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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Verdeutschungen
Rie von "Larlowitz-Hartitzsch von

er erbitterte Kampf ums Dasein, den unser deutsches Vaterland
gegenwärtig durchsieht, hat überall die Erkenntnis geweckt, daß es
nicht nur um das politische Deutschland geht, sondern im letzten
und tiefsten Grunde um deutsches Wesen überhaupt, an dem
nach Wagners herrlichem Wort die Welt genesen soll. Darum
hat dieser Krieg auch so gewaltig umwühlende seelische Wirkung, die in
schlechthin allen Volksschichten zur Vertiefung und leider oft erst zum Bewußtsein
des Deutschtums geführt hat. Nicht zuletzt in der Sprache, die ja Grund- und
Eckpfeiler völkischen Wesens ist. Berufene und unberufene Kräfte find eifrig
am Werk, hier die fremden Eindringlinge auszumerzen und mit eigenen Vorschlägen
zu ersetzen. Wir brauchen an unserer grundsätzlichen Stellungnahme zur Sprach¬
reinigung*) nichts zu ändern, derzufolge wir alle Verdeutschungen für Begriffe
des praktischen Lebens, also eben für volkstümliche Worte von breitester Geltung
freudig begrüßen. Das Volk braucht sie, das Volk soll sie deshalb verstehen
und möglichst auch schaffen. Gerade darum ist hier die Laienmitarbeit von
unschätzbarem Werte, die endlich heute in einmütiger Bereitwilligkeit eingesetzt
hat und dieser Sprachbewegung hoffentlich größere Fruchtbarkeit gewährleistet,
als ihren mehr oder weniger zünftigen Vorgängerinnen beschieden war.

Daraus ergibt sich auch die erste und. man kann sagen, einzige Forderung,
die von vornherein an jede Verdeutschung gestellt werden muß: sie soll das
Zeug dazu haben, volkstümlich zu werden. Aber weil man das einem Wort
eben nicht von vornherein ansehen, sondern nur von hinterher feststellen kann,
ist diese einzige Forderung zugleich die schwerste. Wenn man also nicht die
guten Eigenschaften benennen kann, die seine Volkstümlichkeit herbeiführen, so
können wir doch vielleicht die schlechten finden, die sie verhindern. Und damit
wäre schon etwas gewonnen. Ohne im geringsten diese schwarze Liste er¬
schöpfen zu wollen, möchten wir heute auf ein solches Hindernis aufmerksam
machen, das uns als das hauptsächlichste erscheint: die Länge der Verdeutschungen
oder vielmehr, da sie bloß der äußere Ausdruck ein erinneren Ursache ist -- die
umständliche Genauigkeit der Begriffsbestimmung, Jeder sucht seinen Vorschlag



*) Vergleiche "Das seltenste Fremdwort", Grenzboten 1913 Ur. 2.


Verdeutschungen
Rie von «Larlowitz-Hartitzsch von

er erbitterte Kampf ums Dasein, den unser deutsches Vaterland
gegenwärtig durchsieht, hat überall die Erkenntnis geweckt, daß es
nicht nur um das politische Deutschland geht, sondern im letzten
und tiefsten Grunde um deutsches Wesen überhaupt, an dem
nach Wagners herrlichem Wort die Welt genesen soll. Darum
hat dieser Krieg auch so gewaltig umwühlende seelische Wirkung, die in
schlechthin allen Volksschichten zur Vertiefung und leider oft erst zum Bewußtsein
des Deutschtums geführt hat. Nicht zuletzt in der Sprache, die ja Grund- und
Eckpfeiler völkischen Wesens ist. Berufene und unberufene Kräfte find eifrig
am Werk, hier die fremden Eindringlinge auszumerzen und mit eigenen Vorschlägen
zu ersetzen. Wir brauchen an unserer grundsätzlichen Stellungnahme zur Sprach¬
reinigung*) nichts zu ändern, derzufolge wir alle Verdeutschungen für Begriffe
des praktischen Lebens, also eben für volkstümliche Worte von breitester Geltung
freudig begrüßen. Das Volk braucht sie, das Volk soll sie deshalb verstehen
und möglichst auch schaffen. Gerade darum ist hier die Laienmitarbeit von
unschätzbarem Werte, die endlich heute in einmütiger Bereitwilligkeit eingesetzt
hat und dieser Sprachbewegung hoffentlich größere Fruchtbarkeit gewährleistet,
als ihren mehr oder weniger zünftigen Vorgängerinnen beschieden war.

Daraus ergibt sich auch die erste und. man kann sagen, einzige Forderung,
die von vornherein an jede Verdeutschung gestellt werden muß: sie soll das
Zeug dazu haben, volkstümlich zu werden. Aber weil man das einem Wort
eben nicht von vornherein ansehen, sondern nur von hinterher feststellen kann,
ist diese einzige Forderung zugleich die schwerste. Wenn man also nicht die
guten Eigenschaften benennen kann, die seine Volkstümlichkeit herbeiführen, so
können wir doch vielleicht die schlechten finden, die sie verhindern. Und damit
wäre schon etwas gewonnen. Ohne im geringsten diese schwarze Liste er¬
schöpfen zu wollen, möchten wir heute auf ein solches Hindernis aufmerksam
machen, das uns als das hauptsächlichste erscheint: die Länge der Verdeutschungen
oder vielmehr, da sie bloß der äußere Ausdruck ein erinneren Ursache ist — die
umständliche Genauigkeit der Begriffsbestimmung, Jeder sucht seinen Vorschlag



*) Vergleiche „Das seltenste Fremdwort", Grenzboten 1913 Ur. 2.
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[0226] [Abbildung] Verdeutschungen Rie von «Larlowitz-Hartitzsch von er erbitterte Kampf ums Dasein, den unser deutsches Vaterland gegenwärtig durchsieht, hat überall die Erkenntnis geweckt, daß es nicht nur um das politische Deutschland geht, sondern im letzten und tiefsten Grunde um deutsches Wesen überhaupt, an dem nach Wagners herrlichem Wort die Welt genesen soll. Darum hat dieser Krieg auch so gewaltig umwühlende seelische Wirkung, die in schlechthin allen Volksschichten zur Vertiefung und leider oft erst zum Bewußtsein des Deutschtums geführt hat. Nicht zuletzt in der Sprache, die ja Grund- und Eckpfeiler völkischen Wesens ist. Berufene und unberufene Kräfte find eifrig am Werk, hier die fremden Eindringlinge auszumerzen und mit eigenen Vorschlägen zu ersetzen. Wir brauchen an unserer grundsätzlichen Stellungnahme zur Sprach¬ reinigung*) nichts zu ändern, derzufolge wir alle Verdeutschungen für Begriffe des praktischen Lebens, also eben für volkstümliche Worte von breitester Geltung freudig begrüßen. Das Volk braucht sie, das Volk soll sie deshalb verstehen und möglichst auch schaffen. Gerade darum ist hier die Laienmitarbeit von unschätzbarem Werte, die endlich heute in einmütiger Bereitwilligkeit eingesetzt hat und dieser Sprachbewegung hoffentlich größere Fruchtbarkeit gewährleistet, als ihren mehr oder weniger zünftigen Vorgängerinnen beschieden war. Daraus ergibt sich auch die erste und. man kann sagen, einzige Forderung, die von vornherein an jede Verdeutschung gestellt werden muß: sie soll das Zeug dazu haben, volkstümlich zu werden. Aber weil man das einem Wort eben nicht von vornherein ansehen, sondern nur von hinterher feststellen kann, ist diese einzige Forderung zugleich die schwerste. Wenn man also nicht die guten Eigenschaften benennen kann, die seine Volkstümlichkeit herbeiführen, so können wir doch vielleicht die schlechten finden, die sie verhindern. Und damit wäre schon etwas gewonnen. Ohne im geringsten diese schwarze Liste er¬ schöpfen zu wollen, möchten wir heute auf ein solches Hindernis aufmerksam machen, das uns als das hauptsächlichste erscheint: die Länge der Verdeutschungen oder vielmehr, da sie bloß der äußere Ausdruck ein erinneren Ursache ist — die umständliche Genauigkeit der Begriffsbestimmung, Jeder sucht seinen Vorschlag *) Vergleiche „Das seltenste Fremdwort", Grenzboten 1913 Ur. 2.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/226>, abgerufen am 22.07.2024.