Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.Albaniens Enttäuschung und Erwartung Freiin Marie Amelie von Godin von is Fürst Wilhelm in Durazzo landete, wurde in den Straßen der Das ist Albaniens Unglück gewesen, daß allzu viele derer, Da war freilich noch eine andere Gattung Fremder -- zum Unglück nicht Heute, da die leidenschaftliche Parteinahme der Mauer für die Mittel¬ Schon der Zerfall der europäischen Türkei kam für wohlverstandene albanische Um zu verhindern, daß Albaner von seinen siegreichen Nachbarn auf¬ Albaniens Enttäuschung und Erwartung Freiin Marie Amelie von Godin von is Fürst Wilhelm in Durazzo landete, wurde in den Straßen der Das ist Albaniens Unglück gewesen, daß allzu viele derer, Da war freilich noch eine andere Gattung Fremder — zum Unglück nicht Heute, da die leidenschaftliche Parteinahme der Mauer für die Mittel¬ Schon der Zerfall der europäischen Türkei kam für wohlverstandene albanische Um zu verhindern, daß Albaner von seinen siegreichen Nachbarn auf¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0084" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330184"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341903_330101/figures/grenzboten_341903_330101_330184_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Albaniens Enttäuschung und Erwartung<lb/><note type="byline"> Freiin Marie Amelie von Godin</note> von</head><lb/> <p xml:id="ID_228"> is Fürst Wilhelm in Durazzo landete, wurde in den Straßen der<lb/> Stadt eine Schrift der Rumänenkönigin Carmen Sylva feilgeboten,<lb/> die mit den Worten begann: Märchenland sucht einen König . . .<lb/> Märchenland! . . .</p><lb/> <p xml:id="ID_229"> Das ist Albaniens Unglück gewesen, daß allzu viele derer,<lb/> die nach Albanien kamen, dort zu arbeiten, es für ein Märchenland gehalten<lb/> haben — und, als sie dann ein Land mit scharf umrissener, höchst hartnäckiger,<lb/> durchaus nicht märchenhafter Eigenart, mit sehr realen, wenn auch nicht modernen<lb/> Verhältnissen vorfanden, nicht damit zurechtkommen konnten und gänzlich ent¬<lb/> täuscht, nur noch Verachtung und Empörung empfanden — wo eigentlich sie<lb/> selbst die Schuldigen waren, die alles, aber auch alles am falschen Ende<lb/> angefaßt hatten. . . ,</p><lb/> <p xml:id="ID_230"> Da war freilich noch eine andere Gattung Fremder — zum Unglück nicht<lb/> weniger zahlreich als jene — die das Land kannten oder rasch erfaßten,<lb/> und sich zwischen seiner Primitivität und der Enttäuschung ihrer Rivalen geschickt<lb/> hindvrchwindend, beide ausnutzend, ihr eigenes Schäfchen ins Trockne zu bringen<lb/> getrachtet haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_231"> Heute, da die leidenschaftliche Parteinahme der Mauer für die Mittel¬<lb/> mächte, das Interesse Deutschlands diesem eigenartigen Volke wieder zugewendet<lb/> und Albanien wohl für immer in dieser oder jener Form der Interessensphäre<lb/> Deutschlands und Österreichs angegliedert hat, dürfte es nicht überflüssig erscheinen,<lb/> einmal in kurzen Zügen vor Augen zu führen, wie die erste selbständige Regierung<lb/> in Albanien zwischen der schier unbelehrbarer Illusion und späteren maßlosen<lb/> Enttäuschung der einen und der skrupelloser Umtriebe der anderen zugrunde<lb/> gehen mußt«. —</p><lb/> <p xml:id="ID_232"> Schon der Zerfall der europäischen Türkei kam für wohlverstandene albanische<lb/> Interessen zu früh.</p><lb/> <p xml:id="ID_233" next="#ID_234"> Um zu verhindern, daß Albaner von seinen siegreichen Nachbarn auf¬<lb/> geteilt werde, war die albanische Intelligenz im November 1912 gezwungen,<lb/> die Selbständigkeit ihres Vaterlandes zu erklären, obschon sie sich Rechenschaft<lb/> gab, daß es dem albanischen Geheimkomitee und Klub noch nicht gelungen war,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0084]
[Abbildung]
Albaniens Enttäuschung und Erwartung
Freiin Marie Amelie von Godin von
is Fürst Wilhelm in Durazzo landete, wurde in den Straßen der
Stadt eine Schrift der Rumänenkönigin Carmen Sylva feilgeboten,
die mit den Worten begann: Märchenland sucht einen König . . .
Märchenland! . . .
Das ist Albaniens Unglück gewesen, daß allzu viele derer,
die nach Albanien kamen, dort zu arbeiten, es für ein Märchenland gehalten
haben — und, als sie dann ein Land mit scharf umrissener, höchst hartnäckiger,
durchaus nicht märchenhafter Eigenart, mit sehr realen, wenn auch nicht modernen
Verhältnissen vorfanden, nicht damit zurechtkommen konnten und gänzlich ent¬
täuscht, nur noch Verachtung und Empörung empfanden — wo eigentlich sie
selbst die Schuldigen waren, die alles, aber auch alles am falschen Ende
angefaßt hatten. . . ,
Da war freilich noch eine andere Gattung Fremder — zum Unglück nicht
weniger zahlreich als jene — die das Land kannten oder rasch erfaßten,
und sich zwischen seiner Primitivität und der Enttäuschung ihrer Rivalen geschickt
hindvrchwindend, beide ausnutzend, ihr eigenes Schäfchen ins Trockne zu bringen
getrachtet haben.
Heute, da die leidenschaftliche Parteinahme der Mauer für die Mittel¬
mächte, das Interesse Deutschlands diesem eigenartigen Volke wieder zugewendet
und Albanien wohl für immer in dieser oder jener Form der Interessensphäre
Deutschlands und Österreichs angegliedert hat, dürfte es nicht überflüssig erscheinen,
einmal in kurzen Zügen vor Augen zu führen, wie die erste selbständige Regierung
in Albanien zwischen der schier unbelehrbarer Illusion und späteren maßlosen
Enttäuschung der einen und der skrupelloser Umtriebe der anderen zugrunde
gehen mußt«. —
Schon der Zerfall der europäischen Türkei kam für wohlverstandene albanische
Interessen zu früh.
Um zu verhindern, daß Albaner von seinen siegreichen Nachbarn auf¬
geteilt werde, war die albanische Intelligenz im November 1912 gezwungen,
die Selbständigkeit ihres Vaterlandes zu erklären, obschon sie sich Rechenschaft
gab, daß es dem albanischen Geheimkomitee und Klub noch nicht gelungen war,
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