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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Namenschöpfung im Ariege
Professor Dr. Hermann Tardel von

er lang andauernde Stellungskrieg hat zur Folge gehabt, daß
sich in dem von uns besetzten Gebiet im Westen und Osten weit¬
ausgedehnte Befestigungslinien als Schutzwälle von bisher un¬
gezwungener Widerstandskraft erhoben haben. Die großen
^ Schienenstränge in der Heimat führen durch die Etappe in das
außerordentlich weitmaschige Netz der eigentlichen Feldstellungen mit den zahl¬
losen Schanzen, Gräben und Unterstäuben aller Art. Um sich in diesen von
Millionen bewohnten, über und unter der Erde liegenden Kriegs-Siedelungen
überhaupt zurechtzufinden, bedarf es einer besonderen Orts- und Wege¬
bezeichnung, für die die bisherige, von der heimischen Bevölkerung herrührende
bei weitem nicht ausreicht. Neue Namen zu schaffen ist unbedingte Not¬
wendigkeit, und da erscheinen unsere Feldgrauen gleich den alten Römern am
Rhein und Main als vortreffliche Namenschöpfer. Da der Name stets einen
Rückschluß auf den Charakter des Namengebers gestattet, so erhalten wir auch
einen Einblick in die Wesens- und Gemütsart des deutschen Soldaten und
Offiziers. Zugleich bietet sich die seltene Gelegenheit, die Entstehung des
Namens bald nach dem Entstehen zu studieren und die Ergebnisse der wissen¬
schaftlichen Namenkunde dienstbar zu machen. Allerdings ist das zurzeit zu¬
gängliche Material noch recht gering, da ein Teil dieser Namen unter den
Begriff des militärischen Geheimnisses fällt, immerhin lassen sich schon einige
Grundzüge festlegen. Die folgenden Ausführungen beruhen auf gelegentlichen
Mitteilungen von Kriegsteilnehmern, zerstreuten Zeitungsnotizen und einzelnen
Angaben in den bereits in Buchform vorliegenden Schriften.*)

So unbegrenzt auch die Möglichkeiten der Raumbildung naturgemäß sind,
es lassen sich doch schon drei allgemeine Gesichtspunkte erkennen. Die unmittel¬
bare Beobachtung der umgebenden Natur, die Eindrücke der eigentlich militäri¬
schen Umwelt und die Erinnerung an die Heimat und das Leben im Frieden,
das sind die wichtigsten Ausgangspunkte der Namenschöpfung. Diese primären



*) Verfasser bittet die Leser um freundliche Mitteilung weiterer Namen und, wo nötig,
ihrer Entstehungsgeschichte. Urschrift: Professor or, H. Tardel, Bremen, Altmannstratze Is. --
Ich verweise noch aus meinen früheren Aufsatz in der "Zeitschrift für den deutschen Unterricht',
29. Bd. (1915), Dezember-Heft ^S. 778--786Z, wo auch die durch den Krieg in der Heimat
veranlaßte Namengebung behandelt ist.


Namenschöpfung im Ariege
Professor Dr. Hermann Tardel von

er lang andauernde Stellungskrieg hat zur Folge gehabt, daß
sich in dem von uns besetzten Gebiet im Westen und Osten weit¬
ausgedehnte Befestigungslinien als Schutzwälle von bisher un¬
gezwungener Widerstandskraft erhoben haben. Die großen
^ Schienenstränge in der Heimat führen durch die Etappe in das
außerordentlich weitmaschige Netz der eigentlichen Feldstellungen mit den zahl¬
losen Schanzen, Gräben und Unterstäuben aller Art. Um sich in diesen von
Millionen bewohnten, über und unter der Erde liegenden Kriegs-Siedelungen
überhaupt zurechtzufinden, bedarf es einer besonderen Orts- und Wege¬
bezeichnung, für die die bisherige, von der heimischen Bevölkerung herrührende
bei weitem nicht ausreicht. Neue Namen zu schaffen ist unbedingte Not¬
wendigkeit, und da erscheinen unsere Feldgrauen gleich den alten Römern am
Rhein und Main als vortreffliche Namenschöpfer. Da der Name stets einen
Rückschluß auf den Charakter des Namengebers gestattet, so erhalten wir auch
einen Einblick in die Wesens- und Gemütsart des deutschen Soldaten und
Offiziers. Zugleich bietet sich die seltene Gelegenheit, die Entstehung des
Namens bald nach dem Entstehen zu studieren und die Ergebnisse der wissen¬
schaftlichen Namenkunde dienstbar zu machen. Allerdings ist das zurzeit zu¬
gängliche Material noch recht gering, da ein Teil dieser Namen unter den
Begriff des militärischen Geheimnisses fällt, immerhin lassen sich schon einige
Grundzüge festlegen. Die folgenden Ausführungen beruhen auf gelegentlichen
Mitteilungen von Kriegsteilnehmern, zerstreuten Zeitungsnotizen und einzelnen
Angaben in den bereits in Buchform vorliegenden Schriften.*)

So unbegrenzt auch die Möglichkeiten der Raumbildung naturgemäß sind,
es lassen sich doch schon drei allgemeine Gesichtspunkte erkennen. Die unmittel¬
bare Beobachtung der umgebenden Natur, die Eindrücke der eigentlich militäri¬
schen Umwelt und die Erinnerung an die Heimat und das Leben im Frieden,
das sind die wichtigsten Ausgangspunkte der Namenschöpfung. Diese primären



*) Verfasser bittet die Leser um freundliche Mitteilung weiterer Namen und, wo nötig,
ihrer Entstehungsgeschichte. Urschrift: Professor or, H. Tardel, Bremen, Altmannstratze Is. —
Ich verweise noch aus meinen früheren Aufsatz in der „Zeitschrift für den deutschen Unterricht',
29. Bd. (1915), Dezember-Heft ^S. 778—786Z, wo auch die durch den Krieg in der Heimat
veranlaßte Namengebung behandelt ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/133>, abgerufen am 22.07.2024.