Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Bausteine zur Geschichte des Valtenlandes
Erwin Hercke von

attische Geschichte -- ein in Deutschland fast unbekanntes Gebiet!
Und doch ist die Geschichte dieser einzigen Kolonie des alten
Deutschen Reiches nicht nur handelspolitisch -- wegen des durch"
gehenden Handelsverkehrs nach Rußland und Litauen: Nowgorod.
Witebsk, Smolensk. Polozk -- sondern vor allem wegen ihres
Zusammenhanges mit der deutschen Gesamtgeschichte dauernd wichtig. Livland
ist das letzte Glied der mittelalterlichen Siedelungen im Osten, jenes vielleicht
wichtigsten Ereignisses mittelalterlicher deutscher Geschichte, durch das uns das
Gebiet von der Elbe bis Ostpreußen gewonnen, wir von einem Volke mittleren
Umfanges wieder zu einem solchen ersten Ranges erhoben wurden. Als Vor¬
posten ist Livland für das alte Deutsche Reich besonders wichtig und zugleich
durch intensives politisches Leben ausgezeichnet: Im Widerstreit mit Dänemark,
Schweden, Litauen, Polen und Rußland, weit überlegenen Machtfaktoren, mit
dem räumlich entfernten preußischen Orden politisch verbunden, steht das baltische
Land fast immer vor schwierigsten Aufgaben. An einen so gefährdeten Platz
gebaut, behauptet diese Vormauer des Deutschen Reiches durch 360 Jahre ihre
Selbständigkeit. Nur von diesen Zeiten der Selbständigkeit, die allein eigentliche
deutsche Geschichte sind, ist in folgendem die Rede.

Die erste deutsche Gestalt auf baltischen Boden ist der Mönch Meinhardt,
eine warmherzige, von der Kraft des Glaubens getragene Persönlichkeit. Er
widmet sich "lediglich um Christi willen" der Mission am Dünastmnde. 1184
baut er das erste Kirchlein bei Uxkull. Er versucht, die Liven in größerem
Umfange durch die Versprechung, ihnen im Falle des Übertritts Burgen nach
deutschem Muster zu bauen, dem Christentum zu gewinnen. Vergebens; nach
Erbauung der Burgen werden die scheinbar Bekehrten wieder abtrünnig. Bald
bedrohen sie sogar das Leben Meinhardts. Nach sorgenvollen Jahren beschließt
er sein Leben 1196. Sein Verdienst ist es, den Gedanken der livländischen
Mission gefaßt und einem Größeren die Wege gewiesen zu haben: Bischof
Albert. Groß als Staatsmann und Organisator, legt er den Grund zu demi
eigentümlichen Bau baltischen Lebens: 1200 segelt er von Lübeck mit stattlicher
Flotte zur Dura, erobert und bezwingt die anwohnenden Liven, gründet Riga
als Marktplatz deutscher Kaufleute mit deutschem Rechte und errichtet 1202 zur
Eroberung des Landes den Ritterorden der Schwertbrüder. Auf vierzehn Reisen




Bausteine zur Geschichte des Valtenlandes
Erwin Hercke von

attische Geschichte — ein in Deutschland fast unbekanntes Gebiet!
Und doch ist die Geschichte dieser einzigen Kolonie des alten
Deutschen Reiches nicht nur handelspolitisch — wegen des durch"
gehenden Handelsverkehrs nach Rußland und Litauen: Nowgorod.
Witebsk, Smolensk. Polozk — sondern vor allem wegen ihres
Zusammenhanges mit der deutschen Gesamtgeschichte dauernd wichtig. Livland
ist das letzte Glied der mittelalterlichen Siedelungen im Osten, jenes vielleicht
wichtigsten Ereignisses mittelalterlicher deutscher Geschichte, durch das uns das
Gebiet von der Elbe bis Ostpreußen gewonnen, wir von einem Volke mittleren
Umfanges wieder zu einem solchen ersten Ranges erhoben wurden. Als Vor¬
posten ist Livland für das alte Deutsche Reich besonders wichtig und zugleich
durch intensives politisches Leben ausgezeichnet: Im Widerstreit mit Dänemark,
Schweden, Litauen, Polen und Rußland, weit überlegenen Machtfaktoren, mit
dem räumlich entfernten preußischen Orden politisch verbunden, steht das baltische
Land fast immer vor schwierigsten Aufgaben. An einen so gefährdeten Platz
gebaut, behauptet diese Vormauer des Deutschen Reiches durch 360 Jahre ihre
Selbständigkeit. Nur von diesen Zeiten der Selbständigkeit, die allein eigentliche
deutsche Geschichte sind, ist in folgendem die Rede.

Die erste deutsche Gestalt auf baltischen Boden ist der Mönch Meinhardt,
eine warmherzige, von der Kraft des Glaubens getragene Persönlichkeit. Er
widmet sich „lediglich um Christi willen" der Mission am Dünastmnde. 1184
baut er das erste Kirchlein bei Uxkull. Er versucht, die Liven in größerem
Umfange durch die Versprechung, ihnen im Falle des Übertritts Burgen nach
deutschem Muster zu bauen, dem Christentum zu gewinnen. Vergebens; nach
Erbauung der Burgen werden die scheinbar Bekehrten wieder abtrünnig. Bald
bedrohen sie sogar das Leben Meinhardts. Nach sorgenvollen Jahren beschließt
er sein Leben 1196. Sein Verdienst ist es, den Gedanken der livländischen
Mission gefaßt und einem Größeren die Wege gewiesen zu haben: Bischof
Albert. Groß als Staatsmann und Organisator, legt er den Grund zu demi
eigentümlichen Bau baltischen Lebens: 1200 segelt er von Lübeck mit stattlicher
Flotte zur Dura, erobert und bezwingt die anwohnenden Liven, gründet Riga
als Marktplatz deutscher Kaufleute mit deutschem Rechte und errichtet 1202 zur
Eroberung des Landes den Ritterorden der Schwertbrüder. Auf vierzehn Reisen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0280" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330380"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341903_330101/figures/grenzboten_341903_330101_330380_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Bausteine zur Geschichte des Valtenlandes<lb/><note type="byline"> Erwin Hercke</note> von </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1033"> attische Geschichte &#x2014; ein in Deutschland fast unbekanntes Gebiet!<lb/>
Und doch ist die Geschichte dieser einzigen Kolonie des alten<lb/>
Deutschen Reiches nicht nur handelspolitisch &#x2014; wegen des durch"<lb/>
gehenden Handelsverkehrs nach Rußland und Litauen: Nowgorod.<lb/>
Witebsk, Smolensk. Polozk &#x2014; sondern vor allem wegen ihres<lb/>
Zusammenhanges mit der deutschen Gesamtgeschichte dauernd wichtig. Livland<lb/>
ist das letzte Glied der mittelalterlichen Siedelungen im Osten, jenes vielleicht<lb/>
wichtigsten Ereignisses mittelalterlicher deutscher Geschichte, durch das uns das<lb/>
Gebiet von der Elbe bis Ostpreußen gewonnen, wir von einem Volke mittleren<lb/>
Umfanges wieder zu einem solchen ersten Ranges erhoben wurden. Als Vor¬<lb/>
posten ist Livland für das alte Deutsche Reich besonders wichtig und zugleich<lb/>
durch intensives politisches Leben ausgezeichnet: Im Widerstreit mit Dänemark,<lb/>
Schweden, Litauen, Polen und Rußland, weit überlegenen Machtfaktoren, mit<lb/>
dem räumlich entfernten preußischen Orden politisch verbunden, steht das baltische<lb/>
Land fast immer vor schwierigsten Aufgaben. An einen so gefährdeten Platz<lb/>
gebaut, behauptet diese Vormauer des Deutschen Reiches durch 360 Jahre ihre<lb/>
Selbständigkeit. Nur von diesen Zeiten der Selbständigkeit, die allein eigentliche<lb/>
deutsche Geschichte sind, ist in folgendem die Rede.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1034" next="#ID_1035"> Die erste deutsche Gestalt auf baltischen Boden ist der Mönch Meinhardt,<lb/>
eine warmherzige, von der Kraft des Glaubens getragene Persönlichkeit. Er<lb/>
widmet sich &#x201E;lediglich um Christi willen" der Mission am Dünastmnde. 1184<lb/>
baut er das erste Kirchlein bei Uxkull. Er versucht, die Liven in größerem<lb/>
Umfange durch die Versprechung, ihnen im Falle des Übertritts Burgen nach<lb/>
deutschem Muster zu bauen, dem Christentum zu gewinnen. Vergebens; nach<lb/>
Erbauung der Burgen werden die scheinbar Bekehrten wieder abtrünnig. Bald<lb/>
bedrohen sie sogar das Leben Meinhardts. Nach sorgenvollen Jahren beschließt<lb/>
er sein Leben 1196. Sein Verdienst ist es, den Gedanken der livländischen<lb/>
Mission gefaßt und einem Größeren die Wege gewiesen zu haben: Bischof<lb/>
Albert. Groß als Staatsmann und Organisator, legt er den Grund zu demi<lb/>
eigentümlichen Bau baltischen Lebens: 1200 segelt er von Lübeck mit stattlicher<lb/>
Flotte zur Dura, erobert und bezwingt die anwohnenden Liven, gründet Riga<lb/>
als Marktplatz deutscher Kaufleute mit deutschem Rechte und errichtet 1202 zur<lb/>
Eroberung des Landes den Ritterorden der Schwertbrüder. Auf vierzehn Reisen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0280] [Abbildung] Bausteine zur Geschichte des Valtenlandes Erwin Hercke von attische Geschichte — ein in Deutschland fast unbekanntes Gebiet! Und doch ist die Geschichte dieser einzigen Kolonie des alten Deutschen Reiches nicht nur handelspolitisch — wegen des durch" gehenden Handelsverkehrs nach Rußland und Litauen: Nowgorod. Witebsk, Smolensk. Polozk — sondern vor allem wegen ihres Zusammenhanges mit der deutschen Gesamtgeschichte dauernd wichtig. Livland ist das letzte Glied der mittelalterlichen Siedelungen im Osten, jenes vielleicht wichtigsten Ereignisses mittelalterlicher deutscher Geschichte, durch das uns das Gebiet von der Elbe bis Ostpreußen gewonnen, wir von einem Volke mittleren Umfanges wieder zu einem solchen ersten Ranges erhoben wurden. Als Vor¬ posten ist Livland für das alte Deutsche Reich besonders wichtig und zugleich durch intensives politisches Leben ausgezeichnet: Im Widerstreit mit Dänemark, Schweden, Litauen, Polen und Rußland, weit überlegenen Machtfaktoren, mit dem räumlich entfernten preußischen Orden politisch verbunden, steht das baltische Land fast immer vor schwierigsten Aufgaben. An einen so gefährdeten Platz gebaut, behauptet diese Vormauer des Deutschen Reiches durch 360 Jahre ihre Selbständigkeit. Nur von diesen Zeiten der Selbständigkeit, die allein eigentliche deutsche Geschichte sind, ist in folgendem die Rede. Die erste deutsche Gestalt auf baltischen Boden ist der Mönch Meinhardt, eine warmherzige, von der Kraft des Glaubens getragene Persönlichkeit. Er widmet sich „lediglich um Christi willen" der Mission am Dünastmnde. 1184 baut er das erste Kirchlein bei Uxkull. Er versucht, die Liven in größerem Umfange durch die Versprechung, ihnen im Falle des Übertritts Burgen nach deutschem Muster zu bauen, dem Christentum zu gewinnen. Vergebens; nach Erbauung der Burgen werden die scheinbar Bekehrten wieder abtrünnig. Bald bedrohen sie sogar das Leben Meinhardts. Nach sorgenvollen Jahren beschließt er sein Leben 1196. Sein Verdienst ist es, den Gedanken der livländischen Mission gefaßt und einem Größeren die Wege gewiesen zu haben: Bischof Albert. Groß als Staatsmann und Organisator, legt er den Grund zu demi eigentümlichen Bau baltischen Lebens: 1200 segelt er von Lübeck mit stattlicher Flotte zur Dura, erobert und bezwingt die anwohnenden Liven, gründet Riga als Marktplatz deutscher Kaufleute mit deutschem Rechte und errichtet 1202 zur Eroberung des Landes den Ritterorden der Schwertbrüder. Auf vierzehn Reisen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/280
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/280>, abgerufen am 27.07.2024.