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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Z)er Weltkrieg
und die Lage der Lohnarbeiterschaft in Europa
Heinrich Göhring von

AM> e nach den Stand der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung
! der einzelnen Länder selbst ist die Lage der Lohnarbeiterschaft in
Europa durch den Weltkrieg mehr oder weniger stark beeinflußt
worden. Gleichmäßig für alle Staaten ist festzustellen, daß der
Ausbruch dieses ungeheuren Völkerringens eine große Panik hervor¬
rief: Handel und Verkehr, Industrie und Gewerbe stockten urplötzlich, und die
Folge hiervon war eine teilweise ganz kolossale Arbeitslosigkeit in den Reihen der
Lohnarbeiterschaft.

In Deutschland war diese Erscheinung erfreulicherweise nur vorübergehender
Natur. Dank den Maßnahmen der Organisationen der Arbeiter und Unternehmer,
der Behörden und sonstigen Körperschaften und dank der Anpassungsfähigkeit der
deutschen Industrie und der der deutschen Arbeiter selbst konnte hier sehr bald
Abhilfe geschaffen werden. In den ersten sechs Kriegsmonaten haben die deutschen
Gewerkschaften allein schon insgesamt 17783000 M. an die Arbeitslosen und
6180000 M. an die Familien der Kriegsteilnehmer gezahlt. Bis zum 31. Juli 1915
waren diese Summen schon auf 21578000 M. bzw. auf 10421584 M. angewachsen.
Man nehme weiter die teilweise ganz enormen Ausgaben, die allein schon hin¬
sichtlich der Kriegsfürsorge von Seiten der deutschen Unternehmerschaft gemacht
worden sind. Wenn auch allerdings noch keine Zusammenstellung der von den
deutschen Arbeitgebern beispielsweise für die Angehörigen ihrer zum Heere
eingezogenen Beamten und Arbeiter insbesondere auch für ihre Arbeiter-
amilien gemachten Aufwendungen besteht, so erhält man doch einen ungefähren
Begriff, wenn man erfährt, daß die Mitglieder des Mittelrheinischen Fabrikanten-
Vereins bisher nicht weniger als 13 Millionen Mark für diese Zwecke aufgebracht
haben. Höchst anerkennenswert ist hier ohne alle Frage, daß selbst Unternehmungen,
die zurzeit über gar keine oder doch nur ganz geringe Einnahmequellen verfügen,
wie beispielsweise der norddeutsche Lloyd in Bremen und die Hamburg-Amerika-
Linie in Hamburg sich an derartigen Liebeswerken im vollsten Sinne des Wortes
betätigen. ^ Die Tätigkeit der deutschen Städte steht hier nicht zurück. So bewilligten
beispielsweise im November 1914 die Stadtverordneten von Breslau einen Kredit von
fünf Millionen Mark zur Ausführung von Notstandsarbeiten. Die Zahl der von der
Stadt Berlin unterstützten Familien von Kriegsteilnehmern belief sich im August 1914
aus 62980 und stieg bis zum November 1914 auf 74148. Die Gesamtsumme
der Unterstützungen wuchs in derselben Zeit von 1,3 Millionen Mark auf
3,6 Millionen Mark. Nach Mitteilungen aus Hamburg bewilligte am 6. Oktober




Z)er Weltkrieg
und die Lage der Lohnarbeiterschaft in Europa
Heinrich Göhring von

AM> e nach den Stand der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung
! der einzelnen Länder selbst ist die Lage der Lohnarbeiterschaft in
Europa durch den Weltkrieg mehr oder weniger stark beeinflußt
worden. Gleichmäßig für alle Staaten ist festzustellen, daß der
Ausbruch dieses ungeheuren Völkerringens eine große Panik hervor¬
rief: Handel und Verkehr, Industrie und Gewerbe stockten urplötzlich, und die
Folge hiervon war eine teilweise ganz kolossale Arbeitslosigkeit in den Reihen der
Lohnarbeiterschaft.

In Deutschland war diese Erscheinung erfreulicherweise nur vorübergehender
Natur. Dank den Maßnahmen der Organisationen der Arbeiter und Unternehmer,
der Behörden und sonstigen Körperschaften und dank der Anpassungsfähigkeit der
deutschen Industrie und der der deutschen Arbeiter selbst konnte hier sehr bald
Abhilfe geschaffen werden. In den ersten sechs Kriegsmonaten haben die deutschen
Gewerkschaften allein schon insgesamt 17783000 M. an die Arbeitslosen und
6180000 M. an die Familien der Kriegsteilnehmer gezahlt. Bis zum 31. Juli 1915
waren diese Summen schon auf 21578000 M. bzw. auf 10421584 M. angewachsen.
Man nehme weiter die teilweise ganz enormen Ausgaben, die allein schon hin¬
sichtlich der Kriegsfürsorge von Seiten der deutschen Unternehmerschaft gemacht
worden sind. Wenn auch allerdings noch keine Zusammenstellung der von den
deutschen Arbeitgebern beispielsweise für die Angehörigen ihrer zum Heere
eingezogenen Beamten und Arbeiter insbesondere auch für ihre Arbeiter-
amilien gemachten Aufwendungen besteht, so erhält man doch einen ungefähren
Begriff, wenn man erfährt, daß die Mitglieder des Mittelrheinischen Fabrikanten-
Vereins bisher nicht weniger als 13 Millionen Mark für diese Zwecke aufgebracht
haben. Höchst anerkennenswert ist hier ohne alle Frage, daß selbst Unternehmungen,
die zurzeit über gar keine oder doch nur ganz geringe Einnahmequellen verfügen,
wie beispielsweise der norddeutsche Lloyd in Bremen und die Hamburg-Amerika-
Linie in Hamburg sich an derartigen Liebeswerken im vollsten Sinne des Wortes
betätigen. ^ Die Tätigkeit der deutschen Städte steht hier nicht zurück. So bewilligten
beispielsweise im November 1914 die Stadtverordneten von Breslau einen Kredit von
fünf Millionen Mark zur Ausführung von Notstandsarbeiten. Die Zahl der von der
Stadt Berlin unterstützten Familien von Kriegsteilnehmern belief sich im August 1914
aus 62980 und stieg bis zum November 1914 auf 74148. Die Gesamtsumme
der Unterstützungen wuchs in derselben Zeit von 1,3 Millionen Mark auf
3,6 Millionen Mark. Nach Mitteilungen aus Hamburg bewilligte am 6. Oktober


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[0188] [Abbildung] Z)er Weltkrieg und die Lage der Lohnarbeiterschaft in Europa Heinrich Göhring von AM> e nach den Stand der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung ! der einzelnen Länder selbst ist die Lage der Lohnarbeiterschaft in Europa durch den Weltkrieg mehr oder weniger stark beeinflußt worden. Gleichmäßig für alle Staaten ist festzustellen, daß der Ausbruch dieses ungeheuren Völkerringens eine große Panik hervor¬ rief: Handel und Verkehr, Industrie und Gewerbe stockten urplötzlich, und die Folge hiervon war eine teilweise ganz kolossale Arbeitslosigkeit in den Reihen der Lohnarbeiterschaft. In Deutschland war diese Erscheinung erfreulicherweise nur vorübergehender Natur. Dank den Maßnahmen der Organisationen der Arbeiter und Unternehmer, der Behörden und sonstigen Körperschaften und dank der Anpassungsfähigkeit der deutschen Industrie und der der deutschen Arbeiter selbst konnte hier sehr bald Abhilfe geschaffen werden. In den ersten sechs Kriegsmonaten haben die deutschen Gewerkschaften allein schon insgesamt 17783000 M. an die Arbeitslosen und 6180000 M. an die Familien der Kriegsteilnehmer gezahlt. Bis zum 31. Juli 1915 waren diese Summen schon auf 21578000 M. bzw. auf 10421584 M. angewachsen. Man nehme weiter die teilweise ganz enormen Ausgaben, die allein schon hin¬ sichtlich der Kriegsfürsorge von Seiten der deutschen Unternehmerschaft gemacht worden sind. Wenn auch allerdings noch keine Zusammenstellung der von den deutschen Arbeitgebern beispielsweise für die Angehörigen ihrer zum Heere eingezogenen Beamten und Arbeiter insbesondere auch für ihre Arbeiter- amilien gemachten Aufwendungen besteht, so erhält man doch einen ungefähren Begriff, wenn man erfährt, daß die Mitglieder des Mittelrheinischen Fabrikanten- Vereins bisher nicht weniger als 13 Millionen Mark für diese Zwecke aufgebracht haben. Höchst anerkennenswert ist hier ohne alle Frage, daß selbst Unternehmungen, die zurzeit über gar keine oder doch nur ganz geringe Einnahmequellen verfügen, wie beispielsweise der norddeutsche Lloyd in Bremen und die Hamburg-Amerika- Linie in Hamburg sich an derartigen Liebeswerken im vollsten Sinne des Wortes betätigen. ^ Die Tätigkeit der deutschen Städte steht hier nicht zurück. So bewilligten beispielsweise im November 1914 die Stadtverordneten von Breslau einen Kredit von fünf Millionen Mark zur Ausführung von Notstandsarbeiten. Die Zahl der von der Stadt Berlin unterstützten Familien von Kriegsteilnehmern belief sich im August 1914 aus 62980 und stieg bis zum November 1914 auf 74148. Die Gesamtsumme der Unterstützungen wuchs in derselben Zeit von 1,3 Millionen Mark auf 3,6 Millionen Mark. Nach Mitteilungen aus Hamburg bewilligte am 6. Oktober

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/188>, abgerufen am 22.07.2024.