Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Vermächtnis Brucks

Charmatz in den Denkschriften Brucks. Auch diese waren der Wissenschaft
längst gedruckt zugänglich, aber die weitere Öffentlichkeit bedarf sehr wohl dieses
neuen Hinweises und dieser bequemen Zusammenstellung. Als wissenschaftliche
Biographie ist das Buch von Charmatz nicht zulänglich. Da stellen wir heute,
seit wir den "Bismarck" von Erich Marcks und den "Mevissen" von Josef
Hansen besitzen, ganz andere Anforderungen. Charmatz ist ein liberaler
Publizist, dessen Bücher, wie die "Deutsch-österreichische Politik" von 1907,
und dessen Aufsätze in der "Hilfe" und anderen liberalen Organen vom Stand¬
punkte seiner Partei ganz brauchbar, aber nicht epochemachend sind. Zum
historischen Biographen fehlt ihm wohl der eigentliche Beruf. Das Buch über
Brück ist offensichtlich viel zu schnell entstanden. Es lag dem Verfasser begreif¬
licherweise daran. Brück noch im Kriege, bevor man an die Lösung des Mittel¬
europaproblems herangeht, zu Gehör zu bringen. Das Wertvollste an dem
Buche ist eben der zweite Teil, wo Brück selber in seinen Denkschriften zu uns
spricht. Um seinetwillen vor allem muß man dem Werke von Charmatz recht
guten Erfolg wünschen.

Auch ich bin der Meinung, daß in einer Zeit, die in irgend einer Form
Mitteleuropa wird neu ordnen müssen, Brucks Vermächtnis nicht unbeachtet
bleiben darf. Österreichs große Staatsmänner müssen, wenn auch keiner von
ihnen an die Dimensionen Vismarcks heranreicht, in unserm politischen Denken
zu Ehren kommen. Denn unsere Zsit wächst wieder in die Aufgaben hinein,
die zu Brucks Zeiten noch nicht lösbar waren. Darum unternehme ich es hier,
das Vermächtnis Brucks. wie ich es anschaue, im Umriß zu deuten.

I.
Österreichs innere Zukunft.

Das große Geheimnis, warum es Bismarck gelang, das Deutsche Reich
aufzurichten, was so vielen begabten Staatsmännern und vom besten Willen
beseelten Politikern vor ihm nicht gelungen war, beruht wesentlich darin, daß
er es verstand, das Interesse Preußens im deutschen Interesse wiederzufinden,
den Egoismus des Hohenzollernstaates selber der nationalen Sache dienstbar zu
machen. Alle politischen Ideale können nur dann der Verwirklichung entgegen¬
reifen, wenn politische Mächte sich veranlaßt sehen, ihrem Banner zu folgen.
Österreich fand, als es in Wettbewerb mit Preußen um die Vorherrschaft in
Deutschland stand, den großen Führer nicht, der es verstanden hätte, seinen
Staatsegoismus mit der deutschen Sache in Einklang zu bringen. Fürst Felix
Schwarzenberg, der Neugestalter der von der Revolution schwer erschütterten
Donaumonarchie, der diplomatische Sieger von Olmütz, wäre der berufene
Mann gewesen. Aber der skeptische Grandseigneur hielt von den politischen
Idealen der deutschen Nation nicht viel und glaubte nicht daran, daß Staaten
einen nationalen Beruf haben können, obwohl in seinem Kabinett ein Mit¬
arbeiter saß, der ihm davon hätte überzeugen können und gewiß nichts ver¬
säumt hat, oft darauf hinzuweisen, wie bitter nötig auch dem österreichischen Staate


Das Vermächtnis Brucks

Charmatz in den Denkschriften Brucks. Auch diese waren der Wissenschaft
längst gedruckt zugänglich, aber die weitere Öffentlichkeit bedarf sehr wohl dieses
neuen Hinweises und dieser bequemen Zusammenstellung. Als wissenschaftliche
Biographie ist das Buch von Charmatz nicht zulänglich. Da stellen wir heute,
seit wir den „Bismarck" von Erich Marcks und den „Mevissen" von Josef
Hansen besitzen, ganz andere Anforderungen. Charmatz ist ein liberaler
Publizist, dessen Bücher, wie die „Deutsch-österreichische Politik" von 1907,
und dessen Aufsätze in der „Hilfe" und anderen liberalen Organen vom Stand¬
punkte seiner Partei ganz brauchbar, aber nicht epochemachend sind. Zum
historischen Biographen fehlt ihm wohl der eigentliche Beruf. Das Buch über
Brück ist offensichtlich viel zu schnell entstanden. Es lag dem Verfasser begreif¬
licherweise daran. Brück noch im Kriege, bevor man an die Lösung des Mittel¬
europaproblems herangeht, zu Gehör zu bringen. Das Wertvollste an dem
Buche ist eben der zweite Teil, wo Brück selber in seinen Denkschriften zu uns
spricht. Um seinetwillen vor allem muß man dem Werke von Charmatz recht
guten Erfolg wünschen.

Auch ich bin der Meinung, daß in einer Zeit, die in irgend einer Form
Mitteleuropa wird neu ordnen müssen, Brucks Vermächtnis nicht unbeachtet
bleiben darf. Österreichs große Staatsmänner müssen, wenn auch keiner von
ihnen an die Dimensionen Vismarcks heranreicht, in unserm politischen Denken
zu Ehren kommen. Denn unsere Zsit wächst wieder in die Aufgaben hinein,
die zu Brucks Zeiten noch nicht lösbar waren. Darum unternehme ich es hier,
das Vermächtnis Brucks. wie ich es anschaue, im Umriß zu deuten.

I.
Österreichs innere Zukunft.

Das große Geheimnis, warum es Bismarck gelang, das Deutsche Reich
aufzurichten, was so vielen begabten Staatsmännern und vom besten Willen
beseelten Politikern vor ihm nicht gelungen war, beruht wesentlich darin, daß
er es verstand, das Interesse Preußens im deutschen Interesse wiederzufinden,
den Egoismus des Hohenzollernstaates selber der nationalen Sache dienstbar zu
machen. Alle politischen Ideale können nur dann der Verwirklichung entgegen¬
reifen, wenn politische Mächte sich veranlaßt sehen, ihrem Banner zu folgen.
Österreich fand, als es in Wettbewerb mit Preußen um die Vorherrschaft in
Deutschland stand, den großen Führer nicht, der es verstanden hätte, seinen
Staatsegoismus mit der deutschen Sache in Einklang zu bringen. Fürst Felix
Schwarzenberg, der Neugestalter der von der Revolution schwer erschütterten
Donaumonarchie, der diplomatische Sieger von Olmütz, wäre der berufene
Mann gewesen. Aber der skeptische Grandseigneur hielt von den politischen
Idealen der deutschen Nation nicht viel und glaubte nicht daran, daß Staaten
einen nationalen Beruf haben können, obwohl in seinem Kabinett ein Mit¬
arbeiter saß, der ihm davon hätte überzeugen können und gewiß nichts ver¬
säumt hat, oft darauf hinzuweisen, wie bitter nötig auch dem österreichischen Staate


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0377" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331785"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Vermächtnis Brucks</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1237" prev="#ID_1236"> Charmatz in den Denkschriften Brucks. Auch diese waren der Wissenschaft<lb/>
längst gedruckt zugänglich, aber die weitere Öffentlichkeit bedarf sehr wohl dieses<lb/>
neuen Hinweises und dieser bequemen Zusammenstellung. Als wissenschaftliche<lb/>
Biographie ist das Buch von Charmatz nicht zulänglich. Da stellen wir heute,<lb/>
seit wir den &#x201E;Bismarck" von Erich Marcks und den &#x201E;Mevissen" von Josef<lb/>
Hansen besitzen, ganz andere Anforderungen. Charmatz ist ein liberaler<lb/>
Publizist, dessen Bücher, wie die &#x201E;Deutsch-österreichische Politik" von 1907,<lb/>
und dessen Aufsätze in der &#x201E;Hilfe" und anderen liberalen Organen vom Stand¬<lb/>
punkte seiner Partei ganz brauchbar, aber nicht epochemachend sind. Zum<lb/>
historischen Biographen fehlt ihm wohl der eigentliche Beruf. Das Buch über<lb/>
Brück ist offensichtlich viel zu schnell entstanden. Es lag dem Verfasser begreif¬<lb/>
licherweise daran. Brück noch im Kriege, bevor man an die Lösung des Mittel¬<lb/>
europaproblems herangeht, zu Gehör zu bringen. Das Wertvollste an dem<lb/>
Buche ist eben der zweite Teil, wo Brück selber in seinen Denkschriften zu uns<lb/>
spricht. Um seinetwillen vor allem muß man dem Werke von Charmatz recht<lb/>
guten Erfolg wünschen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1238"> Auch ich bin der Meinung, daß in einer Zeit, die in irgend einer Form<lb/>
Mitteleuropa wird neu ordnen müssen, Brucks Vermächtnis nicht unbeachtet<lb/>
bleiben darf. Österreichs große Staatsmänner müssen, wenn auch keiner von<lb/>
ihnen an die Dimensionen Vismarcks heranreicht, in unserm politischen Denken<lb/>
zu Ehren kommen. Denn unsere Zsit wächst wieder in die Aufgaben hinein,<lb/>
die zu Brucks Zeiten noch nicht lösbar waren. Darum unternehme ich es hier,<lb/>
das Vermächtnis Brucks. wie ich es anschaue, im Umriß zu deuten.</p><lb/>
          <div n="2">
            <head> I.<lb/>
Österreichs innere Zukunft.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1239" next="#ID_1240"> Das große Geheimnis, warum es Bismarck gelang, das Deutsche Reich<lb/>
aufzurichten, was so vielen begabten Staatsmännern und vom besten Willen<lb/>
beseelten Politikern vor ihm nicht gelungen war, beruht wesentlich darin, daß<lb/>
er es verstand, das Interesse Preußens im deutschen Interesse wiederzufinden,<lb/>
den Egoismus des Hohenzollernstaates selber der nationalen Sache dienstbar zu<lb/>
machen. Alle politischen Ideale können nur dann der Verwirklichung entgegen¬<lb/>
reifen, wenn politische Mächte sich veranlaßt sehen, ihrem Banner zu folgen.<lb/>
Österreich fand, als es in Wettbewerb mit Preußen um die Vorherrschaft in<lb/>
Deutschland stand, den großen Führer nicht, der es verstanden hätte, seinen<lb/>
Staatsegoismus mit der deutschen Sache in Einklang zu bringen. Fürst Felix<lb/>
Schwarzenberg, der Neugestalter der von der Revolution schwer erschütterten<lb/>
Donaumonarchie, der diplomatische Sieger von Olmütz, wäre der berufene<lb/>
Mann gewesen. Aber der skeptische Grandseigneur hielt von den politischen<lb/>
Idealen der deutschen Nation nicht viel und glaubte nicht daran, daß Staaten<lb/>
einen nationalen Beruf haben können, obwohl in seinem Kabinett ein Mit¬<lb/>
arbeiter saß, der ihm davon hätte überzeugen können und gewiß nichts ver¬<lb/>
säumt hat, oft darauf hinzuweisen, wie bitter nötig auch dem österreichischen Staate</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0377] Das Vermächtnis Brucks Charmatz in den Denkschriften Brucks. Auch diese waren der Wissenschaft längst gedruckt zugänglich, aber die weitere Öffentlichkeit bedarf sehr wohl dieses neuen Hinweises und dieser bequemen Zusammenstellung. Als wissenschaftliche Biographie ist das Buch von Charmatz nicht zulänglich. Da stellen wir heute, seit wir den „Bismarck" von Erich Marcks und den „Mevissen" von Josef Hansen besitzen, ganz andere Anforderungen. Charmatz ist ein liberaler Publizist, dessen Bücher, wie die „Deutsch-österreichische Politik" von 1907, und dessen Aufsätze in der „Hilfe" und anderen liberalen Organen vom Stand¬ punkte seiner Partei ganz brauchbar, aber nicht epochemachend sind. Zum historischen Biographen fehlt ihm wohl der eigentliche Beruf. Das Buch über Brück ist offensichtlich viel zu schnell entstanden. Es lag dem Verfasser begreif¬ licherweise daran. Brück noch im Kriege, bevor man an die Lösung des Mittel¬ europaproblems herangeht, zu Gehör zu bringen. Das Wertvollste an dem Buche ist eben der zweite Teil, wo Brück selber in seinen Denkschriften zu uns spricht. Um seinetwillen vor allem muß man dem Werke von Charmatz recht guten Erfolg wünschen. Auch ich bin der Meinung, daß in einer Zeit, die in irgend einer Form Mitteleuropa wird neu ordnen müssen, Brucks Vermächtnis nicht unbeachtet bleiben darf. Österreichs große Staatsmänner müssen, wenn auch keiner von ihnen an die Dimensionen Vismarcks heranreicht, in unserm politischen Denken zu Ehren kommen. Denn unsere Zsit wächst wieder in die Aufgaben hinein, die zu Brucks Zeiten noch nicht lösbar waren. Darum unternehme ich es hier, das Vermächtnis Brucks. wie ich es anschaue, im Umriß zu deuten. I. Österreichs innere Zukunft. Das große Geheimnis, warum es Bismarck gelang, das Deutsche Reich aufzurichten, was so vielen begabten Staatsmännern und vom besten Willen beseelten Politikern vor ihm nicht gelungen war, beruht wesentlich darin, daß er es verstand, das Interesse Preußens im deutschen Interesse wiederzufinden, den Egoismus des Hohenzollernstaates selber der nationalen Sache dienstbar zu machen. Alle politischen Ideale können nur dann der Verwirklichung entgegen¬ reifen, wenn politische Mächte sich veranlaßt sehen, ihrem Banner zu folgen. Österreich fand, als es in Wettbewerb mit Preußen um die Vorherrschaft in Deutschland stand, den großen Führer nicht, der es verstanden hätte, seinen Staatsegoismus mit der deutschen Sache in Einklang zu bringen. Fürst Felix Schwarzenberg, der Neugestalter der von der Revolution schwer erschütterten Donaumonarchie, der diplomatische Sieger von Olmütz, wäre der berufene Mann gewesen. Aber der skeptische Grandseigneur hielt von den politischen Idealen der deutschen Nation nicht viel und glaubte nicht daran, daß Staaten einen nationalen Beruf haben können, obwohl in seinem Kabinett ein Mit¬ arbeiter saß, der ihm davon hätte überzeugen können und gewiß nichts ver¬ säumt hat, oft darauf hinzuweisen, wie bitter nötig auch dem österreichischen Staate

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/377
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/377>, abgerufen am 22.07.2024.