Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.Kriegstagebuch Den Charakter der letzten Wochen des Krieges werden wir am besten Frankreich und Belgien unter englischer Führung leisten in Westflandern Aus dem Bewegungskriege mit seinen gewaltigen Marschleistungen ist ein Es ist nur zu menschlich, wenn wir uns nicht in jeder Minute dieses Kriegstagebuch Den Charakter der letzten Wochen des Krieges werden wir am besten Frankreich und Belgien unter englischer Führung leisten in Westflandern Aus dem Bewegungskriege mit seinen gewaltigen Marschleistungen ist ein Es ist nur zu menschlich, wenn wir uns nicht in jeder Minute dieses <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0358" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329586"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341899_329227/figures/grenzboten_341899_329227_329586_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Kriegstagebuch</head><lb/> <p xml:id="ID_1266"> Den Charakter der letzten Wochen des Krieges werden wir am besten<lb/> kennzeichnen durch den Hinweis auf die gesteigerten Anstrengungen der Gegner,<lb/> Versäumnisse ihrer Mobilmachung und die Schläge der ersten Kriegsmonate<lb/> auszugleichen durch gesteigerte Einberufung neuer Hilfskräfte und Vereinigung<lb/> gewaltiger Heeresmassen zu konzentriertem Vorstoß.</p><lb/> <p xml:id="ID_1267"> Frankreich und Belgien unter englischer Führung leisten in Westflandern<lb/> verzweifelten Widerstand und suchen uns die gewonnenen Stützpunkte wieder<lb/> abzunehmen. — Rußland hat seine Hauptmacht nach Polen südlich der Weichsel<lb/> geworfen, wohin sie Hiudenburgs geniale Heeresleitung gezogen hat. Eine aus<lb/> 38 Fahrzeugen bestehende englisch-französisch-japanische Flotte macht sich daran<lb/> die deutsche Flagge von den Meeren zu vertreiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1268"> Aus dem Bewegungskriege mit seinen gewaltigen Marschleistungen ist ein<lb/> noch gewaltigeres, den Atem beklemmendes Ringen geworden. Über den<lb/> Ausgang dieses Ringens besteht kein Zweifel: sowohl im Westen wie im Osten<lb/> wird der Geist der Truppen den Ausschlag geben über die Zahl der Gegner<lb/> und auf dem Festlands werden wir den Sieg halten. Er ist unser, weil er<lb/> unser sein muß. Die Schläge, die Hindenburgs Armeen den Russen schon<lb/> zugefügt haben und die noch in diesen Tagen geführt werden können, werden<lb/> nicht ohne Rückwirkung auf die Lage in Rußland bleiben. Daß es nur langsam<lb/> voran geht, liegt im Wesen des Ringens überhaupt. Lassen wir uns durch<lb/> das Ausbleiben abschließender Siegesmeldungen nicht beunruhigen: die Dauer<lb/> der Schlachten entspricht nur den bisher in der Kriegsgeschichte unerhörten<lb/> Zahlen und der Vervollkommnung der Technik. Es ist ein Ringen, kein Wettlauf<lb/> mehr, wie zu Beginn des Krieges.</p><lb/> <p xml:id="ID_1269" next="#ID_1270"> Es ist nur zu menschlich, wenn wir uns nicht in jeder Minute dieses<lb/> Zustandes als etwas notwendigen, natürlichem bewußt bleiben und wenn wir<lb/> bei den erschütternden Nachrichten von den erfolglosen Heldenkämpfen auf hoher<lb/> See und in Ostasien leicht in eine Stimmung geraten, die wie Zagen anmutet.<lb/> Seien wir nur ehrlich gegen uns selbst: den Untergang unserer herrlichen Kreuzer<lb/> draußen, der „Emden", „Scharnhorst", „Gneisenau", „Leipzig" und „Nürnberg"<lb/> erwarteten wir seit Ausbruch des Krieges stündlich. Diese Schiffe mit ihren<lb/> heldenmütigen Besatzungen sind die unabwendbaren Opfer, die gebracht werden<lb/> mußten. Und diese Opfer waren nicht umsonst: die deutschen Kreuzer haben<lb/> unendlich viel mehr geleistet, als irgend jemand voraussehen konnte; wenn</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0358]
[Abbildung]
Kriegstagebuch
Den Charakter der letzten Wochen des Krieges werden wir am besten
kennzeichnen durch den Hinweis auf die gesteigerten Anstrengungen der Gegner,
Versäumnisse ihrer Mobilmachung und die Schläge der ersten Kriegsmonate
auszugleichen durch gesteigerte Einberufung neuer Hilfskräfte und Vereinigung
gewaltiger Heeresmassen zu konzentriertem Vorstoß.
Frankreich und Belgien unter englischer Führung leisten in Westflandern
verzweifelten Widerstand und suchen uns die gewonnenen Stützpunkte wieder
abzunehmen. — Rußland hat seine Hauptmacht nach Polen südlich der Weichsel
geworfen, wohin sie Hiudenburgs geniale Heeresleitung gezogen hat. Eine aus
38 Fahrzeugen bestehende englisch-französisch-japanische Flotte macht sich daran
die deutsche Flagge von den Meeren zu vertreiben.
Aus dem Bewegungskriege mit seinen gewaltigen Marschleistungen ist ein
noch gewaltigeres, den Atem beklemmendes Ringen geworden. Über den
Ausgang dieses Ringens besteht kein Zweifel: sowohl im Westen wie im Osten
wird der Geist der Truppen den Ausschlag geben über die Zahl der Gegner
und auf dem Festlands werden wir den Sieg halten. Er ist unser, weil er
unser sein muß. Die Schläge, die Hindenburgs Armeen den Russen schon
zugefügt haben und die noch in diesen Tagen geführt werden können, werden
nicht ohne Rückwirkung auf die Lage in Rußland bleiben. Daß es nur langsam
voran geht, liegt im Wesen des Ringens überhaupt. Lassen wir uns durch
das Ausbleiben abschließender Siegesmeldungen nicht beunruhigen: die Dauer
der Schlachten entspricht nur den bisher in der Kriegsgeschichte unerhörten
Zahlen und der Vervollkommnung der Technik. Es ist ein Ringen, kein Wettlauf
mehr, wie zu Beginn des Krieges.
Es ist nur zu menschlich, wenn wir uns nicht in jeder Minute dieses
Zustandes als etwas notwendigen, natürlichem bewußt bleiben und wenn wir
bei den erschütternden Nachrichten von den erfolglosen Heldenkämpfen auf hoher
See und in Ostasien leicht in eine Stimmung geraten, die wie Zagen anmutet.
Seien wir nur ehrlich gegen uns selbst: den Untergang unserer herrlichen Kreuzer
draußen, der „Emden", „Scharnhorst", „Gneisenau", „Leipzig" und „Nürnberg"
erwarteten wir seit Ausbruch des Krieges stündlich. Diese Schiffe mit ihren
heldenmütigen Besatzungen sind die unabwendbaren Opfer, die gebracht werden
mußten. Und diese Opfer waren nicht umsonst: die deutschen Kreuzer haben
unendlich viel mehr geleistet, als irgend jemand voraussehen konnte; wenn
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