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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Der Ruf nach einem neuen Bismarck
L?ochschnlprofessor Dr. Friedrich Luckwaldt von

MMUoch steht die Welt in Flammen. Der Krieg wütet überall fort.
Es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß er auf neue Mächte über¬
greift. Dennoch beginnt sich die öffentliche Meinung in den
kriegführenden Staaten, auch in Deutschland, in wachsendem Maß
mit der Frage zu beschäftigen, wie der Frieden, und was nach
dem Frieden werden soll. Ein jeder sieht, daß es schwer sein wird, die aus
den Fugen gegangene Staatengesellschaft neu einzurenken. Manch bescheidenes
Gemüt dankt Gott mit jedem Morgen, daß es nicht braucht fürs Römische
Reich zu sorgen. Zuversichtliche Naturen aber versuchen sich am Aufbau
blendender Luftschlösser. Dabei haben sie irgendwie die Empfindung, daß die
verantwortlichen Leiter der Reichspolitik die Möglichkeiten der Gegenwart und
Zukunft nüchterner beurteilen. Deshalb rufen sie nach einem stärkeren Mann,
nach einem neuen Bismarck.

Nun wird niemand leugnen, daß für die Zeit, die wir durchleben, der
Größte kaum groß genug wäre, und wir deshalb wohl einen politischen Genius
ersten Ranges gebrauchen könnten, wie es neben Friedrich dem Großen in
Deutschland doch eben nur der Alte im Sachsenwald gewesen ist. Aber man
darf zweifeln, ob, wenn Bismarck wieder käme, nicht gerade die am wenigsten
von ihm befriedigt sein würden, die jetzt seinen Geist am eifrigsten beschwören.
B6ranger stellt einmal in einem witzigen Gedicht Gott und die Priester ein¬
ander gegenüber, wo dann am Schluß jeder Strophe der liebe Gott sagt:
votre Dien je ne 8ais rien. So würde Bismarck kaum etwas wissen
von dem Bismarck, den die Bismarckianer sich allmählich zurecht gemacht haben.
Fürst Bülow hat niemals ein wahreres Wort gesprochen, als indem er meinte:
"wir leiden am mißverstandenen Fürsten Bismarck". Dieser mißverstandene
Fürst Bismarck gleicht dann einigermaßen dem von unsern Feinden gern ge°


GrenzSoten II 1916 11


Der Ruf nach einem neuen Bismarck
L?ochschnlprofessor Dr. Friedrich Luckwaldt von

MMUoch steht die Welt in Flammen. Der Krieg wütet überall fort.
Es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß er auf neue Mächte über¬
greift. Dennoch beginnt sich die öffentliche Meinung in den
kriegführenden Staaten, auch in Deutschland, in wachsendem Maß
mit der Frage zu beschäftigen, wie der Frieden, und was nach
dem Frieden werden soll. Ein jeder sieht, daß es schwer sein wird, die aus
den Fugen gegangene Staatengesellschaft neu einzurenken. Manch bescheidenes
Gemüt dankt Gott mit jedem Morgen, daß es nicht braucht fürs Römische
Reich zu sorgen. Zuversichtliche Naturen aber versuchen sich am Aufbau
blendender Luftschlösser. Dabei haben sie irgendwie die Empfindung, daß die
verantwortlichen Leiter der Reichspolitik die Möglichkeiten der Gegenwart und
Zukunft nüchterner beurteilen. Deshalb rufen sie nach einem stärkeren Mann,
nach einem neuen Bismarck.

Nun wird niemand leugnen, daß für die Zeit, die wir durchleben, der
Größte kaum groß genug wäre, und wir deshalb wohl einen politischen Genius
ersten Ranges gebrauchen könnten, wie es neben Friedrich dem Großen in
Deutschland doch eben nur der Alte im Sachsenwald gewesen ist. Aber man
darf zweifeln, ob, wenn Bismarck wieder käme, nicht gerade die am wenigsten
von ihm befriedigt sein würden, die jetzt seinen Geist am eifrigsten beschwören.
B6ranger stellt einmal in einem witzigen Gedicht Gott und die Priester ein¬
ander gegenüber, wo dann am Schluß jeder Strophe der liebe Gott sagt:
votre Dien je ne 8ais rien. So würde Bismarck kaum etwas wissen
von dem Bismarck, den die Bismarckianer sich allmählich zurecht gemacht haben.
Fürst Bülow hat niemals ein wahreres Wort gesprochen, als indem er meinte:
„wir leiden am mißverstandenen Fürsten Bismarck". Dieser mißverstandene
Fürst Bismarck gleicht dann einigermaßen dem von unsern Feinden gern ge°


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[0173] [Abbildung] Der Ruf nach einem neuen Bismarck L?ochschnlprofessor Dr. Friedrich Luckwaldt von MMUoch steht die Welt in Flammen. Der Krieg wütet überall fort. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß er auf neue Mächte über¬ greift. Dennoch beginnt sich die öffentliche Meinung in den kriegführenden Staaten, auch in Deutschland, in wachsendem Maß mit der Frage zu beschäftigen, wie der Frieden, und was nach dem Frieden werden soll. Ein jeder sieht, daß es schwer sein wird, die aus den Fugen gegangene Staatengesellschaft neu einzurenken. Manch bescheidenes Gemüt dankt Gott mit jedem Morgen, daß es nicht braucht fürs Römische Reich zu sorgen. Zuversichtliche Naturen aber versuchen sich am Aufbau blendender Luftschlösser. Dabei haben sie irgendwie die Empfindung, daß die verantwortlichen Leiter der Reichspolitik die Möglichkeiten der Gegenwart und Zukunft nüchterner beurteilen. Deshalb rufen sie nach einem stärkeren Mann, nach einem neuen Bismarck. Nun wird niemand leugnen, daß für die Zeit, die wir durchleben, der Größte kaum groß genug wäre, und wir deshalb wohl einen politischen Genius ersten Ranges gebrauchen könnten, wie es neben Friedrich dem Großen in Deutschland doch eben nur der Alte im Sachsenwald gewesen ist. Aber man darf zweifeln, ob, wenn Bismarck wieder käme, nicht gerade die am wenigsten von ihm befriedigt sein würden, die jetzt seinen Geist am eifrigsten beschwören. B6ranger stellt einmal in einem witzigen Gedicht Gott und die Priester ein¬ ander gegenüber, wo dann am Schluß jeder Strophe der liebe Gott sagt: votre Dien je ne 8ais rien. So würde Bismarck kaum etwas wissen von dem Bismarck, den die Bismarckianer sich allmählich zurecht gemacht haben. Fürst Bülow hat niemals ein wahreres Wort gesprochen, als indem er meinte: „wir leiden am mißverstandenen Fürsten Bismarck". Dieser mißverstandene Fürst Bismarck gleicht dann einigermaßen dem von unsern Feinden gern ge° GrenzSoten II 1916 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/173>, abgerufen am 01.09.2024.