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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Finnlands Problem
Sauptmann Lrnst Tiljedahl, von Mitglied des schwedischen Reichstages

ird der Schwerpunkt des Krieges noch einmal wieder nordwärts
i verlegt, dann liegt Schweden als hindernder Block zwischen Eng-
! land und Rußland, erschwert das kriegspolitische Zusammenwirken
l beider und bildet überdies ein der gegen Deutschland gerichteten
^ Blockadepolitik Englands noch unbequemeres Hindernis, als
Griechenland sich für die Balkanpolitik der Entente erwiesen hat. Die strategischen
Voraussetzungen der Entente und der Mittelmächte find so grundverschieden,
daß wir Schweden völlig darauf gefaßt sein müssen, in einem späteren Ab¬
schnitte der Kriegsoperationen auf einmal von der Entente ähnlich wie Griechen¬
land behandelt zu werden. Die Entente hat nämlich auf einer ungeheuer großen
Kreislinie zu kämpfen, die sie von Norden und Süden her verengen möchte,
während der Vierbund über den Vorteil einer starken Mittelpunktslage, die
schnelle Truppenverschiebungen von einer Front nach der anderen ermöglicht,
verfügen kann. Daher sehen wir bei jedem neuen strategischen Ausmarsche seine
Heere längst fertig dastehen, während die des Vierverbandes infolge der ge¬
waltigen Peripherie, die einheitliches Handeln erschwert, beinahe immer zu spät
kommen.

Die Kriegslage ist derartig, daß das Hineinziehen Schwedens in den Krieg
nach den Methoden, die man bei Griechenland angewandt hat, vor sich gehen
kann, d. h. daß Schweden gezwungen werden soll, auf die Seite der Entente
zu treten. Wenn man zu einer solchen Politik gegen uns greift, so ist es ja
sonnenklar, daß unsere Bedrücker an uns keine Freunde, sondern Feinde finden
werden. Wir denken gar nicht daran, denen zu helfen, die uns unseres freien
Rechtes, neutral zu bleiben, berauben wollen.

Selbst wenn es -- was wir sehr hoffen -- uns gelingen sollte, unsere
Neutralität beibehalten zu können, ohne auf unser freies Selbstbestimmungs¬
recht zu verzichten, so kann doch im letzten Abschnitte des Krieges eine Lage
entstehen, die Schwedens Dasein als freier Staat in Frage stellt, vielleicht nicht
gerade durch augenblickliche Gefahren, wohl aber durch eine sich erschließende
Perspektive gleich der des Tilsiter Friedens im Jahre 1807, als die Kom¬
pensationspolitik Rußland Gelegenheit gab, Schweden den dritten Teil seines
Reiches zu nehmen. Daher kann Schweden sich genötigt sehen, mit der Macht-




Finnlands Problem
Sauptmann Lrnst Tiljedahl, von Mitglied des schwedischen Reichstages

ird der Schwerpunkt des Krieges noch einmal wieder nordwärts
i verlegt, dann liegt Schweden als hindernder Block zwischen Eng-
! land und Rußland, erschwert das kriegspolitische Zusammenwirken
l beider und bildet überdies ein der gegen Deutschland gerichteten
^ Blockadepolitik Englands noch unbequemeres Hindernis, als
Griechenland sich für die Balkanpolitik der Entente erwiesen hat. Die strategischen
Voraussetzungen der Entente und der Mittelmächte find so grundverschieden,
daß wir Schweden völlig darauf gefaßt sein müssen, in einem späteren Ab¬
schnitte der Kriegsoperationen auf einmal von der Entente ähnlich wie Griechen¬
land behandelt zu werden. Die Entente hat nämlich auf einer ungeheuer großen
Kreislinie zu kämpfen, die sie von Norden und Süden her verengen möchte,
während der Vierbund über den Vorteil einer starken Mittelpunktslage, die
schnelle Truppenverschiebungen von einer Front nach der anderen ermöglicht,
verfügen kann. Daher sehen wir bei jedem neuen strategischen Ausmarsche seine
Heere längst fertig dastehen, während die des Vierverbandes infolge der ge¬
waltigen Peripherie, die einheitliches Handeln erschwert, beinahe immer zu spät
kommen.

Die Kriegslage ist derartig, daß das Hineinziehen Schwedens in den Krieg
nach den Methoden, die man bei Griechenland angewandt hat, vor sich gehen
kann, d. h. daß Schweden gezwungen werden soll, auf die Seite der Entente
zu treten. Wenn man zu einer solchen Politik gegen uns greift, so ist es ja
sonnenklar, daß unsere Bedrücker an uns keine Freunde, sondern Feinde finden
werden. Wir denken gar nicht daran, denen zu helfen, die uns unseres freien
Rechtes, neutral zu bleiben, berauben wollen.

Selbst wenn es — was wir sehr hoffen — uns gelingen sollte, unsere
Neutralität beibehalten zu können, ohne auf unser freies Selbstbestimmungs¬
recht zu verzichten, so kann doch im letzten Abschnitte des Krieges eine Lage
entstehen, die Schwedens Dasein als freier Staat in Frage stellt, vielleicht nicht
gerade durch augenblickliche Gefahren, wohl aber durch eine sich erschließende
Perspektive gleich der des Tilsiter Friedens im Jahre 1807, als die Kom¬
pensationspolitik Rußland Gelegenheit gab, Schweden den dritten Teil seines
Reiches zu nehmen. Daher kann Schweden sich genötigt sehen, mit der Macht-


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[0149] [Abbildung] Finnlands Problem Sauptmann Lrnst Tiljedahl, von Mitglied des schwedischen Reichstages ird der Schwerpunkt des Krieges noch einmal wieder nordwärts i verlegt, dann liegt Schweden als hindernder Block zwischen Eng- ! land und Rußland, erschwert das kriegspolitische Zusammenwirken l beider und bildet überdies ein der gegen Deutschland gerichteten ^ Blockadepolitik Englands noch unbequemeres Hindernis, als Griechenland sich für die Balkanpolitik der Entente erwiesen hat. Die strategischen Voraussetzungen der Entente und der Mittelmächte find so grundverschieden, daß wir Schweden völlig darauf gefaßt sein müssen, in einem späteren Ab¬ schnitte der Kriegsoperationen auf einmal von der Entente ähnlich wie Griechen¬ land behandelt zu werden. Die Entente hat nämlich auf einer ungeheuer großen Kreislinie zu kämpfen, die sie von Norden und Süden her verengen möchte, während der Vierbund über den Vorteil einer starken Mittelpunktslage, die schnelle Truppenverschiebungen von einer Front nach der anderen ermöglicht, verfügen kann. Daher sehen wir bei jedem neuen strategischen Ausmarsche seine Heere längst fertig dastehen, während die des Vierverbandes infolge der ge¬ waltigen Peripherie, die einheitliches Handeln erschwert, beinahe immer zu spät kommen. Die Kriegslage ist derartig, daß das Hineinziehen Schwedens in den Krieg nach den Methoden, die man bei Griechenland angewandt hat, vor sich gehen kann, d. h. daß Schweden gezwungen werden soll, auf die Seite der Entente zu treten. Wenn man zu einer solchen Politik gegen uns greift, so ist es ja sonnenklar, daß unsere Bedrücker an uns keine Freunde, sondern Feinde finden werden. Wir denken gar nicht daran, denen zu helfen, die uns unseres freien Rechtes, neutral zu bleiben, berauben wollen. Selbst wenn es — was wir sehr hoffen — uns gelingen sollte, unsere Neutralität beibehalten zu können, ohne auf unser freies Selbstbestimmungs¬ recht zu verzichten, so kann doch im letzten Abschnitte des Krieges eine Lage entstehen, die Schwedens Dasein als freier Staat in Frage stellt, vielleicht nicht gerade durch augenblickliche Gefahren, wohl aber durch eine sich erschließende Perspektive gleich der des Tilsiter Friedens im Jahre 1807, als die Kom¬ pensationspolitik Rußland Gelegenheit gab, Schweden den dritten Teil seines Reiches zu nehmen. Daher kann Schweden sich genötigt sehen, mit der Macht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/149>, abgerufen am 22.07.2024.