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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Vom natürlichen Heil
v or. v. Franz on

lese man Gesuche, die von einfachen Leuten den Behörden ein¬
gereicht werden, so findet man, daß nur die wenigsten von diesen
Leuten schreiben, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist; aus den
Worten dieser wenigen spricht Einfachheit und Geradheit. Andere
suchen durch gewählte Ausdrücke und umständlichen Satzbau den
Unterschied, der nach ihrer Meinung zwischen Umgangs- und Schriftsprache sein
müßte, zu erreichen. Wieder andere gehen zum Winkeladvokaten und bezahlen
einen harten Taler für ein Schreiben, das durch Wortschwall und Handschrift
den Unerfahrenen besticht, aber inhaltlich höchst unbedeutend ist und keineswegs
besondere Aussichten auf Erfolg hat.

Das geringe Vertrauen der Leute zu ihren eigenen Fähigkeiten im Briefe¬
oder Gesucheschreiben beruht großenteils darauf, daß sie als Schriftsprache aus
Zeitungen und aus amtlichen Schriftstücken nicht ein natürliches Deutsch kennen,
sondern eine Sprache, vielmehr einen Stil, der reich an Umständlichkeiten und
Unnatürlichkeiten ist. Dieser Stil birgt für einfache Leute oft geradezu Rätsel,
so daß sie sich über den Inhalt des Textes überhaupt nicht klar werden, oder
mindestens in ihnen das Gefühl erweckt wird, sie könnten so etwas nicht nach¬
machen und mithin nicht ordentliches Schriftdeutsch schreiben.

Zu den in solcher Weise fremd anmutenden Sprachunarten oder Sprach-
dummheiteu, die zudem noch sehr unschön und verwerflicher als manches
Fremdwort sind, gehören Worte wie "Rückanwort" statt "Antwort" oder
Sätze wie "die Gefahren würden um ein Beträchtliches herabgemindert" statt
"die Gefahren würden beträchlich vermindert". Ebenso wird die gerade, natür¬
liche Schreibweise beeinträchtigt durch die Veränderung des Prädikatsadjektivs
in Sätzen wie "Die Gelegenheit ist eine günstige" oder gar ". . . ist als eine
günstige anzusprechen" statt einfach "die Gelegenheit ist günstig". Unlängst
wurde in der in Frankfurt a. M. erscheinenden "Umschau" darauf hingewiesen,
daß die Veränderung des Prädikatsadjektivs lediglich durch Übersetzungen aus
dem Englischen und Französischen bei uns eingeschleppt ist. Es gibt aber noch
eine Anzahl viel schlimmerer Gallizismen oder Anglizismen. "Gefolge von",
die wörtliche Übersetzung des französischen "suivi ac" oder des englischen
"wlloxveä b^", ist grammatisch unrichtig; denn da "folgen" den Dativ
regiert, darf es nur heißen "ihm folgte . . .". Ein anderer, leider
häufiger grammatischer Fehler ist "eine teilweise Rückbildung". "Teilweise"




Vom natürlichen Heil
v or. v. Franz on

lese man Gesuche, die von einfachen Leuten den Behörden ein¬
gereicht werden, so findet man, daß nur die wenigsten von diesen
Leuten schreiben, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist; aus den
Worten dieser wenigen spricht Einfachheit und Geradheit. Andere
suchen durch gewählte Ausdrücke und umständlichen Satzbau den
Unterschied, der nach ihrer Meinung zwischen Umgangs- und Schriftsprache sein
müßte, zu erreichen. Wieder andere gehen zum Winkeladvokaten und bezahlen
einen harten Taler für ein Schreiben, das durch Wortschwall und Handschrift
den Unerfahrenen besticht, aber inhaltlich höchst unbedeutend ist und keineswegs
besondere Aussichten auf Erfolg hat.

Das geringe Vertrauen der Leute zu ihren eigenen Fähigkeiten im Briefe¬
oder Gesucheschreiben beruht großenteils darauf, daß sie als Schriftsprache aus
Zeitungen und aus amtlichen Schriftstücken nicht ein natürliches Deutsch kennen,
sondern eine Sprache, vielmehr einen Stil, der reich an Umständlichkeiten und
Unnatürlichkeiten ist. Dieser Stil birgt für einfache Leute oft geradezu Rätsel,
so daß sie sich über den Inhalt des Textes überhaupt nicht klar werden, oder
mindestens in ihnen das Gefühl erweckt wird, sie könnten so etwas nicht nach¬
machen und mithin nicht ordentliches Schriftdeutsch schreiben.

Zu den in solcher Weise fremd anmutenden Sprachunarten oder Sprach-
dummheiteu, die zudem noch sehr unschön und verwerflicher als manches
Fremdwort sind, gehören Worte wie „Rückanwort" statt „Antwort" oder
Sätze wie „die Gefahren würden um ein Beträchtliches herabgemindert" statt
„die Gefahren würden beträchlich vermindert". Ebenso wird die gerade, natür¬
liche Schreibweise beeinträchtigt durch die Veränderung des Prädikatsadjektivs
in Sätzen wie „Die Gelegenheit ist eine günstige" oder gar „. . . ist als eine
günstige anzusprechen" statt einfach „die Gelegenheit ist günstig". Unlängst
wurde in der in Frankfurt a. M. erscheinenden „Umschau" darauf hingewiesen,
daß die Veränderung des Prädikatsadjektivs lediglich durch Übersetzungen aus
dem Englischen und Französischen bei uns eingeschleppt ist. Es gibt aber noch
eine Anzahl viel schlimmerer Gallizismen oder Anglizismen. „Gefolge von",
die wörtliche Übersetzung des französischen „suivi ac" oder des englischen
„wlloxveä b^", ist grammatisch unrichtig; denn da „folgen" den Dativ
regiert, darf es nur heißen „ihm folgte . . .". Ein anderer, leider
häufiger grammatischer Fehler ist „eine teilweise Rückbildung". „Teilweise"


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[0035] [Abbildung] Vom natürlichen Heil v or. v. Franz on lese man Gesuche, die von einfachen Leuten den Behörden ein¬ gereicht werden, so findet man, daß nur die wenigsten von diesen Leuten schreiben, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist; aus den Worten dieser wenigen spricht Einfachheit und Geradheit. Andere suchen durch gewählte Ausdrücke und umständlichen Satzbau den Unterschied, der nach ihrer Meinung zwischen Umgangs- und Schriftsprache sein müßte, zu erreichen. Wieder andere gehen zum Winkeladvokaten und bezahlen einen harten Taler für ein Schreiben, das durch Wortschwall und Handschrift den Unerfahrenen besticht, aber inhaltlich höchst unbedeutend ist und keineswegs besondere Aussichten auf Erfolg hat. Das geringe Vertrauen der Leute zu ihren eigenen Fähigkeiten im Briefe¬ oder Gesucheschreiben beruht großenteils darauf, daß sie als Schriftsprache aus Zeitungen und aus amtlichen Schriftstücken nicht ein natürliches Deutsch kennen, sondern eine Sprache, vielmehr einen Stil, der reich an Umständlichkeiten und Unnatürlichkeiten ist. Dieser Stil birgt für einfache Leute oft geradezu Rätsel, so daß sie sich über den Inhalt des Textes überhaupt nicht klar werden, oder mindestens in ihnen das Gefühl erweckt wird, sie könnten so etwas nicht nach¬ machen und mithin nicht ordentliches Schriftdeutsch schreiben. Zu den in solcher Weise fremd anmutenden Sprachunarten oder Sprach- dummheiteu, die zudem noch sehr unschön und verwerflicher als manches Fremdwort sind, gehören Worte wie „Rückanwort" statt „Antwort" oder Sätze wie „die Gefahren würden um ein Beträchtliches herabgemindert" statt „die Gefahren würden beträchlich vermindert". Ebenso wird die gerade, natür¬ liche Schreibweise beeinträchtigt durch die Veränderung des Prädikatsadjektivs in Sätzen wie „Die Gelegenheit ist eine günstige" oder gar „. . . ist als eine günstige anzusprechen" statt einfach „die Gelegenheit ist günstig". Unlängst wurde in der in Frankfurt a. M. erscheinenden „Umschau" darauf hingewiesen, daß die Veränderung des Prädikatsadjektivs lediglich durch Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen bei uns eingeschleppt ist. Es gibt aber noch eine Anzahl viel schlimmerer Gallizismen oder Anglizismen. „Gefolge von", die wörtliche Übersetzung des französischen „suivi ac" oder des englischen „wlloxveä b^", ist grammatisch unrichtig; denn da „folgen" den Dativ regiert, darf es nur heißen „ihm folgte . . .". Ein anderer, leider häufiger grammatischer Fehler ist „eine teilweise Rückbildung". „Teilweise"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/35>, abgerufen am 27.07.2024.