Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Zur Geschichte des Warschauer deutschen Zeitungs¬
und Zeitschriftenwesens im achtzehnten Jahrhundert
Dr. Albert Malte Wagner von

le Geschichte des deutschen Zeitungswesens bedarf trotz Salomons
grundlegenden dreibändigen Werke noch immer sorgfältiger
SpezialUntersuchungen, damit sich ein umfassendes Bild von der
Entwicklung der deutschen Zeitungen gestalten läßt. Was ins¬
besondere die deutschen Zeitschriften angeht, so ist auf diesem
Gebiete herzlich wenig getan. Es wird daher willkommen sein, wenn wir an
dieser Stelle einmal den Spuren nachgehen, die der deutsche Geist in einem
Teil des von uns besetzten Gebietes bereits im achtzehnten Jahrhundert gerade
in der Zeitungs- und Zeitschriften-Literatur hinterlassen hat.

Die erste wirkliche Zeitung Polens und Warschaus heißt in deutscher
Übersetzung folgendermaßen: "Ordinärer polnischer Merkurius. enthaltend die
Geschichte der ganzen Welt zur öffentlichen Belehrung". Vorher waren nur
die auch im übrigen Europa bekannten Avisen, Relationen usw. herausgekommen,
die nicht nur in Städten, sondern auch auf dem Lande durch umherziehende
Druckereien verbreitet wurden. Herausgeber des "Merkurius" war ein gewisser
I. A. Gorczyn. Die erste Nummer erschien am 3. Januar 1661 in Krakau.
Doch bereits mit der achtundzwanzigsten Nummer siedelte der "Merkurius" am
4. Mai nach Warschau über. Von dieser Zeit an war Warschau das Zentrum
des polnischen Zeitungswesens. Die Periode, die mit dem "Merkurius" einsetzte,
dauerte etwa hundert Jahre, bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, und
war, wie die ganze polnische Literatur dieser Zeit, ein Produkt der jesuitisch-
makkaromschen Kultur. Die ersten Zeitungen wurden von Jesuiten und
Piaristen herausgegeben. Nach und nach wurden nicht nur politische Verhältnisse
berührt, sondern auch Gegenstände von ausschließlich lokalem Interesse. Die
wichtigste polnische Warschauer Zeitung dieser Zeit wurde im Jahre 1729 von
Jan Naumanski gegründet. Sie hieß zuerst "Nowiny polskie" (Polnische
Neuigkeiten) und hielt sich am Leben unter dem Namen "Kurjer Polski" und
anderen Bezeichnungen bis zum Jahre 1799. Bis zur Thronbesteigung
Poniatowskis ist die Entwicklung des polnischen Zeitungswesens außerordentlich
gering. Die Geistlichkeit übte strenge Zensur. Jesuiten und Piaristen wollten
nicht, daß sich andere mit der Herausgabe von Zeitungen beschäftigten. In
diesen Jahren erschienen in ganz Polen nur ein bis drei Zeitungen gleichzeitig.
Im ganzen erschienen bis 1764 fünfundvierzig verschiedene Zeitungen.




Zur Geschichte des Warschauer deutschen Zeitungs¬
und Zeitschriftenwesens im achtzehnten Jahrhundert
Dr. Albert Malte Wagner von

le Geschichte des deutschen Zeitungswesens bedarf trotz Salomons
grundlegenden dreibändigen Werke noch immer sorgfältiger
SpezialUntersuchungen, damit sich ein umfassendes Bild von der
Entwicklung der deutschen Zeitungen gestalten läßt. Was ins¬
besondere die deutschen Zeitschriften angeht, so ist auf diesem
Gebiete herzlich wenig getan. Es wird daher willkommen sein, wenn wir an
dieser Stelle einmal den Spuren nachgehen, die der deutsche Geist in einem
Teil des von uns besetzten Gebietes bereits im achtzehnten Jahrhundert gerade
in der Zeitungs- und Zeitschriften-Literatur hinterlassen hat.

Die erste wirkliche Zeitung Polens und Warschaus heißt in deutscher
Übersetzung folgendermaßen: „Ordinärer polnischer Merkurius. enthaltend die
Geschichte der ganzen Welt zur öffentlichen Belehrung". Vorher waren nur
die auch im übrigen Europa bekannten Avisen, Relationen usw. herausgekommen,
die nicht nur in Städten, sondern auch auf dem Lande durch umherziehende
Druckereien verbreitet wurden. Herausgeber des „Merkurius" war ein gewisser
I. A. Gorczyn. Die erste Nummer erschien am 3. Januar 1661 in Krakau.
Doch bereits mit der achtundzwanzigsten Nummer siedelte der „Merkurius" am
4. Mai nach Warschau über. Von dieser Zeit an war Warschau das Zentrum
des polnischen Zeitungswesens. Die Periode, die mit dem „Merkurius" einsetzte,
dauerte etwa hundert Jahre, bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, und
war, wie die ganze polnische Literatur dieser Zeit, ein Produkt der jesuitisch-
makkaromschen Kultur. Die ersten Zeitungen wurden von Jesuiten und
Piaristen herausgegeben. Nach und nach wurden nicht nur politische Verhältnisse
berührt, sondern auch Gegenstände von ausschließlich lokalem Interesse. Die
wichtigste polnische Warschauer Zeitung dieser Zeit wurde im Jahre 1729 von
Jan Naumanski gegründet. Sie hieß zuerst „Nowiny polskie" (Polnische
Neuigkeiten) und hielt sich am Leben unter dem Namen „Kurjer Polski" und
anderen Bezeichnungen bis zum Jahre 1799. Bis zur Thronbesteigung
Poniatowskis ist die Entwicklung des polnischen Zeitungswesens außerordentlich
gering. Die Geistlichkeit übte strenge Zensur. Jesuiten und Piaristen wollten
nicht, daß sich andere mit der Herausgabe von Zeitungen beschäftigten. In
diesen Jahren erschienen in ganz Polen nur ein bis drei Zeitungen gleichzeitig.
Im ganzen erschienen bis 1764 fünfundvierzig verschiedene Zeitungen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330814"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341903_330533/figures/grenzboten_341903_330533_330814_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur Geschichte des Warschauer deutschen Zeitungs¬<lb/>
und Zeitschriftenwesens im achtzehnten Jahrhundert<lb/><note type="byline"> Dr. Albert Malte Wagner</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_893"> le Geschichte des deutschen Zeitungswesens bedarf trotz Salomons<lb/>
grundlegenden dreibändigen Werke noch immer sorgfältiger<lb/>
SpezialUntersuchungen, damit sich ein umfassendes Bild von der<lb/>
Entwicklung der deutschen Zeitungen gestalten läßt. Was ins¬<lb/>
besondere die deutschen Zeitschriften angeht, so ist auf diesem<lb/>
Gebiete herzlich wenig getan. Es wird daher willkommen sein, wenn wir an<lb/>
dieser Stelle einmal den Spuren nachgehen, die der deutsche Geist in einem<lb/>
Teil des von uns besetzten Gebietes bereits im achtzehnten Jahrhundert gerade<lb/>
in der Zeitungs- und Zeitschriften-Literatur hinterlassen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_894"> Die erste wirkliche Zeitung Polens und Warschaus heißt in deutscher<lb/>
Übersetzung folgendermaßen: &#x201E;Ordinärer polnischer Merkurius. enthaltend die<lb/>
Geschichte der ganzen Welt zur öffentlichen Belehrung". Vorher waren nur<lb/>
die auch im übrigen Europa bekannten Avisen, Relationen usw. herausgekommen,<lb/>
die nicht nur in Städten, sondern auch auf dem Lande durch umherziehende<lb/>
Druckereien verbreitet wurden. Herausgeber des &#x201E;Merkurius" war ein gewisser<lb/>
I. A. Gorczyn. Die erste Nummer erschien am 3. Januar 1661 in Krakau.<lb/>
Doch bereits mit der achtundzwanzigsten Nummer siedelte der &#x201E;Merkurius" am<lb/>
4. Mai nach Warschau über. Von dieser Zeit an war Warschau das Zentrum<lb/>
des polnischen Zeitungswesens. Die Periode, die mit dem &#x201E;Merkurius" einsetzte,<lb/>
dauerte etwa hundert Jahre, bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, und<lb/>
war, wie die ganze polnische Literatur dieser Zeit, ein Produkt der jesuitisch-<lb/>
makkaromschen Kultur. Die ersten Zeitungen wurden von Jesuiten und<lb/>
Piaristen herausgegeben. Nach und nach wurden nicht nur politische Verhältnisse<lb/>
berührt, sondern auch Gegenstände von ausschließlich lokalem Interesse. Die<lb/>
wichtigste polnische Warschauer Zeitung dieser Zeit wurde im Jahre 1729 von<lb/>
Jan Naumanski gegründet. Sie hieß zuerst &#x201E;Nowiny polskie" (Polnische<lb/>
Neuigkeiten) und hielt sich am Leben unter dem Namen &#x201E;Kurjer Polski" und<lb/>
anderen Bezeichnungen bis zum Jahre 1799. Bis zur Thronbesteigung<lb/>
Poniatowskis ist die Entwicklung des polnischen Zeitungswesens außerordentlich<lb/>
gering. Die Geistlichkeit übte strenge Zensur. Jesuiten und Piaristen wollten<lb/>
nicht, daß sich andere mit der Herausgabe von Zeitungen beschäftigten. In<lb/>
diesen Jahren erschienen in ganz Polen nur ein bis drei Zeitungen gleichzeitig.<lb/>
Im ganzen erschienen bis 1764 fünfundvierzig verschiedene Zeitungen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0275] [Abbildung] Zur Geschichte des Warschauer deutschen Zeitungs¬ und Zeitschriftenwesens im achtzehnten Jahrhundert Dr. Albert Malte Wagner von le Geschichte des deutschen Zeitungswesens bedarf trotz Salomons grundlegenden dreibändigen Werke noch immer sorgfältiger SpezialUntersuchungen, damit sich ein umfassendes Bild von der Entwicklung der deutschen Zeitungen gestalten läßt. Was ins¬ besondere die deutschen Zeitschriften angeht, so ist auf diesem Gebiete herzlich wenig getan. Es wird daher willkommen sein, wenn wir an dieser Stelle einmal den Spuren nachgehen, die der deutsche Geist in einem Teil des von uns besetzten Gebietes bereits im achtzehnten Jahrhundert gerade in der Zeitungs- und Zeitschriften-Literatur hinterlassen hat. Die erste wirkliche Zeitung Polens und Warschaus heißt in deutscher Übersetzung folgendermaßen: „Ordinärer polnischer Merkurius. enthaltend die Geschichte der ganzen Welt zur öffentlichen Belehrung". Vorher waren nur die auch im übrigen Europa bekannten Avisen, Relationen usw. herausgekommen, die nicht nur in Städten, sondern auch auf dem Lande durch umherziehende Druckereien verbreitet wurden. Herausgeber des „Merkurius" war ein gewisser I. A. Gorczyn. Die erste Nummer erschien am 3. Januar 1661 in Krakau. Doch bereits mit der achtundzwanzigsten Nummer siedelte der „Merkurius" am 4. Mai nach Warschau über. Von dieser Zeit an war Warschau das Zentrum des polnischen Zeitungswesens. Die Periode, die mit dem „Merkurius" einsetzte, dauerte etwa hundert Jahre, bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, und war, wie die ganze polnische Literatur dieser Zeit, ein Produkt der jesuitisch- makkaromschen Kultur. Die ersten Zeitungen wurden von Jesuiten und Piaristen herausgegeben. Nach und nach wurden nicht nur politische Verhältnisse berührt, sondern auch Gegenstände von ausschließlich lokalem Interesse. Die wichtigste polnische Warschauer Zeitung dieser Zeit wurde im Jahre 1729 von Jan Naumanski gegründet. Sie hieß zuerst „Nowiny polskie" (Polnische Neuigkeiten) und hielt sich am Leben unter dem Namen „Kurjer Polski" und anderen Bezeichnungen bis zum Jahre 1799. Bis zur Thronbesteigung Poniatowskis ist die Entwicklung des polnischen Zeitungswesens außerordentlich gering. Die Geistlichkeit übte strenge Zensur. Jesuiten und Piaristen wollten nicht, daß sich andere mit der Herausgabe von Zeitungen beschäftigten. In diesen Jahren erschienen in ganz Polen nur ein bis drei Zeitungen gleichzeitig. Im ganzen erschienen bis 1764 fünfundvierzig verschiedene Zeitungen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/275
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/275>, abgerufen am 23.07.2024.