiner nationalen Selbständigkeit
erhofft und erhoffen darf. Diese vlämische Hoffnung zu teilen, haben aber
gerade wir Holländer allen Grund. Denn das aus germanischem Geiste
kommende vlämische Streben nach unbedingter Selbständigkeit festigt auch unsere
Selbständigkeit und Unabhängigkeit und dient also letzten Endes auch dem
holländischen Nationalgedanken.



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Die Zurückwendung unseres Geisteslebens zum deutschen Idealismus, die
schon ein Jahrzehnt vor dem Kriege eingesetzt hatte, vollzieht sich unter den
gegenwärtigen Zeitläuften nur um so sicherer; der Geist der Gegenwart wird dafür
sorgen, daß sie nicht einem öden Historizismus, einer leblosen Aneignung des
Veralteten, sondern dem lebendigen Fortwirken des Ewigen zu gute kommt, was jene
Zeiten uns gebracht haben. Wie lebendig werden auf einmal Goethes bisher so
wenig beachtete "Maximen und Reflexionen" oder seine naturwissenschaftlichen
Werke in den letzten Schriften Hermann Bahrs ("Expressionismus", "Himmelfahrt"
usw.). Goethe wird wieder eifriger gelesen als seit Jahrzehnten. Um so not¬
wendiger ist, abgesehen von Lebensbeschreibungen und rein literaturgeschichtlichen
Darstellungen, ein bequemes Nachschlagwerk, das nicht nur in seine Werke im
allgemeinen einführt, sondern einzelne Anspielungen rasch erläutert, die Personen


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jenem Augenblicke vernehmen wird, der ihnen Sicherheit gibt: Sicherheit vor
den Belästigungen und Angriffen jener Leute, die behaupten, die „belgische Seele"
in sich zu haben, und die sich anstrengen, unter den national gesinnten Vlamen im
Lande Furcht vor späterer Rache zu verbreiten. Indessen hat Deutschland
während der nun bald zweieinhalbjährigen Besetzung des Landes unter dem
weisen Regiment des Generalgouverneurs von Bissing viel Feld gewonnen.
Deutsche Kunst, deutsche Wissenschaft, deutsche Sozialpolitik, deutscher Ordnungs¬
geist — das alles hat sich vor den Augen aller in Belgien ausbreiten können
und muß jedem gerecht urteilenden Betrachter gesagt haben, daß die viel¬
geschmähte deutsche Kultur kein leeres Wort ist, und daß das deutsche Kultur¬
streben gerade in Belgien ein Arbeitsfeld finden würde, auf dem es mancherlei
zu tun gibt. Daneben hat die Umwandlung, der Genter Hochschule in eine
Pflegestätte vlämischen Geistes und vlämischer Kultur eine überaus ansehnliche Schar
vlämischer Intellektueller bestimmt, wie die großen öffentlichen Kundgebungen zu¬
gunsten Genes deutlich erwiesen haben, sich fest entschlossen dem vlämischen
Nationalideal mit Herz und Hand hinzugeben. Dieses vlämische National¬
ideal aber sieht, wie jedermann bekannt ist, in Wallonen und Franzosen den
Feind, während es von Deutschland den Schutz seiner nationalen Selbständigkeit
erhofft und erhoffen darf. Diese vlämische Hoffnung zu teilen, haben aber
gerade wir Holländer allen Grund. Denn das aus germanischem Geiste
kommende vlämische Streben nach unbedingter Selbständigkeit festigt auch unsere
Selbständigkeit und Unabhängigkeit und dient also letzten Endes auch dem
holländischen Nationalgedanken.



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Die Zurückwendung unseres Geisteslebens zum deutschen Idealismus, die
schon ein Jahrzehnt vor dem Kriege eingesetzt hatte, vollzieht sich unter den
gegenwärtigen Zeitläuften nur um so sicherer; der Geist der Gegenwart wird dafür
sorgen, daß sie nicht einem öden Historizismus, einer leblosen Aneignung des
Veralteten, sondern dem lebendigen Fortwirken des Ewigen zu gute kommt, was jene
Zeiten uns gebracht haben. Wie lebendig werden auf einmal Goethes bisher so
wenig beachtete „Maximen und Reflexionen" oder seine naturwissenschaftlichen
Werke in den letzten Schriften Hermann Bahrs („Expressionismus", „Himmelfahrt"
usw.). Goethe wird wieder eifriger gelesen als seit Jahrzehnten. Um so not¬
wendiger ist, abgesehen von Lebensbeschreibungen und rein literaturgeschichtlichen
Darstellungen, ein bequemes Nachschlagwerk, das nicht nur in seine Werke im
allgemeinen einführt, sondern einzelne Anspielungen rasch erläutert, die Personen


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[0074] Neue Bücher jenem Augenblicke vernehmen wird, der ihnen Sicherheit gibt: Sicherheit vor den Belästigungen und Angriffen jener Leute, die behaupten, die „belgische Seele" in sich zu haben, und die sich anstrengen, unter den national gesinnten Vlamen im Lande Furcht vor späterer Rache zu verbreiten. Indessen hat Deutschland während der nun bald zweieinhalbjährigen Besetzung des Landes unter dem weisen Regiment des Generalgouverneurs von Bissing viel Feld gewonnen. Deutsche Kunst, deutsche Wissenschaft, deutsche Sozialpolitik, deutscher Ordnungs¬ geist — das alles hat sich vor den Augen aller in Belgien ausbreiten können und muß jedem gerecht urteilenden Betrachter gesagt haben, daß die viel¬ geschmähte deutsche Kultur kein leeres Wort ist, und daß das deutsche Kultur¬ streben gerade in Belgien ein Arbeitsfeld finden würde, auf dem es mancherlei zu tun gibt. Daneben hat die Umwandlung, der Genter Hochschule in eine Pflegestätte vlämischen Geistes und vlämischer Kultur eine überaus ansehnliche Schar vlämischer Intellektueller bestimmt, wie die großen öffentlichen Kundgebungen zu¬ gunsten Genes deutlich erwiesen haben, sich fest entschlossen dem vlämischen Nationalideal mit Herz und Hand hinzugeben. Dieses vlämische National¬ ideal aber sieht, wie jedermann bekannt ist, in Wallonen und Franzosen den Feind, während es von Deutschland den Schutz seiner nationalen Selbständigkeit erhofft und erhoffen darf. Diese vlämische Hoffnung zu teilen, haben aber gerade wir Holländer allen Grund. Denn das aus germanischem Geiste kommende vlämische Streben nach unbedingter Selbständigkeit festigt auch unsere Selbständigkeit und Unabhängigkeit und dient also letzten Endes auch dem holländischen Nationalgedanken. [Abbildung] Neue Bücher Die Zurückwendung unseres Geisteslebens zum deutschen Idealismus, die schon ein Jahrzehnt vor dem Kriege eingesetzt hatte, vollzieht sich unter den gegenwärtigen Zeitläuften nur um so sicherer; der Geist der Gegenwart wird dafür sorgen, daß sie nicht einem öden Historizismus, einer leblosen Aneignung des Veralteten, sondern dem lebendigen Fortwirken des Ewigen zu gute kommt, was jene Zeiten uns gebracht haben. Wie lebendig werden auf einmal Goethes bisher so wenig beachtete „Maximen und Reflexionen" oder seine naturwissenschaftlichen Werke in den letzten Schriften Hermann Bahrs („Expressionismus", „Himmelfahrt" usw.). Goethe wird wieder eifriger gelesen als seit Jahrzehnten. Um so not¬ wendiger ist, abgesehen von Lebensbeschreibungen und rein literaturgeschichtlichen Darstellungen, ein bequemes Nachschlagwerk, das nicht nur in seine Werke im allgemeinen einführt, sondern einzelne Anspielungen rasch erläutert, die Personen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/74>, abgerufen am 22.07.2024.