Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Deutschland und England in Afrika
Oberlehrer Dr. Wütschke von(Schluß)

Deutsch-Ostafrika. Es ist das größte Schmerzenskind der britischen
imperialistischen Politik in Afrika. Seit Englands Plan, durch das Kongobecken
hindurch einen Zusammenschluß des ägyptischen Sudan mit Britisch Südafrika
zu erreichen, in dem Augenblick der Unabhängigkeitserklärung des Kongostaates
Zunächst gescheitert war, versuchte es, östlich der großen Seen eine Verbindung
zu erlangen. Aber die Schwierigkeiten waren für England größer, die Umstände
für Deutschland günstiger, als man in England geahnt hatte.

Ihren Ausgang nahm die englisch-ostafrikanische Politik von der Insel
Sansibar. Sansibar galt seit Jahrhunderten als der beste Hafen und der
günstigste Stapelplatz an der afrikanischen Ostküste vom Roten Meer bis zur
Delagoabai. Durch klimatische Verhältnisse begünstigt, war es von Indern und
Arabern zum Mittelpunkt des Tauschhandels erhoben, der sich hier zwischen
ihnen und den Eingeborenen des ostafrikanischen Seengebiets abwickelte. So
war Sansibar bereits um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts der besuchteste
Handelsplatz des afrikanischen Ostens und als solcher für England um so
begehrenswerter, als von 1859 an der Bau des Suezkanals neue Handelsaussichten
im Indischen Ozean eröffnete. Zwar liebäugelte auch die Regierung Napoleons
des Dritten bereits mit dem Besitz der Insel; aber England konnte 1862 Frank¬
reich veranlassen, in eine scheinbar alle Teile befriedigende Lösung einzuwilligen:
beide Staaten kamen überein, die Unabhängigkeit des Sultanats Sansibar zu
achten. In Wirklichkeit hat England mit diesem Vertrag bereits gewonnenes
Spiel*). Sein unter dem Deckmantel eines Generalkonsuls eingesetzter Beamter
war Vertrauter und erster Berater des Sultans. Nicht ohne Grund gilt noch
heute in England das Wirken Sir John Kirks als besonders erfolgreich. Und
als 1870 der Sultan starb und sein Nachfolger nicht willig auf den Bahnen
seines Vorgängers wandelte, da setzte England, dem vergeblichen Einspruch des
in den Krieg mit Deutschland verwickelten Frankreich hohnlachend, dem neuen
Sultan die Pistole auf die Brust, d. h. es drohte mit einem Bombardement



*) Es sei daran erinnert, daß 1907 England in ganz ähnlicher Weise Rußland von Persien
fernzuhalten wußte, indem es mit Rußland den bekannten Vertrag des Inhaltes schloß, daß
beide Großmächte die Unabhängigkeit und die Unantastbarkeit der Persischen Souveränität
sich gegenseitig garantierten.


Deutschland und England in Afrika
Oberlehrer Dr. Wütschke von(Schluß)

Deutsch-Ostafrika. Es ist das größte Schmerzenskind der britischen
imperialistischen Politik in Afrika. Seit Englands Plan, durch das Kongobecken
hindurch einen Zusammenschluß des ägyptischen Sudan mit Britisch Südafrika
zu erreichen, in dem Augenblick der Unabhängigkeitserklärung des Kongostaates
Zunächst gescheitert war, versuchte es, östlich der großen Seen eine Verbindung
zu erlangen. Aber die Schwierigkeiten waren für England größer, die Umstände
für Deutschland günstiger, als man in England geahnt hatte.

Ihren Ausgang nahm die englisch-ostafrikanische Politik von der Insel
Sansibar. Sansibar galt seit Jahrhunderten als der beste Hafen und der
günstigste Stapelplatz an der afrikanischen Ostküste vom Roten Meer bis zur
Delagoabai. Durch klimatische Verhältnisse begünstigt, war es von Indern und
Arabern zum Mittelpunkt des Tauschhandels erhoben, der sich hier zwischen
ihnen und den Eingeborenen des ostafrikanischen Seengebiets abwickelte. So
war Sansibar bereits um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts der besuchteste
Handelsplatz des afrikanischen Ostens und als solcher für England um so
begehrenswerter, als von 1859 an der Bau des Suezkanals neue Handelsaussichten
im Indischen Ozean eröffnete. Zwar liebäugelte auch die Regierung Napoleons
des Dritten bereits mit dem Besitz der Insel; aber England konnte 1862 Frank¬
reich veranlassen, in eine scheinbar alle Teile befriedigende Lösung einzuwilligen:
beide Staaten kamen überein, die Unabhängigkeit des Sultanats Sansibar zu
achten. In Wirklichkeit hat England mit diesem Vertrag bereits gewonnenes
Spiel*). Sein unter dem Deckmantel eines Generalkonsuls eingesetzter Beamter
war Vertrauter und erster Berater des Sultans. Nicht ohne Grund gilt noch
heute in England das Wirken Sir John Kirks als besonders erfolgreich. Und
als 1870 der Sultan starb und sein Nachfolger nicht willig auf den Bahnen
seines Vorgängers wandelte, da setzte England, dem vergeblichen Einspruch des
in den Krieg mit Deutschland verwickelten Frankreich hohnlachend, dem neuen
Sultan die Pistole auf die Brust, d. h. es drohte mit einem Bombardement



*) Es sei daran erinnert, daß 1907 England in ganz ähnlicher Weise Rußland von Persien
fernzuhalten wußte, indem es mit Rußland den bekannten Vertrag des Inhaltes schloß, daß
beide Großmächte die Unabhängigkeit und die Unantastbarkeit der Persischen Souveränität
sich gegenseitig garantierten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0345" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331753"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341905_331409/figures/grenzboten_341905_331409_331753_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Deutschland und England in Afrika<lb/><note type="byline"> Oberlehrer Dr. Wütschke</note> von(Schluß)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1129"> Deutsch-Ostafrika. Es ist das größte Schmerzenskind der britischen<lb/>
imperialistischen Politik in Afrika. Seit Englands Plan, durch das Kongobecken<lb/>
hindurch einen Zusammenschluß des ägyptischen Sudan mit Britisch Südafrika<lb/>
zu erreichen, in dem Augenblick der Unabhängigkeitserklärung des Kongostaates<lb/>
Zunächst gescheitert war, versuchte es, östlich der großen Seen eine Verbindung<lb/>
zu erlangen. Aber die Schwierigkeiten waren für England größer, die Umstände<lb/>
für Deutschland günstiger, als man in England geahnt hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1130" next="#ID_1131"> Ihren Ausgang nahm die englisch-ostafrikanische Politik von der Insel<lb/>
Sansibar. Sansibar galt seit Jahrhunderten als der beste Hafen und der<lb/>
günstigste Stapelplatz an der afrikanischen Ostküste vom Roten Meer bis zur<lb/>
Delagoabai. Durch klimatische Verhältnisse begünstigt, war es von Indern und<lb/>
Arabern zum Mittelpunkt des Tauschhandels erhoben, der sich hier zwischen<lb/>
ihnen und den Eingeborenen des ostafrikanischen Seengebiets abwickelte. So<lb/>
war Sansibar bereits um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts der besuchteste<lb/>
Handelsplatz des afrikanischen Ostens und als solcher für England um so<lb/>
begehrenswerter, als von 1859 an der Bau des Suezkanals neue Handelsaussichten<lb/>
im Indischen Ozean eröffnete. Zwar liebäugelte auch die Regierung Napoleons<lb/>
des Dritten bereits mit dem Besitz der Insel; aber England konnte 1862 Frank¬<lb/>
reich veranlassen, in eine scheinbar alle Teile befriedigende Lösung einzuwilligen:<lb/>
beide Staaten kamen überein, die Unabhängigkeit des Sultanats Sansibar zu<lb/>
achten. In Wirklichkeit hat England mit diesem Vertrag bereits gewonnenes<lb/>
Spiel*). Sein unter dem Deckmantel eines Generalkonsuls eingesetzter Beamter<lb/>
war Vertrauter und erster Berater des Sultans. Nicht ohne Grund gilt noch<lb/>
heute in England das Wirken Sir John Kirks als besonders erfolgreich. Und<lb/>
als 1870 der Sultan starb und sein Nachfolger nicht willig auf den Bahnen<lb/>
seines Vorgängers wandelte, da setzte England, dem vergeblichen Einspruch des<lb/>
in den Krieg mit Deutschland verwickelten Frankreich hohnlachend, dem neuen<lb/>
Sultan die Pistole auf die Brust, d. h. es drohte mit einem Bombardement</p><lb/>
          <note xml:id="FID_47" place="foot"> *) Es sei daran erinnert, daß 1907 England in ganz ähnlicher Weise Rußland von Persien<lb/>
fernzuhalten wußte, indem es mit Rußland den bekannten Vertrag des Inhaltes schloß, daß<lb/>
beide Großmächte die Unabhängigkeit und die Unantastbarkeit der Persischen Souveränität<lb/>
sich gegenseitig garantierten.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0345] [Abbildung] Deutschland und England in Afrika Oberlehrer Dr. Wütschke von(Schluß) Deutsch-Ostafrika. Es ist das größte Schmerzenskind der britischen imperialistischen Politik in Afrika. Seit Englands Plan, durch das Kongobecken hindurch einen Zusammenschluß des ägyptischen Sudan mit Britisch Südafrika zu erreichen, in dem Augenblick der Unabhängigkeitserklärung des Kongostaates Zunächst gescheitert war, versuchte es, östlich der großen Seen eine Verbindung zu erlangen. Aber die Schwierigkeiten waren für England größer, die Umstände für Deutschland günstiger, als man in England geahnt hatte. Ihren Ausgang nahm die englisch-ostafrikanische Politik von der Insel Sansibar. Sansibar galt seit Jahrhunderten als der beste Hafen und der günstigste Stapelplatz an der afrikanischen Ostküste vom Roten Meer bis zur Delagoabai. Durch klimatische Verhältnisse begünstigt, war es von Indern und Arabern zum Mittelpunkt des Tauschhandels erhoben, der sich hier zwischen ihnen und den Eingeborenen des ostafrikanischen Seengebiets abwickelte. So war Sansibar bereits um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts der besuchteste Handelsplatz des afrikanischen Ostens und als solcher für England um so begehrenswerter, als von 1859 an der Bau des Suezkanals neue Handelsaussichten im Indischen Ozean eröffnete. Zwar liebäugelte auch die Regierung Napoleons des Dritten bereits mit dem Besitz der Insel; aber England konnte 1862 Frank¬ reich veranlassen, in eine scheinbar alle Teile befriedigende Lösung einzuwilligen: beide Staaten kamen überein, die Unabhängigkeit des Sultanats Sansibar zu achten. In Wirklichkeit hat England mit diesem Vertrag bereits gewonnenes Spiel*). Sein unter dem Deckmantel eines Generalkonsuls eingesetzter Beamter war Vertrauter und erster Berater des Sultans. Nicht ohne Grund gilt noch heute in England das Wirken Sir John Kirks als besonders erfolgreich. Und als 1870 der Sultan starb und sein Nachfolger nicht willig auf den Bahnen seines Vorgängers wandelte, da setzte England, dem vergeblichen Einspruch des in den Krieg mit Deutschland verwickelten Frankreich hohnlachend, dem neuen Sultan die Pistole auf die Brust, d. h. es drohte mit einem Bombardement *) Es sei daran erinnert, daß 1907 England in ganz ähnlicher Weise Rußland von Persien fernzuhalten wußte, indem es mit Rußland den bekannten Vertrag des Inhaltes schloß, daß beide Großmächte die Unabhängigkeit und die Unantastbarkeit der Persischen Souveränität sich gegenseitig garantierten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/345
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/345>, abgerufen am 22.07.2024.