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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Wilson, Japan und wir
Amtsgerichtsrat Gustav Schneider von

n dem Aufsatz "Unser Verhältnis zu Japan" (Ur. 4, 1917, der
"Grenzboten") sprach ich die Vermutung aus, daß zwischen
England und den Vereinigten Staaten von Nordamerika Ab¬
machungen bestünden, wonach die Union England im Falle eines
Konflikts (mit Deutschland) "wohlwollende Neutralität", dafür
aber England den Vereinigten Staaten bei einem Kriege mit Japan weit¬
gehende Unterstützung zuteil werden lassen müsse. Seit der Niederschrift dieses
Aufsatzes sind einige Ereignisse eingetreten, die jene damals ausgesprochene
Vermutung mehr als wahrscheinlich, fast als sicher erscheinen lassen. Schon
früher konnte man diese Vermutung auf die merkwürdigen Beweise von "Neu¬
tralität" gründen, die Wilson uns während des Krieges gegeben hatte. Der¬
selbe Mann, der seinerzeit die Ausführung von Waffen und Munition aus den
Vereinigten Staaten nach Mexiko als "unneutral" bezeichnet hatte, nahm den
umgekehrten Standpunkt in dem Weltkrieg der Entente gegenüber ein. --
Weiter sprach für jene Vermutung die ganze Wilsonsche Friedenspolitik. In
der Botschaft Wilsons an den amerikanischen Senat vom 22. Januar 1917
wurde es ganz deutlich, daß auf Wilson und den Vereinigten Staaten eine
schwere Sorge lastet: eben die drohende Auseinandersetzung mit Japan. Wenn
Wilson in der Botschaft sagte: "Nur ein ruhiges Europa kann ein dauerhaftes
Europa sein", so lag sofort die Frage nahe, welch großes Interesse denn
Wilson an einem "dauerhaften" Europa haben könne. Betrachtet man aber
die Lage der Union unter dem Gesichtswinkel der japanischen Frage, so leuchtet
ein, daß die Union, deren kriegerische Schwäche sich gerade eben in einer fast
lächerlichen Weise enthüllt hat, einem baldigen Angriffe Japans wehrlos preis¬
gegeben wäre, wenn sie nicht die Unterstützung eines einigermaßen kräftigen


Grenzboten I 1917 17


Wilson, Japan und wir
Amtsgerichtsrat Gustav Schneider von

n dem Aufsatz „Unser Verhältnis zu Japan" (Ur. 4, 1917, der
„Grenzboten") sprach ich die Vermutung aus, daß zwischen
England und den Vereinigten Staaten von Nordamerika Ab¬
machungen bestünden, wonach die Union England im Falle eines
Konflikts (mit Deutschland) „wohlwollende Neutralität", dafür
aber England den Vereinigten Staaten bei einem Kriege mit Japan weit¬
gehende Unterstützung zuteil werden lassen müsse. Seit der Niederschrift dieses
Aufsatzes sind einige Ereignisse eingetreten, die jene damals ausgesprochene
Vermutung mehr als wahrscheinlich, fast als sicher erscheinen lassen. Schon
früher konnte man diese Vermutung auf die merkwürdigen Beweise von „Neu¬
tralität" gründen, die Wilson uns während des Krieges gegeben hatte. Der¬
selbe Mann, der seinerzeit die Ausführung von Waffen und Munition aus den
Vereinigten Staaten nach Mexiko als „unneutral" bezeichnet hatte, nahm den
umgekehrten Standpunkt in dem Weltkrieg der Entente gegenüber ein. —
Weiter sprach für jene Vermutung die ganze Wilsonsche Friedenspolitik. In
der Botschaft Wilsons an den amerikanischen Senat vom 22. Januar 1917
wurde es ganz deutlich, daß auf Wilson und den Vereinigten Staaten eine
schwere Sorge lastet: eben die drohende Auseinandersetzung mit Japan. Wenn
Wilson in der Botschaft sagte: „Nur ein ruhiges Europa kann ein dauerhaftes
Europa sein", so lag sofort die Frage nahe, welch großes Interesse denn
Wilson an einem „dauerhaften" Europa haben könne. Betrachtet man aber
die Lage der Union unter dem Gesichtswinkel der japanischen Frage, so leuchtet
ein, daß die Union, deren kriegerische Schwäche sich gerade eben in einer fast
lächerlichen Weise enthüllt hat, einem baldigen Angriffe Japans wehrlos preis¬
gegeben wäre, wenn sie nicht die Unterstützung eines einigermaßen kräftigen


Grenzboten I 1917 17
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[0269] [Abbildung] Wilson, Japan und wir Amtsgerichtsrat Gustav Schneider von n dem Aufsatz „Unser Verhältnis zu Japan" (Ur. 4, 1917, der „Grenzboten") sprach ich die Vermutung aus, daß zwischen England und den Vereinigten Staaten von Nordamerika Ab¬ machungen bestünden, wonach die Union England im Falle eines Konflikts (mit Deutschland) „wohlwollende Neutralität", dafür aber England den Vereinigten Staaten bei einem Kriege mit Japan weit¬ gehende Unterstützung zuteil werden lassen müsse. Seit der Niederschrift dieses Aufsatzes sind einige Ereignisse eingetreten, die jene damals ausgesprochene Vermutung mehr als wahrscheinlich, fast als sicher erscheinen lassen. Schon früher konnte man diese Vermutung auf die merkwürdigen Beweise von „Neu¬ tralität" gründen, die Wilson uns während des Krieges gegeben hatte. Der¬ selbe Mann, der seinerzeit die Ausführung von Waffen und Munition aus den Vereinigten Staaten nach Mexiko als „unneutral" bezeichnet hatte, nahm den umgekehrten Standpunkt in dem Weltkrieg der Entente gegenüber ein. — Weiter sprach für jene Vermutung die ganze Wilsonsche Friedenspolitik. In der Botschaft Wilsons an den amerikanischen Senat vom 22. Januar 1917 wurde es ganz deutlich, daß auf Wilson und den Vereinigten Staaten eine schwere Sorge lastet: eben die drohende Auseinandersetzung mit Japan. Wenn Wilson in der Botschaft sagte: „Nur ein ruhiges Europa kann ein dauerhaftes Europa sein", so lag sofort die Frage nahe, welch großes Interesse denn Wilson an einem „dauerhaften" Europa haben könne. Betrachtet man aber die Lage der Union unter dem Gesichtswinkel der japanischen Frage, so leuchtet ein, daß die Union, deren kriegerische Schwäche sich gerade eben in einer fast lächerlichen Weise enthüllt hat, einem baldigen Angriffe Japans wehrlos preis¬ gegeben wäre, wenn sie nicht die Unterstützung eines einigermaßen kräftigen Grenzboten I 1917 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/269>, abgerufen am 22.07.2024.