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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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petrograder Aultur
Die Zerstörung der Deutschen Botschaft
Nach Berichten von Augenzeugen
George Lleinow erzählt von

in Dienstag, den 4. August abends gegen 11 Uhr verbreitete
sich ans dem Nemski-Prospekt, der Hauptstraße des alten Se. Peters¬
burg, das Gerücht, daß von dem Verlage der durch ihre Hetzereien
gegen Deutschland wohlbekannten Nowoje Wremja eine große
Demonstration stattfinde und daß vom Dache des niedrigen Hauses,
das gegenüber der Kaiserlichen öffentlichen Bibliothek liegt, Brandreden an das
Volk gehalten werden. Sehr bald wurden auf der Straße Extrablätter des
genannten Blattes verteilt mit der Überschrift: "Wer holt die Figuren von der
deutschen Botschaft herunter?" Es handelt sich um jene Bronzegruppe von
zwei von nackten Männern geführten Pferden, die die Botschaft krönte und die
schon währeiid des letzten Winters das Mißfallen der chauvinistischen Presse
erregt hat. Auf dem Dache des Hauses der Nowoje Wremja stand ein Redner,
der der Menge klarzumachen versuchte, wie Österreich und Deutschland es fertig
bekommen hätten, Slawen und Germanen gegeneinander zu Hetzen und Slawen
zu betören, gegen Slawen zu kämpfen. Slawenbrüder müßten jetzt für die
germanische Sache ihr Blut opfern.

Wie auf ein Kommando strömte nun die Menge den ganzen Newski-
Prospekt hinunter, vorbei an der Kasan-Kathedrale, über die Polizeibrücke,
vorbei am Triumphbogen, der das Generalstabsgebäude mit dem Finanz¬
ministerium verbindet, links herunter die Morskaja, am Kaiserlichen Jachtklub
vorüber, wo sich allabendlich die Mitglieder der Petersburger Hofgesellschaft
versammeln, zu dem großen Platz, der eingesäumt wird vom Marienpalais und
den beiden schönen Gebäuden des Ministeriums für Landwirtschaft und Domänen,
auf dessen Mitte ein berühmtes Denkmal Nikolaus des Ersten steht. Dort
befindet sich rechter Hand eine schöne Gartenanlage, die den Blick auf den
herrlichen Bau der Jsaaks-Kathedrale frei macht und an der Ecke von Morskaja
und Platz der neue von Peter Behrens geschaffene Bau der deutschen Botschaft.
Auf der anderen Seite erhebt sich im französischen Barockstil gleichfalls ein neues
Haus, das Hotel Astoria, und von dort aus haben nun mehrere Personen un¬
abhängig voneinander die weiteren Vorgänge beobachtet, deren Berichte zusammen




petrograder Aultur
Die Zerstörung der Deutschen Botschaft
Nach Berichten von Augenzeugen
George Lleinow erzählt von

in Dienstag, den 4. August abends gegen 11 Uhr verbreitete
sich ans dem Nemski-Prospekt, der Hauptstraße des alten Se. Peters¬
burg, das Gerücht, daß von dem Verlage der durch ihre Hetzereien
gegen Deutschland wohlbekannten Nowoje Wremja eine große
Demonstration stattfinde und daß vom Dache des niedrigen Hauses,
das gegenüber der Kaiserlichen öffentlichen Bibliothek liegt, Brandreden an das
Volk gehalten werden. Sehr bald wurden auf der Straße Extrablätter des
genannten Blattes verteilt mit der Überschrift: „Wer holt die Figuren von der
deutschen Botschaft herunter?" Es handelt sich um jene Bronzegruppe von
zwei von nackten Männern geführten Pferden, die die Botschaft krönte und die
schon währeiid des letzten Winters das Mißfallen der chauvinistischen Presse
erregt hat. Auf dem Dache des Hauses der Nowoje Wremja stand ein Redner,
der der Menge klarzumachen versuchte, wie Österreich und Deutschland es fertig
bekommen hätten, Slawen und Germanen gegeneinander zu Hetzen und Slawen
zu betören, gegen Slawen zu kämpfen. Slawenbrüder müßten jetzt für die
germanische Sache ihr Blut opfern.

Wie auf ein Kommando strömte nun die Menge den ganzen Newski-
Prospekt hinunter, vorbei an der Kasan-Kathedrale, über die Polizeibrücke,
vorbei am Triumphbogen, der das Generalstabsgebäude mit dem Finanz¬
ministerium verbindet, links herunter die Morskaja, am Kaiserlichen Jachtklub
vorüber, wo sich allabendlich die Mitglieder der Petersburger Hofgesellschaft
versammeln, zu dem großen Platz, der eingesäumt wird vom Marienpalais und
den beiden schönen Gebäuden des Ministeriums für Landwirtschaft und Domänen,
auf dessen Mitte ein berühmtes Denkmal Nikolaus des Ersten steht. Dort
befindet sich rechter Hand eine schöne Gartenanlage, die den Blick auf den
herrlichen Bau der Jsaaks-Kathedrale frei macht und an der Ecke von Morskaja
und Platz der neue von Peter Behrens geschaffene Bau der deutschen Botschaft.
Auf der anderen Seite erhebt sich im französischen Barockstil gleichfalls ein neues
Haus, das Hotel Astoria, und von dort aus haben nun mehrere Personen un¬
abhängig voneinander die weiteren Vorgänge beobachtet, deren Berichte zusammen


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[0412] [Abbildung] petrograder Aultur Die Zerstörung der Deutschen Botschaft Nach Berichten von Augenzeugen George Lleinow erzählt von in Dienstag, den 4. August abends gegen 11 Uhr verbreitete sich ans dem Nemski-Prospekt, der Hauptstraße des alten Se. Peters¬ burg, das Gerücht, daß von dem Verlage der durch ihre Hetzereien gegen Deutschland wohlbekannten Nowoje Wremja eine große Demonstration stattfinde und daß vom Dache des niedrigen Hauses, das gegenüber der Kaiserlichen öffentlichen Bibliothek liegt, Brandreden an das Volk gehalten werden. Sehr bald wurden auf der Straße Extrablätter des genannten Blattes verteilt mit der Überschrift: „Wer holt die Figuren von der deutschen Botschaft herunter?" Es handelt sich um jene Bronzegruppe von zwei von nackten Männern geführten Pferden, die die Botschaft krönte und die schon währeiid des letzten Winters das Mißfallen der chauvinistischen Presse erregt hat. Auf dem Dache des Hauses der Nowoje Wremja stand ein Redner, der der Menge klarzumachen versuchte, wie Österreich und Deutschland es fertig bekommen hätten, Slawen und Germanen gegeneinander zu Hetzen und Slawen zu betören, gegen Slawen zu kämpfen. Slawenbrüder müßten jetzt für die germanische Sache ihr Blut opfern. Wie auf ein Kommando strömte nun die Menge den ganzen Newski- Prospekt hinunter, vorbei an der Kasan-Kathedrale, über die Polizeibrücke, vorbei am Triumphbogen, der das Generalstabsgebäude mit dem Finanz¬ ministerium verbindet, links herunter die Morskaja, am Kaiserlichen Jachtklub vorüber, wo sich allabendlich die Mitglieder der Petersburger Hofgesellschaft versammeln, zu dem großen Platz, der eingesäumt wird vom Marienpalais und den beiden schönen Gebäuden des Ministeriums für Landwirtschaft und Domänen, auf dessen Mitte ein berühmtes Denkmal Nikolaus des Ersten steht. Dort befindet sich rechter Hand eine schöne Gartenanlage, die den Blick auf den herrlichen Bau der Jsaaks-Kathedrale frei macht und an der Ecke von Morskaja und Platz der neue von Peter Behrens geschaffene Bau der deutschen Botschaft. Auf der anderen Seite erhebt sich im französischen Barockstil gleichfalls ein neues Haus, das Hotel Astoria, und von dort aus haben nun mehrere Personen un¬ abhängig voneinander die weiteren Vorgänge beobachtet, deren Berichte zusammen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/412>, abgerufen am 13.11.2024.