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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Neue Bücher
Dr. Georg Grimm: Die Lehre des Buddha, die Religion der Vernunft. München.
R. Piper u. Co. 512, XV Seiten. Brosch. 8.--, geb. 10.-- Mark.

Als vor einiger Zeit einer unserer Tapferen bei Verdun sich mit der Frage
an mich wandte, welche wissenschaftlichen Bücher er sich kommen lassen könne, um
die buddhistische Lehre kennen zu lernen, wußte ich nichts Besseres, als ihm zu
empfehlen, zunächst mit dieser allerjüngsten Erscheinung Bekanntschaft zu machen.
In der Tat ist dies in würdiger, ja sogar prachtvoller Ausstattung sich darbietende
Werk die bei weitem ausführlichste, in gewissem Sinne auch am tiefsten eindringende
Darstellung der buddhistischen Lehre, wie diese in dem gläubig als einheitliches
Ganze hingenommenen Pali-Kanon vorliegt. Schon durch den Untertitel "die
Religion der Vernunft", noch ausgesprochener durch das als Motto auf dem Titel¬
blatt gebrauchte Buddhawort: "Es gibt einige unter den Wesen, deren Augen
kaum mit Staub bedeckt sind: sie werden die Wahrheit erkennen", kündigt der
Verfasser sich als bedingungsloser Anhänger der Lehre an. Ein solches Verhältnis
eines Autors zum Gegenstande seiner Untersuchung wird nie verfehlen, an vielen
wichtigen Punkten seinen Blick zu schärfen, die Auffassung zu vertiefen und in den
dunkelsten Fragen dem ahnenden Verständnis den Weg zu weisen, somit der Dar"
Stellung selber im ganzen sehr förderlich zu sein; wo es sich hingegen um kritische
Beleuchtung, um Beurteilung und zumal um Wertung handelt, da wirkt ein
solches Verhältnis immer als Hemmung, nur zu oft aber als unübersteigbares
Hindernis. Diese Doppeltwirkung zeigt sich denn auch in diesem Werke deutlich
genug.

Bei weitem der originellste und überhaupt der verdienstvollste Teil dieser
Untersuchung ist derjenige, der sich mit dem berühmten Anatta-Gedanken beschäftigt.
Es ist die Lehre, die sich in der unermüdlich allen Erscheinungen, inneren wie
äußeren, gegenüber wiederholten Formel ausdrückt: "das ist nicht mein Ich".
Gewöhnlich wird nun dies so aufgefaßt, daß es überhaupt kein "Ich" gäbe, so
daß es eigentlich auf einen schlechten Witz hinaufliefe. Es ist mir nie zweifelhaft
gewesen, daß dies ein grobes Mißverständnis sei; daß vielmehr durch diese Worte
ein Ich vorausgesetzt werde -- natürlich ein solches, das jenseits der Erscheinungs-
welt liegt und diese höchstens in einem Punkte berührt. Dieser Punkt ist, wie
Dr. Grimm ausführt, die Wahrnehmung der Vergänglichkeit. "Wohl gemerkt,
der Buddha sagt nicht: Was entsteht und vergeht ist nicht mein Ich --
über diesen Satz ließe sich streiten --, sondern er sagt: wobei ich ein Entstehen
und Vergehen warhnehme, das kann nicht mein Ich sein, und diesen Satz wird
wohl kein denkendes Wesen in Zweifel ziehen". Er führt dies des Näheren aus
und verweist dabei auf die schöne Schopenhauer-Stelle Parerga I, S. 114--18
(Erläuterungen zur Kantischen Philosophie, Pamlogismus der Personalität).




Neue Bücher
Dr. Georg Grimm: Die Lehre des Buddha, die Religion der Vernunft. München.
R. Piper u. Co. 512, XV Seiten. Brosch. 8.—, geb. 10.— Mark.

Als vor einiger Zeit einer unserer Tapferen bei Verdun sich mit der Frage
an mich wandte, welche wissenschaftlichen Bücher er sich kommen lassen könne, um
die buddhistische Lehre kennen zu lernen, wußte ich nichts Besseres, als ihm zu
empfehlen, zunächst mit dieser allerjüngsten Erscheinung Bekanntschaft zu machen.
In der Tat ist dies in würdiger, ja sogar prachtvoller Ausstattung sich darbietende
Werk die bei weitem ausführlichste, in gewissem Sinne auch am tiefsten eindringende
Darstellung der buddhistischen Lehre, wie diese in dem gläubig als einheitliches
Ganze hingenommenen Pali-Kanon vorliegt. Schon durch den Untertitel „die
Religion der Vernunft", noch ausgesprochener durch das als Motto auf dem Titel¬
blatt gebrauchte Buddhawort: „Es gibt einige unter den Wesen, deren Augen
kaum mit Staub bedeckt sind: sie werden die Wahrheit erkennen", kündigt der
Verfasser sich als bedingungsloser Anhänger der Lehre an. Ein solches Verhältnis
eines Autors zum Gegenstande seiner Untersuchung wird nie verfehlen, an vielen
wichtigen Punkten seinen Blick zu schärfen, die Auffassung zu vertiefen und in den
dunkelsten Fragen dem ahnenden Verständnis den Weg zu weisen, somit der Dar»
Stellung selber im ganzen sehr förderlich zu sein; wo es sich hingegen um kritische
Beleuchtung, um Beurteilung und zumal um Wertung handelt, da wirkt ein
solches Verhältnis immer als Hemmung, nur zu oft aber als unübersteigbares
Hindernis. Diese Doppeltwirkung zeigt sich denn auch in diesem Werke deutlich
genug.

Bei weitem der originellste und überhaupt der verdienstvollste Teil dieser
Untersuchung ist derjenige, der sich mit dem berühmten Anatta-Gedanken beschäftigt.
Es ist die Lehre, die sich in der unermüdlich allen Erscheinungen, inneren wie
äußeren, gegenüber wiederholten Formel ausdrückt: „das ist nicht mein Ich".
Gewöhnlich wird nun dies so aufgefaßt, daß es überhaupt kein „Ich" gäbe, so
daß es eigentlich auf einen schlechten Witz hinaufliefe. Es ist mir nie zweifelhaft
gewesen, daß dies ein grobes Mißverständnis sei; daß vielmehr durch diese Worte
ein Ich vorausgesetzt werde — natürlich ein solches, das jenseits der Erscheinungs-
welt liegt und diese höchstens in einem Punkte berührt. Dieser Punkt ist, wie
Dr. Grimm ausführt, die Wahrnehmung der Vergänglichkeit. „Wohl gemerkt,
der Buddha sagt nicht: Was entsteht und vergeht ist nicht mein Ich —
über diesen Satz ließe sich streiten —, sondern er sagt: wobei ich ein Entstehen
und Vergehen warhnehme, das kann nicht mein Ich sein, und diesen Satz wird
wohl kein denkendes Wesen in Zweifel ziehen". Er führt dies des Näheren aus
und verweist dabei auf die schöne Schopenhauer-Stelle Parerga I, S. 114—18
(Erläuterungen zur Kantischen Philosophie, Pamlogismus der Personalität).


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/170>, abgerufen am 22.07.2024.