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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und England in Afrika

Ägypten und Südafrika sah, seitdem durch Eröffnung des Suezkanals für Eng¬
land das politische Schwergewicht in Afrika nicht mehr an der afrikanischen
West- und Südküste, sondern im Nordosten lag. Sobald freilich Frankreich
Miene machte, die für den neuen Seeweg nach Ostindien wichtigen Interessen-
kreise zu stören, rief es die englische Feindschaft hervor, wie der "Fall Faschoda"
und die Marokkokonferenz, namentlich die Behandlung der Tangerfrage, lehren.
Im übrigen aber konnte die imperialistische Afrikapolitik Englands, die schließlich
ihr Ziel in einem "Afrikareich vom Kap bis Kairo" sah. nur Deutschland als
den einzigen Gegner und Störer seines afrikanischen Großkolonialreiches betrachten.
Den größten Schmerz bereitete es England, daß die deutsche Besitzergreifung
eines Teiles von Ostafrika bis zu den großen Seen und zum unabhängigen
Kongostaat bereits einen Keil in dieses Gebiet getrieben hatte, ehe England das
Ziel des ersehnten Afrikareichs völlig klar vor Augen stand. Zwar standen
ihm auch noch portugiesische Besitzungen und die Burenrepubliken im Wege,
aber sie waren England weniger bedenklich als Deutsch-Ostafrika. Darübe?
kann kein Zweifel bestehen: die englische Afrikapolitik wird seit dem Jahre 1884
völlig von dem Verhalten Deutschlands in Afrika bestimmt. Seitdem lassen
sich zwei Bestrebungen Englands in Afrika klar verfolgen: die Zurückdrängung,
mindestens Schädigung der deutschen Machtgebiete und die immer deutlichere
Entwickelung eines einheitlichen Afrikareichs vom Kap bis Kairo als Gegen-
gewicht des deutschen Einflusses, aber unter möglichster Ausschaltung aller
fremden Interessen. Beide Bestrebungen gingen teils Hand in Hand, wie in
Ostafrika, wo bald die eine, bald die andere stärker hervortrat, teils fand, wie
in Westafrika, nur die erste ihren vollen Ausdruck.

Das eine der beiden Ziele, die Absperrung und Schädigung Deutschlands
in Afrika, war vor Ausbruch des großen Krieges tatsächlich bereits erreicht, dem
andern glaubte England kurz vor Beginn des Krieges nahe zu sein, ja. es er¬
hofft vielleicht seine Verwirklichung, wenn ihm als Lohn seiner Unterstützung
des angeblich überfallenen Belgien ein Teil des Kongostaates und Deutsch-Ost¬
afrika zufiele. Der Ausgang des Krieges erst wird nun die volle Lösung der
Fragen geben, die mit diesen beiden englisch-afrikanischen Bestrebungen im
Zusammenhang stehen. Er kann sehr wohl die Mängel mildern, die die Er¬
reichung des ersten Ziels durch England gezeitigt hat; das zweite aber könnte
immerhin für England in nebelhafte Ferne rücken, wenn nicht für immer als
unerreichbar entschwinden.

Deutsch-Südwestafrika.

Es ist bemerkenswert, daß England fast zum
gleichen Zeitpunkt, als die Kongofrage zur Verhandlung stand, mit seiner Haltung
Deutschland gegenüber offen hervortrat. Bereits zu Beginn des 5. Jahrzehnts
des 19. Jahrhunderts hatte die rheinische Missionsgesellschaft an der Südwest¬
küste Afrikas vom Kap bis ins Damaraland hinein Stationen errichtet. Dieser
christlichen Liebestätigkeit folgten bald Kaufleute, und bereits 1868 wendete
Bismar! diesem Gebiete, wenn auch wohl ohne territoriale Absichten, seine Auf-


Deutschland und England in Afrika

Ägypten und Südafrika sah, seitdem durch Eröffnung des Suezkanals für Eng¬
land das politische Schwergewicht in Afrika nicht mehr an der afrikanischen
West- und Südküste, sondern im Nordosten lag. Sobald freilich Frankreich
Miene machte, die für den neuen Seeweg nach Ostindien wichtigen Interessen-
kreise zu stören, rief es die englische Feindschaft hervor, wie der „Fall Faschoda"
und die Marokkokonferenz, namentlich die Behandlung der Tangerfrage, lehren.
Im übrigen aber konnte die imperialistische Afrikapolitik Englands, die schließlich
ihr Ziel in einem „Afrikareich vom Kap bis Kairo" sah. nur Deutschland als
den einzigen Gegner und Störer seines afrikanischen Großkolonialreiches betrachten.
Den größten Schmerz bereitete es England, daß die deutsche Besitzergreifung
eines Teiles von Ostafrika bis zu den großen Seen und zum unabhängigen
Kongostaat bereits einen Keil in dieses Gebiet getrieben hatte, ehe England das
Ziel des ersehnten Afrikareichs völlig klar vor Augen stand. Zwar standen
ihm auch noch portugiesische Besitzungen und die Burenrepubliken im Wege,
aber sie waren England weniger bedenklich als Deutsch-Ostafrika. Darübe?
kann kein Zweifel bestehen: die englische Afrikapolitik wird seit dem Jahre 1884
völlig von dem Verhalten Deutschlands in Afrika bestimmt. Seitdem lassen
sich zwei Bestrebungen Englands in Afrika klar verfolgen: die Zurückdrängung,
mindestens Schädigung der deutschen Machtgebiete und die immer deutlichere
Entwickelung eines einheitlichen Afrikareichs vom Kap bis Kairo als Gegen-
gewicht des deutschen Einflusses, aber unter möglichster Ausschaltung aller
fremden Interessen. Beide Bestrebungen gingen teils Hand in Hand, wie in
Ostafrika, wo bald die eine, bald die andere stärker hervortrat, teils fand, wie
in Westafrika, nur die erste ihren vollen Ausdruck.

Das eine der beiden Ziele, die Absperrung und Schädigung Deutschlands
in Afrika, war vor Ausbruch des großen Krieges tatsächlich bereits erreicht, dem
andern glaubte England kurz vor Beginn des Krieges nahe zu sein, ja. es er¬
hofft vielleicht seine Verwirklichung, wenn ihm als Lohn seiner Unterstützung
des angeblich überfallenen Belgien ein Teil des Kongostaates und Deutsch-Ost¬
afrika zufiele. Der Ausgang des Krieges erst wird nun die volle Lösung der
Fragen geben, die mit diesen beiden englisch-afrikanischen Bestrebungen im
Zusammenhang stehen. Er kann sehr wohl die Mängel mildern, die die Er¬
reichung des ersten Ziels durch England gezeitigt hat; das zweite aber könnte
immerhin für England in nebelhafte Ferne rücken, wenn nicht für immer als
unerreichbar entschwinden.

Deutsch-Südwestafrika.

Es ist bemerkenswert, daß England fast zum
gleichen Zeitpunkt, als die Kongofrage zur Verhandlung stand, mit seiner Haltung
Deutschland gegenüber offen hervortrat. Bereits zu Beginn des 5. Jahrzehnts
des 19. Jahrhunderts hatte die rheinische Missionsgesellschaft an der Südwest¬
küste Afrikas vom Kap bis ins Damaraland hinein Stationen errichtet. Dieser
christlichen Liebestätigkeit folgten bald Kaufleute, und bereits 1868 wendete
Bismar! diesem Gebiete, wenn auch wohl ohne territoriale Absichten, seine Auf-


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[0311] Deutschland und England in Afrika Ägypten und Südafrika sah, seitdem durch Eröffnung des Suezkanals für Eng¬ land das politische Schwergewicht in Afrika nicht mehr an der afrikanischen West- und Südküste, sondern im Nordosten lag. Sobald freilich Frankreich Miene machte, die für den neuen Seeweg nach Ostindien wichtigen Interessen- kreise zu stören, rief es die englische Feindschaft hervor, wie der „Fall Faschoda" und die Marokkokonferenz, namentlich die Behandlung der Tangerfrage, lehren. Im übrigen aber konnte die imperialistische Afrikapolitik Englands, die schließlich ihr Ziel in einem „Afrikareich vom Kap bis Kairo" sah. nur Deutschland als den einzigen Gegner und Störer seines afrikanischen Großkolonialreiches betrachten. Den größten Schmerz bereitete es England, daß die deutsche Besitzergreifung eines Teiles von Ostafrika bis zu den großen Seen und zum unabhängigen Kongostaat bereits einen Keil in dieses Gebiet getrieben hatte, ehe England das Ziel des ersehnten Afrikareichs völlig klar vor Augen stand. Zwar standen ihm auch noch portugiesische Besitzungen und die Burenrepubliken im Wege, aber sie waren England weniger bedenklich als Deutsch-Ostafrika. Darübe? kann kein Zweifel bestehen: die englische Afrikapolitik wird seit dem Jahre 1884 völlig von dem Verhalten Deutschlands in Afrika bestimmt. Seitdem lassen sich zwei Bestrebungen Englands in Afrika klar verfolgen: die Zurückdrängung, mindestens Schädigung der deutschen Machtgebiete und die immer deutlichere Entwickelung eines einheitlichen Afrikareichs vom Kap bis Kairo als Gegen- gewicht des deutschen Einflusses, aber unter möglichster Ausschaltung aller fremden Interessen. Beide Bestrebungen gingen teils Hand in Hand, wie in Ostafrika, wo bald die eine, bald die andere stärker hervortrat, teils fand, wie in Westafrika, nur die erste ihren vollen Ausdruck. Das eine der beiden Ziele, die Absperrung und Schädigung Deutschlands in Afrika, war vor Ausbruch des großen Krieges tatsächlich bereits erreicht, dem andern glaubte England kurz vor Beginn des Krieges nahe zu sein, ja. es er¬ hofft vielleicht seine Verwirklichung, wenn ihm als Lohn seiner Unterstützung des angeblich überfallenen Belgien ein Teil des Kongostaates und Deutsch-Ost¬ afrika zufiele. Der Ausgang des Krieges erst wird nun die volle Lösung der Fragen geben, die mit diesen beiden englisch-afrikanischen Bestrebungen im Zusammenhang stehen. Er kann sehr wohl die Mängel mildern, die die Er¬ reichung des ersten Ziels durch England gezeitigt hat; das zweite aber könnte immerhin für England in nebelhafte Ferne rücken, wenn nicht für immer als unerreichbar entschwinden. Deutsch-Südwestafrika. Es ist bemerkenswert, daß England fast zum gleichen Zeitpunkt, als die Kongofrage zur Verhandlung stand, mit seiner Haltung Deutschland gegenüber offen hervortrat. Bereits zu Beginn des 5. Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts hatte die rheinische Missionsgesellschaft an der Südwest¬ küste Afrikas vom Kap bis ins Damaraland hinein Stationen errichtet. Dieser christlichen Liebestätigkeit folgten bald Kaufleute, und bereits 1868 wendete Bismar! diesem Gebiete, wenn auch wohl ohne territoriale Absichten, seine Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/311>, abgerufen am 22.07.2024.