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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen an Sachsens Besetzung
durch Preußen ^866
v Professor or. Carl Franke on

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,>WMM!ünfzig Jahre wird es nun, daß Sachsen von preußischen Truppen
besetzt und so der erste Schritt zu seiner Einverleibung in den
!bald darauf begründeten Norddeutschen Bund getan wurde, der
isles 1871 zum neuen Deutschen Reiche erweiterte. Da die Zahl
> derjenigen Sachsen, die jenes folgenschwere Ereignis mit Be¬
wußtsein erlebt haben, schon sehr gelichtet ist, dürften eines solchen persönliche
Erinnerungen daran willkommen sein und zwar auch anderen Deutschen, hat
sich doch jetzt vor deren Augen in Belgien ein fast paralleles Geschehnis abgespielt.

Nicht bloß die sächsische Regierung, sondern der bei weitem größere Teil
des sächsischen Volkes war 1866 preußenfsindlich gesinnt. Noch hatte es die
Teilung Sachsens von 1815 nicht verschmerzt und hoffte, den ihm damals von
Preußen entrissenen Teil im Bunde mit Österreich wieder zu erobern. Auch
galt dessen Kaiserhaus ihm immer noch als Deutschlands Haupt und daher
Preußens Erhebung gegen dieses als Empörung sowie dessen Anspruch, mehr als
die vier anderen Königreiche sein zu wollen, als Anmaßung. Auf den Dörfern
und in den Kleinstädter war kaum einer von tausend preußenfreundlich gesinnt,
weil er sich aus der Erbärmlichkeit der Kleinstaaterei heraussehnte und erkannte,
daß die Verwirklichung seines Ideals eines einigen mächtigen Deutschlands nur
durch den Staat, der einen Großen Kurfürsten und einen Friedrich den Großen
hervorgebracht hatte, zustande kommen konnte, nimmermehr aber durch das aus
vielen Nationalitäten bestehende Österreich. Vergebens sprachen diese wenigen
auch die Befürchtung aus. daß, falls dieses ja siege, eine Bedrückung des
Protestantismus, dessen natürlicher Beschützer Preußen sei. auch in Sachsen
eintreten werde. Aber auch außer der Konfession hatte Sachsen viel mehr
Beziehungen zu Preußen als zu Österreich, so im Handel und Verkehr.
Seit der Freizügigkeit waren viele Glieder sächsischer Familien nach Preußen
verzogen und umgekehrt viele preußischer nach Sachsen, besonders nach Leipzig.
Daher war 1866 der Krieg gegen Preußen für viele tatsächlich ein Bruder¬
krieg. So hatte sich mein nach der Niederlausitz ausgewanderter ältester Bruder
in Preußen naturalisieren lassen und wurde nun dort nachträglich zum Militär
ausgehoben, während mein zweiter Bruder der sächsischen Dienstreserve, die der


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Erinnerungen an Sachsens Besetzung
durch Preußen ^866
v Professor or. Carl Franke on

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besetzt und so der erste Schritt zu seiner Einverleibung in den
!bald darauf begründeten Norddeutschen Bund getan wurde, der
isles 1871 zum neuen Deutschen Reiche erweiterte. Da die Zahl
> derjenigen Sachsen, die jenes folgenschwere Ereignis mit Be¬
wußtsein erlebt haben, schon sehr gelichtet ist, dürften eines solchen persönliche
Erinnerungen daran willkommen sein und zwar auch anderen Deutschen, hat
sich doch jetzt vor deren Augen in Belgien ein fast paralleles Geschehnis abgespielt.

Nicht bloß die sächsische Regierung, sondern der bei weitem größere Teil
des sächsischen Volkes war 1866 preußenfsindlich gesinnt. Noch hatte es die
Teilung Sachsens von 1815 nicht verschmerzt und hoffte, den ihm damals von
Preußen entrissenen Teil im Bunde mit Österreich wieder zu erobern. Auch
galt dessen Kaiserhaus ihm immer noch als Deutschlands Haupt und daher
Preußens Erhebung gegen dieses als Empörung sowie dessen Anspruch, mehr als
die vier anderen Königreiche sein zu wollen, als Anmaßung. Auf den Dörfern
und in den Kleinstädter war kaum einer von tausend preußenfreundlich gesinnt,
weil er sich aus der Erbärmlichkeit der Kleinstaaterei heraussehnte und erkannte,
daß die Verwirklichung seines Ideals eines einigen mächtigen Deutschlands nur
durch den Staat, der einen Großen Kurfürsten und einen Friedrich den Großen
hervorgebracht hatte, zustande kommen konnte, nimmermehr aber durch das aus
vielen Nationalitäten bestehende Österreich. Vergebens sprachen diese wenigen
auch die Befürchtung aus. daß, falls dieses ja siege, eine Bedrückung des
Protestantismus, dessen natürlicher Beschützer Preußen sei. auch in Sachsen
eintreten werde. Aber auch außer der Konfession hatte Sachsen viel mehr
Beziehungen zu Preußen als zu Österreich, so im Handel und Verkehr.
Seit der Freizügigkeit waren viele Glieder sächsischer Familien nach Preußen
verzogen und umgekehrt viele preußischer nach Sachsen, besonders nach Leipzig.
Daher war 1866 der Krieg gegen Preußen für viele tatsächlich ein Bruder¬
krieg. So hatte sich mein nach der Niederlausitz ausgewanderter ältester Bruder
in Preußen naturalisieren lassen und wurde nun dort nachträglich zum Militär
ausgehoben, während mein zweiter Bruder der sächsischen Dienstreserve, die der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/351>, abgerufen am 27.07.2024.