Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aare -- unser Führer im Streit

braucht eine solche Lage nicht einzutreten. Tritt sie aber an uns heran, dann
bleibt uns keine Wahl. Denn leben muß Schweden. Wenn Deutschland, dessen
Kraft nicht unerschöpflich ist, so gewaltig sie auch ist, um Kraft zur Besiegung
der Westmächte zu gewinnen, einen Sonderfrieden mit Rußland zu schließen
beabsichtigte, der Polens Selbständigkeit als Pufferstaat sichert, dann steht
Schwedens Leben auf dem Spiele. Dann wird seine Beteiligung an den Welt-
begebenheiten nicht ein Überfallen eines schuldlosen, sondern Verteidigung des
eigenen Lebens sein. In solcher Lage müssen wir mit Deutschland zusammen¬
gehen, um das Befreiungswerk zu vollenden und uns selber zu retten. Stehen
Deutschland, Schweden und Finnland politisch einig gegen Rußland zusammen,
dann ist es wohl möglich, daß der Zarismus schon beim Anblicke einer solchen
Konstellation den Kampf aufgeben wird.




Aare -- unser Führer im streit!
Dr. Max Müller von

Rand f am l.2. Februar

"s ist eine Eigentümlichkeit des deutschen Volkes, daß seine großen
Männer nicht bloß eine einheitliche Verbindung seiner Wesenszüge
darstellen, nicht bloß als besonders hochentwickelte Einzelgestalten
die übrigen überragen; -- sondern gerade umgekehrt haben die
führenden Deutschen, indem sie auf die große Menge nachhaltig
lenkend und bestimmend eingewirkt haben, ganzen Geschlechtern, ganzen Zeit¬
abschnitten den Stempel ihres Geistes aufgedrückt. Shakespeare ist nur der reinste,
höchste Ausdruck der englischen Renaissance, Racine entwächst beinahe natürlich
der Zeit Ludwigs des Vierzehnten. Bei uns dagegen ist es anders: fast jede große
Bewegung geht auf den großen Führer zurück. Seine Gedanken treiben die
Masse. So wirkt Luther die deutsche Reformation, und sein Geist ist noch
heute in der protestantischen Geistlichkeit, im deutschen Pfarrhause lebendig.
Friedrich Wilhelm I. schafft unser deutsches Heer und unsere Beamtenschaft, auf
deren Geist wir gerade jetzt so stolz find. Marx und Lassalle wecken die
deutsche Sozialdemokratie, uno äisce omne8. Wäre es nun nicht
möglich, daß auch in dieser großen Zeit, wo die gesamte Welt voll staunender
Bewunderung und voll berechtigten Neides auf unsere gewaltigen Leistungen
schaut, eine Kraft am Werke ist, die, wenn auch vielleicht uns unbewußt, auf
eines einzigen allüberragenden Geist zurückgeht?


Grenzboten I 1917 12
Aare — unser Führer im Streit

braucht eine solche Lage nicht einzutreten. Tritt sie aber an uns heran, dann
bleibt uns keine Wahl. Denn leben muß Schweden. Wenn Deutschland, dessen
Kraft nicht unerschöpflich ist, so gewaltig sie auch ist, um Kraft zur Besiegung
der Westmächte zu gewinnen, einen Sonderfrieden mit Rußland zu schließen
beabsichtigte, der Polens Selbständigkeit als Pufferstaat sichert, dann steht
Schwedens Leben auf dem Spiele. Dann wird seine Beteiligung an den Welt-
begebenheiten nicht ein Überfallen eines schuldlosen, sondern Verteidigung des
eigenen Lebens sein. In solcher Lage müssen wir mit Deutschland zusammen¬
gehen, um das Befreiungswerk zu vollenden und uns selber zu retten. Stehen
Deutschland, Schweden und Finnland politisch einig gegen Rußland zusammen,
dann ist es wohl möglich, daß der Zarismus schon beim Anblicke einer solchen
Konstellation den Kampf aufgeben wird.




Aare — unser Führer im streit!
Dr. Max Müller von

Rand f am l.2. Februar

«s ist eine Eigentümlichkeit des deutschen Volkes, daß seine großen
Männer nicht bloß eine einheitliche Verbindung seiner Wesenszüge
darstellen, nicht bloß als besonders hochentwickelte Einzelgestalten
die übrigen überragen; — sondern gerade umgekehrt haben die
führenden Deutschen, indem sie auf die große Menge nachhaltig
lenkend und bestimmend eingewirkt haben, ganzen Geschlechtern, ganzen Zeit¬
abschnitten den Stempel ihres Geistes aufgedrückt. Shakespeare ist nur der reinste,
höchste Ausdruck der englischen Renaissance, Racine entwächst beinahe natürlich
der Zeit Ludwigs des Vierzehnten. Bei uns dagegen ist es anders: fast jede große
Bewegung geht auf den großen Führer zurück. Seine Gedanken treiben die
Masse. So wirkt Luther die deutsche Reformation, und sein Geist ist noch
heute in der protestantischen Geistlichkeit, im deutschen Pfarrhause lebendig.
Friedrich Wilhelm I. schafft unser deutsches Heer und unsere Beamtenschaft, auf
deren Geist wir gerade jetzt so stolz find. Marx und Lassalle wecken die
deutsche Sozialdemokratie, uno äisce omne8. Wäre es nun nicht
möglich, daß auch in dieser großen Zeit, wo die gesamte Welt voll staunender
Bewunderung und voll berechtigten Neides auf unsere gewaltigen Leistungen
schaut, eine Kraft am Werke ist, die, wenn auch vielleicht uns unbewußt, auf
eines einzigen allüberragenden Geist zurückgeht?


Grenzboten I 1917 12
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0189" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331597"/>
          <fw type="header" place="top"> Aare &#x2014; unser Führer im Streit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_597" prev="#ID_596"> braucht eine solche Lage nicht einzutreten. Tritt sie aber an uns heran, dann<lb/>
bleibt uns keine Wahl. Denn leben muß Schweden. Wenn Deutschland, dessen<lb/>
Kraft nicht unerschöpflich ist, so gewaltig sie auch ist, um Kraft zur Besiegung<lb/>
der Westmächte zu gewinnen, einen Sonderfrieden mit Rußland zu schließen<lb/>
beabsichtigte, der Polens Selbständigkeit als Pufferstaat sichert, dann steht<lb/>
Schwedens Leben auf dem Spiele. Dann wird seine Beteiligung an den Welt-<lb/>
begebenheiten nicht ein Überfallen eines schuldlosen, sondern Verteidigung des<lb/>
eigenen Lebens sein. In solcher Lage müssen wir mit Deutschland zusammen¬<lb/>
gehen, um das Befreiungswerk zu vollenden und uns selber zu retten. Stehen<lb/>
Deutschland, Schweden und Finnland politisch einig gegen Rußland zusammen,<lb/>
dann ist es wohl möglich, daß der Zarismus schon beim Anblicke einer solchen<lb/>
Konstellation den Kampf aufgeben wird.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Aare &#x2014; unser Führer im streit!<lb/><note type="byline"> Dr. Max Müller</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_598"> Rand f am l.2. Februar</p><lb/>
          <p xml:id="ID_599"> «s ist eine Eigentümlichkeit des deutschen Volkes, daß seine großen<lb/>
Männer nicht bloß eine einheitliche Verbindung seiner Wesenszüge<lb/>
darstellen, nicht bloß als besonders hochentwickelte Einzelgestalten<lb/>
die übrigen überragen; &#x2014; sondern gerade umgekehrt haben die<lb/>
führenden Deutschen, indem sie auf die große Menge nachhaltig<lb/>
lenkend und bestimmend eingewirkt haben, ganzen Geschlechtern, ganzen Zeit¬<lb/>
abschnitten den Stempel ihres Geistes aufgedrückt. Shakespeare ist nur der reinste,<lb/>
höchste Ausdruck der englischen Renaissance, Racine entwächst beinahe natürlich<lb/>
der Zeit Ludwigs des Vierzehnten. Bei uns dagegen ist es anders: fast jede große<lb/>
Bewegung geht auf den großen Führer zurück. Seine Gedanken treiben die<lb/>
Masse. So wirkt Luther die deutsche Reformation, und sein Geist ist noch<lb/>
heute in der protestantischen Geistlichkeit, im deutschen Pfarrhause lebendig.<lb/>
Friedrich Wilhelm I. schafft unser deutsches Heer und unsere Beamtenschaft, auf<lb/>
deren Geist wir gerade jetzt so stolz find. Marx und Lassalle wecken die<lb/>
deutsche Sozialdemokratie, uno äisce omne8. Wäre es nun nicht<lb/>
möglich, daß auch in dieser großen Zeit, wo die gesamte Welt voll staunender<lb/>
Bewunderung und voll berechtigten Neides auf unsere gewaltigen Leistungen<lb/>
schaut, eine Kraft am Werke ist, die, wenn auch vielleicht uns unbewußt, auf<lb/>
eines einzigen allüberragenden Geist zurückgeht?</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1917 12</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0189] Aare — unser Führer im Streit braucht eine solche Lage nicht einzutreten. Tritt sie aber an uns heran, dann bleibt uns keine Wahl. Denn leben muß Schweden. Wenn Deutschland, dessen Kraft nicht unerschöpflich ist, so gewaltig sie auch ist, um Kraft zur Besiegung der Westmächte zu gewinnen, einen Sonderfrieden mit Rußland zu schließen beabsichtigte, der Polens Selbständigkeit als Pufferstaat sichert, dann steht Schwedens Leben auf dem Spiele. Dann wird seine Beteiligung an den Welt- begebenheiten nicht ein Überfallen eines schuldlosen, sondern Verteidigung des eigenen Lebens sein. In solcher Lage müssen wir mit Deutschland zusammen¬ gehen, um das Befreiungswerk zu vollenden und uns selber zu retten. Stehen Deutschland, Schweden und Finnland politisch einig gegen Rußland zusammen, dann ist es wohl möglich, daß der Zarismus schon beim Anblicke einer solchen Konstellation den Kampf aufgeben wird. Aare — unser Führer im streit! Dr. Max Müller von Rand f am l.2. Februar «s ist eine Eigentümlichkeit des deutschen Volkes, daß seine großen Männer nicht bloß eine einheitliche Verbindung seiner Wesenszüge darstellen, nicht bloß als besonders hochentwickelte Einzelgestalten die übrigen überragen; — sondern gerade umgekehrt haben die führenden Deutschen, indem sie auf die große Menge nachhaltig lenkend und bestimmend eingewirkt haben, ganzen Geschlechtern, ganzen Zeit¬ abschnitten den Stempel ihres Geistes aufgedrückt. Shakespeare ist nur der reinste, höchste Ausdruck der englischen Renaissance, Racine entwächst beinahe natürlich der Zeit Ludwigs des Vierzehnten. Bei uns dagegen ist es anders: fast jede große Bewegung geht auf den großen Führer zurück. Seine Gedanken treiben die Masse. So wirkt Luther die deutsche Reformation, und sein Geist ist noch heute in der protestantischen Geistlichkeit, im deutschen Pfarrhause lebendig. Friedrich Wilhelm I. schafft unser deutsches Heer und unsere Beamtenschaft, auf deren Geist wir gerade jetzt so stolz find. Marx und Lassalle wecken die deutsche Sozialdemokratie, uno äisce omne8. Wäre es nun nicht möglich, daß auch in dieser großen Zeit, wo die gesamte Welt voll staunender Bewunderung und voll berechtigten Neides auf unsere gewaltigen Leistungen schaut, eine Kraft am Werke ist, die, wenn auch vielleicht uns unbewußt, auf eines einzigen allüberragenden Geist zurückgeht? Grenzboten I 1917 12

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/189
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/189>, abgerufen am 22.07.2024.