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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Das Vermächtnis Brucks

II.
Die Zukunft der deutschen Weltpolitik.

Im Jahre 1859 schrieb Brück, es sei Österreichs Aufgabe, zu verhindern,
daß Deutschland ökonomisch einseitig nach Norden gravitiere. Wenn es nicht
gelinge, der wirtschaftlichen Zusammenfassung eine bundesrechtliche Grundlage
zu geben, wenn der separate Zollverein weiter bestehe, dann müsse er not¬
wendig den Bund sprengen und eigene Wege einschlagen. Tatsächlich ist es
ja sehr bald so gekommen.

Der deutsche Handel hat zwei natürliche Wege in die Welt hinaus: nach
Süden und Südosten in die alten Kulturländer des Mittelmeers und weiter
durch den Suezkanal in den Indischen und Großen Ozean, und nach Nord¬
westen aus der deutschen Bucht durch die englischen Gewässer in den Atlantischen
Ozean. Im Altertum und Mittelalter war das Atlantische Meer der äußerste
Westen, das Ende der Welt. Folglich war Deutschlands wirtschaftliches Gesicht
überwiegend dem Süden zugekehrt. Kreuzzug und Römerfahrt wiesen auch
dem Kaufmann den Weg. In Schwaben, Franken und am Rhein lagen
unsere großen Handelsstädte. Der hanseatische Norden bildete ein besonderes
eigenartiges Handelsgebiet, das mehr um die Ostsee als um die Nordsee herum
gruppiert und jedenfalls keineswegs an atlantische Welthandelsstraßen ange¬
schlossen war, weil es eben diese damals noch gar nicht gab. Mittelmeerkultur
und Ostseekultur waren im Altertum getrennte Zentren der europäischen Mensch¬
heit gewesen, deren jedes über einen ziemlich selbständigen ökonomischen Blut¬
kreislauf verfügte. Diese alte Tatsache wirkte in der gesamten Kultur- und
Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters noch nach. Sie erklärt den Gegensatz der
Politik Friedrich Barbarossas und Heinrichs des Löwen, begründet den Wider¬
streit zwischen italienische" Interessen und ostdeutscher Kolonisation, zwischen
Kreuzzugsimperialismus und Ostseeherrschaft. Daß es einen, gegenüber dem
griechisch-lateinischen, selbständigen nordischen Kulturkreis gegeben hat, hat erst
die moderne germanische Anihropologie und Archäologie aufgeklärt. Die gründ¬
liche Aufhellung der Nachwirkungen dieser alten Kulturantithese in der deutschen
Geschichte bleibt sogar erst noch künftiger Forschung und Darstellung überlassen.
Die lateinische Kultur mußte in Deutschland über die nordische siegen, weil sie
an die Wegs des Welthandels angeschlossen war, während die nordische am
Rande der Welt lag. Alle höhere Kultur des deutschen Mittelalters und auch
der ersten Jahrhunderte der Neuzeit wurde lateinisch, und im wesentlichen erst
im neunzehnten Jahrhundert hat unsere Bildung begonnen, dagegen zu reagieren.
Seit der Entdeckung des atlantischen Seewegs waren die Welthandelsmöglich¬
keiten gründlich verwandelt. Mehr und mehr waren es die westlichen Rand-
lünder unseres Erdteils, die den Reichtum der Welt zuerst aufsogen, während
die Handelsplätze Italiens und der Levante in ihrer Bedeutung stark zurück¬
gingen. Jetzt erst konnte der Weg zu den Schätzen der Welt auch durch die
Nordsee führen. Deutschlands Kultur schaute nun nicht mehr überwiegend


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Das Vermächtnis Brucks

II.
Die Zukunft der deutschen Weltpolitik.

Im Jahre 1859 schrieb Brück, es sei Österreichs Aufgabe, zu verhindern,
daß Deutschland ökonomisch einseitig nach Norden gravitiere. Wenn es nicht
gelinge, der wirtschaftlichen Zusammenfassung eine bundesrechtliche Grundlage
zu geben, wenn der separate Zollverein weiter bestehe, dann müsse er not¬
wendig den Bund sprengen und eigene Wege einschlagen. Tatsächlich ist es
ja sehr bald so gekommen.

Der deutsche Handel hat zwei natürliche Wege in die Welt hinaus: nach
Süden und Südosten in die alten Kulturländer des Mittelmeers und weiter
durch den Suezkanal in den Indischen und Großen Ozean, und nach Nord¬
westen aus der deutschen Bucht durch die englischen Gewässer in den Atlantischen
Ozean. Im Altertum und Mittelalter war das Atlantische Meer der äußerste
Westen, das Ende der Welt. Folglich war Deutschlands wirtschaftliches Gesicht
überwiegend dem Süden zugekehrt. Kreuzzug und Römerfahrt wiesen auch
dem Kaufmann den Weg. In Schwaben, Franken und am Rhein lagen
unsere großen Handelsstädte. Der hanseatische Norden bildete ein besonderes
eigenartiges Handelsgebiet, das mehr um die Ostsee als um die Nordsee herum
gruppiert und jedenfalls keineswegs an atlantische Welthandelsstraßen ange¬
schlossen war, weil es eben diese damals noch gar nicht gab. Mittelmeerkultur
und Ostseekultur waren im Altertum getrennte Zentren der europäischen Mensch¬
heit gewesen, deren jedes über einen ziemlich selbständigen ökonomischen Blut¬
kreislauf verfügte. Diese alte Tatsache wirkte in der gesamten Kultur- und
Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters noch nach. Sie erklärt den Gegensatz der
Politik Friedrich Barbarossas und Heinrichs des Löwen, begründet den Wider¬
streit zwischen italienische» Interessen und ostdeutscher Kolonisation, zwischen
Kreuzzugsimperialismus und Ostseeherrschaft. Daß es einen, gegenüber dem
griechisch-lateinischen, selbständigen nordischen Kulturkreis gegeben hat, hat erst
die moderne germanische Anihropologie und Archäologie aufgeklärt. Die gründ¬
liche Aufhellung der Nachwirkungen dieser alten Kulturantithese in der deutschen
Geschichte bleibt sogar erst noch künftiger Forschung und Darstellung überlassen.
Die lateinische Kultur mußte in Deutschland über die nordische siegen, weil sie
an die Wegs des Welthandels angeschlossen war, während die nordische am
Rande der Welt lag. Alle höhere Kultur des deutschen Mittelalters und auch
der ersten Jahrhunderte der Neuzeit wurde lateinisch, und im wesentlichen erst
im neunzehnten Jahrhundert hat unsere Bildung begonnen, dagegen zu reagieren.
Seit der Entdeckung des atlantischen Seewegs waren die Welthandelsmöglich¬
keiten gründlich verwandelt. Mehr und mehr waren es die westlichen Rand-
lünder unseres Erdteils, die den Reichtum der Welt zuerst aufsogen, während
die Handelsplätze Italiens und der Levante in ihrer Bedeutung stark zurück¬
gingen. Jetzt erst konnte der Weg zu den Schätzen der Welt auch durch die
Nordsee führen. Deutschlands Kultur schaute nun nicht mehr überwiegend


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[0383] Das Vermächtnis Brucks II. Die Zukunft der deutschen Weltpolitik. Im Jahre 1859 schrieb Brück, es sei Österreichs Aufgabe, zu verhindern, daß Deutschland ökonomisch einseitig nach Norden gravitiere. Wenn es nicht gelinge, der wirtschaftlichen Zusammenfassung eine bundesrechtliche Grundlage zu geben, wenn der separate Zollverein weiter bestehe, dann müsse er not¬ wendig den Bund sprengen und eigene Wege einschlagen. Tatsächlich ist es ja sehr bald so gekommen. Der deutsche Handel hat zwei natürliche Wege in die Welt hinaus: nach Süden und Südosten in die alten Kulturländer des Mittelmeers und weiter durch den Suezkanal in den Indischen und Großen Ozean, und nach Nord¬ westen aus der deutschen Bucht durch die englischen Gewässer in den Atlantischen Ozean. Im Altertum und Mittelalter war das Atlantische Meer der äußerste Westen, das Ende der Welt. Folglich war Deutschlands wirtschaftliches Gesicht überwiegend dem Süden zugekehrt. Kreuzzug und Römerfahrt wiesen auch dem Kaufmann den Weg. In Schwaben, Franken und am Rhein lagen unsere großen Handelsstädte. Der hanseatische Norden bildete ein besonderes eigenartiges Handelsgebiet, das mehr um die Ostsee als um die Nordsee herum gruppiert und jedenfalls keineswegs an atlantische Welthandelsstraßen ange¬ schlossen war, weil es eben diese damals noch gar nicht gab. Mittelmeerkultur und Ostseekultur waren im Altertum getrennte Zentren der europäischen Mensch¬ heit gewesen, deren jedes über einen ziemlich selbständigen ökonomischen Blut¬ kreislauf verfügte. Diese alte Tatsache wirkte in der gesamten Kultur- und Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters noch nach. Sie erklärt den Gegensatz der Politik Friedrich Barbarossas und Heinrichs des Löwen, begründet den Wider¬ streit zwischen italienische» Interessen und ostdeutscher Kolonisation, zwischen Kreuzzugsimperialismus und Ostseeherrschaft. Daß es einen, gegenüber dem griechisch-lateinischen, selbständigen nordischen Kulturkreis gegeben hat, hat erst die moderne germanische Anihropologie und Archäologie aufgeklärt. Die gründ¬ liche Aufhellung der Nachwirkungen dieser alten Kulturantithese in der deutschen Geschichte bleibt sogar erst noch künftiger Forschung und Darstellung überlassen. Die lateinische Kultur mußte in Deutschland über die nordische siegen, weil sie an die Wegs des Welthandels angeschlossen war, während die nordische am Rande der Welt lag. Alle höhere Kultur des deutschen Mittelalters und auch der ersten Jahrhunderte der Neuzeit wurde lateinisch, und im wesentlichen erst im neunzehnten Jahrhundert hat unsere Bildung begonnen, dagegen zu reagieren. Seit der Entdeckung des atlantischen Seewegs waren die Welthandelsmöglich¬ keiten gründlich verwandelt. Mehr und mehr waren es die westlichen Rand- lünder unseres Erdteils, die den Reichtum der Welt zuerst aufsogen, während die Handelsplätze Italiens und der Levante in ihrer Bedeutung stark zurück¬ gingen. Jetzt erst konnte der Weg zu den Schätzen der Welt auch durch die Nordsee führen. Deutschlands Kultur schaute nun nicht mehr überwiegend 24*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/383>, abgerufen am 22.07.2024.