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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich von Gagern, ein Prophet des Weltkrieges
Professor Dr. Adolf Hasenclever von

meer den Denkschriften, welche Heinrich von Gagern aus dem
Nachlasse seines Bruders, des im Jahre 1848 während des
basischen Aufstandes gefallenen niederländischen Generals Friedrich
von Gagern im Jahre 1856 veröffentlicht hat, befindet sich ein
höchst interessanter Aufsatz, welcher verdient, gerade in unseren
Tagen der Vergessenheit entrissen zu werden, da die Voraussage seines Ver¬
fassers in wesentlichen Punkten furchtbarste Wirklichkeit geworden ist.

Die Denkschrift trägt den Titel: "Der Krieg Deutschlands gegen Rußland
und Frankreich zugleich"*), sie ist entstanden zu Ende des Jahres 1842, wie
Friedrich von Gagern selbst an seinen Bruder Heinrich aus Harlem, wo er
damals als Brigadekommandeur in niederländischen Diensten lebte, am
30. Dezember 1842 schreibt**): "In Erwägung künftiger Dinge, die vielleicht
lange nicht, aber gewiß einmal kommen, habe ich diesen Winter hier Armeen
aufgestellt und Operationsplane gemacht für den Fall eines Kriegs zwischen
Österreich, Preußen und dem Deutschen Bund einerseits, und andererseits Nußland
und Frankreich. Da der erste große Europäische Krieg wahrscheinlich in dieser
Gestalt erscheinen wird, wenn wir es auch nicht erleben, so hat mich die Auf¬
gabe interesstrt. Ich werde das Opus mitbringen."

Erst im Jahre 1856, bald nach der Beendigung des Krimkrieges, ist der
Aufsatz veröffentlicht worden, und wenn Gagerns Weissagung auch nicht ein¬
getroffen ist, daß dem ersten großen europäischen Kriege die von ihm angedeutete
politische Konstellation zugrunde liegen werde, wenn auch nach Heinrich von
Gagerns Urteil die-in der Denkschrift "entwickelten strategischen Ansichten
kontrovers" sind***), das Besondere, das für die damalige Zeit ganz Neue behält
doch seine dauernde Bedeutung: der Bund zwischen Frankreich und Rußland
zur Niederringung der beiden deutschen Großmächte, sowie die daraus sich er¬
gebende "notwendige Übereinstimmung der politischen und militärischen Aktion
Österreichs und Preußens". Hier tritt uns ein Weitblick und zugleich eine





*) Heinins von Gagern: "Das Leben des Generals Friedrich von Gagern." Bd. III.
Literarischer Nachlaß. (Verlag von C. F. Winter, Leipzig u. Heidelberg 18S6.) S. 543--S82.
"*) Heinrich von Gagern a. a. O. Bd. II. (18S7) S. 379.
**
*) Heinrich von Gagern a. a. O, Bd. II. S, 394.


Friedrich von Gagern, ein Prophet des Weltkrieges
Professor Dr. Adolf Hasenclever von

meer den Denkschriften, welche Heinrich von Gagern aus dem
Nachlasse seines Bruders, des im Jahre 1848 während des
basischen Aufstandes gefallenen niederländischen Generals Friedrich
von Gagern im Jahre 1856 veröffentlicht hat, befindet sich ein
höchst interessanter Aufsatz, welcher verdient, gerade in unseren
Tagen der Vergessenheit entrissen zu werden, da die Voraussage seines Ver¬
fassers in wesentlichen Punkten furchtbarste Wirklichkeit geworden ist.

Die Denkschrift trägt den Titel: „Der Krieg Deutschlands gegen Rußland
und Frankreich zugleich"*), sie ist entstanden zu Ende des Jahres 1842, wie
Friedrich von Gagern selbst an seinen Bruder Heinrich aus Harlem, wo er
damals als Brigadekommandeur in niederländischen Diensten lebte, am
30. Dezember 1842 schreibt**): „In Erwägung künftiger Dinge, die vielleicht
lange nicht, aber gewiß einmal kommen, habe ich diesen Winter hier Armeen
aufgestellt und Operationsplane gemacht für den Fall eines Kriegs zwischen
Österreich, Preußen und dem Deutschen Bund einerseits, und andererseits Nußland
und Frankreich. Da der erste große Europäische Krieg wahrscheinlich in dieser
Gestalt erscheinen wird, wenn wir es auch nicht erleben, so hat mich die Auf¬
gabe interesstrt. Ich werde das Opus mitbringen."

Erst im Jahre 1856, bald nach der Beendigung des Krimkrieges, ist der
Aufsatz veröffentlicht worden, und wenn Gagerns Weissagung auch nicht ein¬
getroffen ist, daß dem ersten großen europäischen Kriege die von ihm angedeutete
politische Konstellation zugrunde liegen werde, wenn auch nach Heinrich von
Gagerns Urteil die-in der Denkschrift „entwickelten strategischen Ansichten
kontrovers" sind***), das Besondere, das für die damalige Zeit ganz Neue behält
doch seine dauernde Bedeutung: der Bund zwischen Frankreich und Rußland
zur Niederringung der beiden deutschen Großmächte, sowie die daraus sich er¬
gebende „notwendige Übereinstimmung der politischen und militärischen Aktion
Österreichs und Preußens". Hier tritt uns ein Weitblick und zugleich eine





*) Heinins von Gagern: „Das Leben des Generals Friedrich von Gagern." Bd. III.
Literarischer Nachlaß. (Verlag von C. F. Winter, Leipzig u. Heidelberg 18S6.) S. 543—S82.
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*) Heinrich von Gagern a. a. O, Bd. II. S, 394.
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[0399] [Abbildung] Friedrich von Gagern, ein Prophet des Weltkrieges Professor Dr. Adolf Hasenclever von meer den Denkschriften, welche Heinrich von Gagern aus dem Nachlasse seines Bruders, des im Jahre 1848 während des basischen Aufstandes gefallenen niederländischen Generals Friedrich von Gagern im Jahre 1856 veröffentlicht hat, befindet sich ein höchst interessanter Aufsatz, welcher verdient, gerade in unseren Tagen der Vergessenheit entrissen zu werden, da die Voraussage seines Ver¬ fassers in wesentlichen Punkten furchtbarste Wirklichkeit geworden ist. Die Denkschrift trägt den Titel: „Der Krieg Deutschlands gegen Rußland und Frankreich zugleich"*), sie ist entstanden zu Ende des Jahres 1842, wie Friedrich von Gagern selbst an seinen Bruder Heinrich aus Harlem, wo er damals als Brigadekommandeur in niederländischen Diensten lebte, am 30. Dezember 1842 schreibt**): „In Erwägung künftiger Dinge, die vielleicht lange nicht, aber gewiß einmal kommen, habe ich diesen Winter hier Armeen aufgestellt und Operationsplane gemacht für den Fall eines Kriegs zwischen Österreich, Preußen und dem Deutschen Bund einerseits, und andererseits Nußland und Frankreich. Da der erste große Europäische Krieg wahrscheinlich in dieser Gestalt erscheinen wird, wenn wir es auch nicht erleben, so hat mich die Auf¬ gabe interesstrt. Ich werde das Opus mitbringen." Erst im Jahre 1856, bald nach der Beendigung des Krimkrieges, ist der Aufsatz veröffentlicht worden, und wenn Gagerns Weissagung auch nicht ein¬ getroffen ist, daß dem ersten großen europäischen Kriege die von ihm angedeutete politische Konstellation zugrunde liegen werde, wenn auch nach Heinrich von Gagerns Urteil die-in der Denkschrift „entwickelten strategischen Ansichten kontrovers" sind***), das Besondere, das für die damalige Zeit ganz Neue behält doch seine dauernde Bedeutung: der Bund zwischen Frankreich und Rußland zur Niederringung der beiden deutschen Großmächte, sowie die daraus sich er¬ gebende „notwendige Übereinstimmung der politischen und militärischen Aktion Österreichs und Preußens". Hier tritt uns ein Weitblick und zugleich eine *) Heinins von Gagern: „Das Leben des Generals Friedrich von Gagern." Bd. III. Literarischer Nachlaß. (Verlag von C. F. Winter, Leipzig u. Heidelberg 18S6.) S. 543—S82. "*) Heinrich von Gagern a. a. O. Bd. II. (18S7) S. 379. ** *) Heinrich von Gagern a. a. O, Bd. II. S, 394.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/399>, abgerufen am 22.07.2024.