Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.Neue Bücher über Musik Briefe Dr. Richard Hohenemser von n der Gegenwart, welche von der Romantik die Wertschätzung Neue Bücher über Musik Briefe Dr. Richard Hohenemser von n der Gegenwart, welche von der Romantik die Wertschätzung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0292" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329520"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341899_329227/figures/grenzboten_341899_329227_329520_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Neue Bücher über Musik<lb/> Briefe<lb/><note type="byline"> Dr. Richard Hohenemser</note> von</head><lb/> <p xml:id="ID_1033" next="#ID_1034"> n der Gegenwart, welche von der Romantik die Wertschätzung<lb/> der Geschichte übernommen, sie teilweise aber in Überschätzung<lb/> verwandelt hat, herrscht im allgemeinen der Grundsatz, möglichst<lb/> alle uns erhaltenen Äußerungen hervorragender Persönlichkeiten,<lb/> auch wenn sie sich nicht auf das eigentliche Gebiet ihres Wirkens<lb/> beziehen, also in erster Linie Briefe und sonstige Schriftstücke, nicht nur zu<lb/> sammeln, sondern auch zu veröffentlichen. In diesem Veröffentlichen, dieser<lb/> Überschwemmung des Büchermarktes mit Brief- und Memoirenwerken liegt in<lb/> mehrfacher Hinsicht entschieden eine Gefahr für unser Geistesleben. Das lesende<lb/> Publikum wird zu sehr auf Nebendinge hin- und zu sehr von der Hauptsache,<lb/> den Taten oder Werken der betreffenden Persönlichkeiten, abgelenkt. Gerade<lb/> in unserer Zeit aber, die mit Toten und mit Lebenden einen ungebührlichen<lb/> Personenkultus treibt, wäre es am Platze, die Sache selbst, die bleibenden<lb/> Werte, welche uns die großen Geister geschaffen haben, immer wieder energisch<lb/> in den Vordergrund zu rücken. Auch ist das Publikum im allgemeinen kaum<lb/> in der Lage, aus einer Briefsammlung das zu lernen, was es daraus lernen<lb/> soll. Wie schwer ist es, um nur einige Beispiele anzuführen, zu erkennen, was<lb/> der Zeit des betreffenden Schreibers und was ihm persönlich angehört. Ohne<lb/> diese Unterscheidung aber muß das Bild, das man von seiner Eigenart gewinnt,<lb/> notwendig ein falsches sein. Oder wie leicht verfallen wir in den Fehler, eine<lb/> aus einer augenblicklichen Stimmung entsprungene Äußerung für den Ausfluß<lb/> eines bleibenden Charakterzuges zu halten. Allerdings kann dieser Fehler mög¬<lb/> licherweise ausgeglichen werden, wenn es sich um „sämtliche Briefe" handelt,<lb/> wie es bei der neuesten Ausgabe der Briefe Mozarts der Fall ist (Die Briefe<lb/> W.A.Mozarts und seiner Familie, herausgegeben und eingeleitet von Ludwig<lb/> Schiedermair, Georg Müller, München und Leipzig, 1914, 4 Bände). Aber<lb/> die Vollständigkeit hat wieder andere bedenkliche Schattenseiten. Gar zu leicht<lb/> übersieht der Leser bei der Menge des Unwichtigen oder Gleichgültigen das<lb/> wahrhaft Wichtige, oder er legt das Werk ermüdet aus der Hand, bevor er</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0292]
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Neue Bücher über Musik
Briefe
Dr. Richard Hohenemser von
n der Gegenwart, welche von der Romantik die Wertschätzung
der Geschichte übernommen, sie teilweise aber in Überschätzung
verwandelt hat, herrscht im allgemeinen der Grundsatz, möglichst
alle uns erhaltenen Äußerungen hervorragender Persönlichkeiten,
auch wenn sie sich nicht auf das eigentliche Gebiet ihres Wirkens
beziehen, also in erster Linie Briefe und sonstige Schriftstücke, nicht nur zu
sammeln, sondern auch zu veröffentlichen. In diesem Veröffentlichen, dieser
Überschwemmung des Büchermarktes mit Brief- und Memoirenwerken liegt in
mehrfacher Hinsicht entschieden eine Gefahr für unser Geistesleben. Das lesende
Publikum wird zu sehr auf Nebendinge hin- und zu sehr von der Hauptsache,
den Taten oder Werken der betreffenden Persönlichkeiten, abgelenkt. Gerade
in unserer Zeit aber, die mit Toten und mit Lebenden einen ungebührlichen
Personenkultus treibt, wäre es am Platze, die Sache selbst, die bleibenden
Werte, welche uns die großen Geister geschaffen haben, immer wieder energisch
in den Vordergrund zu rücken. Auch ist das Publikum im allgemeinen kaum
in der Lage, aus einer Briefsammlung das zu lernen, was es daraus lernen
soll. Wie schwer ist es, um nur einige Beispiele anzuführen, zu erkennen, was
der Zeit des betreffenden Schreibers und was ihm persönlich angehört. Ohne
diese Unterscheidung aber muß das Bild, das man von seiner Eigenart gewinnt,
notwendig ein falsches sein. Oder wie leicht verfallen wir in den Fehler, eine
aus einer augenblicklichen Stimmung entsprungene Äußerung für den Ausfluß
eines bleibenden Charakterzuges zu halten. Allerdings kann dieser Fehler mög¬
licherweise ausgeglichen werden, wenn es sich um „sämtliche Briefe" handelt,
wie es bei der neuesten Ausgabe der Briefe Mozarts der Fall ist (Die Briefe
W.A.Mozarts und seiner Familie, herausgegeben und eingeleitet von Ludwig
Schiedermair, Georg Müller, München und Leipzig, 1914, 4 Bände). Aber
die Vollständigkeit hat wieder andere bedenkliche Schattenseiten. Gar zu leicht
übersieht der Leser bei der Menge des Unwichtigen oder Gleichgültigen das
wahrhaft Wichtige, oder er legt das Werk ermüdet aus der Hand, bevor er
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