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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die Lebensmittelverteilung -- eine Reifeprüfung des
deutschen Volkes
Professor wittschewsky von

meer den Problemen, die an die Ernährungsfrage im Kriege
anknüpfen, steht gegenwärtig die Lebensmtttelverteilung an erster
Stelle. Wer austeilen will, muh aber zunächst etwas haben.
Nicht minder wichtig also wie die Regelung des Verbrauchs ist
die Beschaffung der Lebensmittel; die zweite Aufgabe muß natur¬
gemäß der ersten sogar vorausgehen. Dennoch ist das allgemeine Interesse
ganz überwiegend auf die Methode und die Bewährung der Austeilung gerichtet.
Aus naheliegenden Gründen. Während der ersten anderthalb Jahre der Kriegszeit
gingen die Sorgen der Bevölkerung hauptsächlich um die Verschiebungen in der
Bedarfsdeckung herum. Daß in unseren Vorräten an Nahrungsmitteln infolge
der Absperrung der Zufuhren aus dem Auslande ein beträchtlicher Fehlbetrag
eintreten mußte, war von Anbeginn klar. Knappheit und Teuerung bezeugten
diese Tatsache. Das gab etliches Murren, im übrigen ließ man aber schwarze
Gedanken nicht aufkommen. Denn von einem empfindlichen Mangel an Nah¬
rungsmitteln war vorläufig nichts zu spüren.

Zwar ergingen frühzeitig Anordnungen bezüglich sparsameren Verbrauchs
von Brodgetreide, das Brot galt aber damals selbst im Mittelstande nur als
ein Teilstück des Sättigungsbedürfnisses, so daß die Streckung des Mehls und
die Einführung der Brotkarte nicht als wesentliche Beeinträchtigung der früheren
Ernährungsgewohnheiten aufgenommen wurden. Das bekannte Wort, daß der
Mensch nicht allein vom Brot lebt, ging beifällig von Mund zu Munde. Die
Möglichkeit, daß sehr ernste Ernährungsschwierigkeiten späterhin auftreten könnten,
kam im ersten Kriegsjahr kaum in Betracht. In dem vom preußischen Mi-


Grenzboten II 191" 25


Die Lebensmittelverteilung — eine Reifeprüfung des
deutschen Volkes
Professor wittschewsky von

meer den Problemen, die an die Ernährungsfrage im Kriege
anknüpfen, steht gegenwärtig die Lebensmtttelverteilung an erster
Stelle. Wer austeilen will, muh aber zunächst etwas haben.
Nicht minder wichtig also wie die Regelung des Verbrauchs ist
die Beschaffung der Lebensmittel; die zweite Aufgabe muß natur¬
gemäß der ersten sogar vorausgehen. Dennoch ist das allgemeine Interesse
ganz überwiegend auf die Methode und die Bewährung der Austeilung gerichtet.
Aus naheliegenden Gründen. Während der ersten anderthalb Jahre der Kriegszeit
gingen die Sorgen der Bevölkerung hauptsächlich um die Verschiebungen in der
Bedarfsdeckung herum. Daß in unseren Vorräten an Nahrungsmitteln infolge
der Absperrung der Zufuhren aus dem Auslande ein beträchtlicher Fehlbetrag
eintreten mußte, war von Anbeginn klar. Knappheit und Teuerung bezeugten
diese Tatsache. Das gab etliches Murren, im übrigen ließ man aber schwarze
Gedanken nicht aufkommen. Denn von einem empfindlichen Mangel an Nah¬
rungsmitteln war vorläufig nichts zu spüren.

Zwar ergingen frühzeitig Anordnungen bezüglich sparsameren Verbrauchs
von Brodgetreide, das Brot galt aber damals selbst im Mittelstande nur als
ein Teilstück des Sättigungsbedürfnisses, so daß die Streckung des Mehls und
die Einführung der Brotkarte nicht als wesentliche Beeinträchtigung der früheren
Ernährungsgewohnheiten aufgenommen wurden. Das bekannte Wort, daß der
Mensch nicht allein vom Brot lebt, ging beifällig von Mund zu Munde. Die
Möglichkeit, daß sehr ernste Ernährungsschwierigkeiten späterhin auftreten könnten,
kam im ersten Kriegsjahr kaum in Betracht. In dem vom preußischen Mi-


Grenzboten II 191« 25
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[0397] [Abbildung] Die Lebensmittelverteilung — eine Reifeprüfung des deutschen Volkes Professor wittschewsky von meer den Problemen, die an die Ernährungsfrage im Kriege anknüpfen, steht gegenwärtig die Lebensmtttelverteilung an erster Stelle. Wer austeilen will, muh aber zunächst etwas haben. Nicht minder wichtig also wie die Regelung des Verbrauchs ist die Beschaffung der Lebensmittel; die zweite Aufgabe muß natur¬ gemäß der ersten sogar vorausgehen. Dennoch ist das allgemeine Interesse ganz überwiegend auf die Methode und die Bewährung der Austeilung gerichtet. Aus naheliegenden Gründen. Während der ersten anderthalb Jahre der Kriegszeit gingen die Sorgen der Bevölkerung hauptsächlich um die Verschiebungen in der Bedarfsdeckung herum. Daß in unseren Vorräten an Nahrungsmitteln infolge der Absperrung der Zufuhren aus dem Auslande ein beträchtlicher Fehlbetrag eintreten mußte, war von Anbeginn klar. Knappheit und Teuerung bezeugten diese Tatsache. Das gab etliches Murren, im übrigen ließ man aber schwarze Gedanken nicht aufkommen. Denn von einem empfindlichen Mangel an Nah¬ rungsmitteln war vorläufig nichts zu spüren. Zwar ergingen frühzeitig Anordnungen bezüglich sparsameren Verbrauchs von Brodgetreide, das Brot galt aber damals selbst im Mittelstande nur als ein Teilstück des Sättigungsbedürfnisses, so daß die Streckung des Mehls und die Einführung der Brotkarte nicht als wesentliche Beeinträchtigung der früheren Ernährungsgewohnheiten aufgenommen wurden. Das bekannte Wort, daß der Mensch nicht allein vom Brot lebt, ging beifällig von Mund zu Munde. Die Möglichkeit, daß sehr ernste Ernährungsschwierigkeiten späterhin auftreten könnten, kam im ersten Kriegsjahr kaum in Betracht. In dem vom preußischen Mi- Grenzboten II 191« 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/397>, abgerufen am 27.07.2024.