Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Russisch-Polen als Kriegsschauplatz
Line inilitärgeographische Skizze
von Dr. Hans Praesent

er die Kriegsschauplatze des Westens und Ostens miteinander
vergleicht, dem werden tiefgreifende Unterschiede auffallen. Die
Gebiete, durch die unsere Truppen gegen Frankreich ziehen, haben
ein ungemein wechselvolles Gepräge. Die fruchtbaren flämischen
Ebenen des nördlichen Belgiens gehen über in die dichtbevölkerten,
industriereichen Kohlengebiete der Maas-Sambrelinie, und wenig südlich davon
dehnen sich die schwer zugänglichen Hochflächen der Ardennen aus. Die reich-
kultivierten Gefilde Lothringens und die weinbekränzten Höhenzüge der Champagne,
die sich in Landstufen um das Pariser Becken konzentrisch herumziehen, bilden
ein eigenartiges Kampfgelände, und anders geartet ist wiederum der von Karen
der Eiszeit zerfressene Kamm der Vogesen mit seinen steilen, dichtbewaldeten
Tälern und Schluchten nach dem Elsaß zu und seinen breiteren Flüssen und dem
offeneren Gelände nach Westen. Alle diese französischen und belgischen Grenz¬
gebiete find hoch kultiviert, haben eine reiche Geschichte und find deshalb und
wegen landschaftlicher Schönheiten beliebte und bekannte Touristenziele, seien es
nun die flämischen Kunststätten, die Schlachtfelder von 1870 oder die lieblichen
Vogesenorte.

Vergleichen wir damit die Kriegsschauplatze gegen Rußland, so haben wir
das Gefühl des Weiten, Ebenen und Unbekannten. In der Tat bildet Polen,
obgleich es auch wichtige Kämpfe der Weltgeschichte gesehen hat, kein beliebtes
Reiseziel. Die Gründe sind allzu bekannt: Polen, politisch zu Rußland gehörig
und deshalb durch eine strenge Grenzwacht von der Außenwelt isoliert, weist
zuviel Züge östlicher Unkultur auf, als daß seine Städte außer zu Handels¬
zwecken von uns bereist werden. Es sei daher gestattet, in folgenden Abschnitten
die geographischen Züge Polens kurz zu skizzieren, auf die militärische Eignung
des Gebietes aufmerksam zu machen und die Maßnahmen russischer Verteidigung
zu besprechen, soweit sie sich aus der neuesten Literatur erkennen lassen.

Ohne merkbare landschaftliche Übergänge, als eine nach allen Seiten hin
offene Ebene leitet Russisch-Polen aus den ostdeutschen Provinzen nach dem




Russisch-Polen als Kriegsschauplatz
Line inilitärgeographische Skizze
von Dr. Hans Praesent

er die Kriegsschauplatze des Westens und Ostens miteinander
vergleicht, dem werden tiefgreifende Unterschiede auffallen. Die
Gebiete, durch die unsere Truppen gegen Frankreich ziehen, haben
ein ungemein wechselvolles Gepräge. Die fruchtbaren flämischen
Ebenen des nördlichen Belgiens gehen über in die dichtbevölkerten,
industriereichen Kohlengebiete der Maas-Sambrelinie, und wenig südlich davon
dehnen sich die schwer zugänglichen Hochflächen der Ardennen aus. Die reich-
kultivierten Gefilde Lothringens und die weinbekränzten Höhenzüge der Champagne,
die sich in Landstufen um das Pariser Becken konzentrisch herumziehen, bilden
ein eigenartiges Kampfgelände, und anders geartet ist wiederum der von Karen
der Eiszeit zerfressene Kamm der Vogesen mit seinen steilen, dichtbewaldeten
Tälern und Schluchten nach dem Elsaß zu und seinen breiteren Flüssen und dem
offeneren Gelände nach Westen. Alle diese französischen und belgischen Grenz¬
gebiete find hoch kultiviert, haben eine reiche Geschichte und find deshalb und
wegen landschaftlicher Schönheiten beliebte und bekannte Touristenziele, seien es
nun die flämischen Kunststätten, die Schlachtfelder von 1870 oder die lieblichen
Vogesenorte.

Vergleichen wir damit die Kriegsschauplatze gegen Rußland, so haben wir
das Gefühl des Weiten, Ebenen und Unbekannten. In der Tat bildet Polen,
obgleich es auch wichtige Kämpfe der Weltgeschichte gesehen hat, kein beliebtes
Reiseziel. Die Gründe sind allzu bekannt: Polen, politisch zu Rußland gehörig
und deshalb durch eine strenge Grenzwacht von der Außenwelt isoliert, weist
zuviel Züge östlicher Unkultur auf, als daß seine Städte außer zu Handels¬
zwecken von uns bereist werden. Es sei daher gestattet, in folgenden Abschnitten
die geographischen Züge Polens kurz zu skizzieren, auf die militärische Eignung
des Gebietes aufmerksam zu machen und die Maßnahmen russischer Verteidigung
zu besprechen, soweit sie sich aus der neuesten Literatur erkennen lassen.

Ohne merkbare landschaftliche Übergänge, als eine nach allen Seiten hin
offene Ebene leitet Russisch-Polen aus den ostdeutschen Provinzen nach dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0403" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329137"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341899_328733/figures/grenzboten_341899_328733_329137_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Russisch-Polen als Kriegsschauplatz<lb/>
Line inilitärgeographische Skizze<lb/><note type="byline"> von Dr. Hans Praesent</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_1359"> er die Kriegsschauplatze des Westens und Ostens miteinander<lb/>
vergleicht, dem werden tiefgreifende Unterschiede auffallen. Die<lb/>
Gebiete, durch die unsere Truppen gegen Frankreich ziehen, haben<lb/>
ein ungemein wechselvolles Gepräge. Die fruchtbaren flämischen<lb/>
Ebenen des nördlichen Belgiens gehen über in die dichtbevölkerten,<lb/>
industriereichen Kohlengebiete der Maas-Sambrelinie, und wenig südlich davon<lb/>
dehnen sich die schwer zugänglichen Hochflächen der Ardennen aus. Die reich-<lb/>
kultivierten Gefilde Lothringens und die weinbekränzten Höhenzüge der Champagne,<lb/>
die sich in Landstufen um das Pariser Becken konzentrisch herumziehen, bilden<lb/>
ein eigenartiges Kampfgelände, und anders geartet ist wiederum der von Karen<lb/>
der Eiszeit zerfressene Kamm der Vogesen mit seinen steilen, dichtbewaldeten<lb/>
Tälern und Schluchten nach dem Elsaß zu und seinen breiteren Flüssen und dem<lb/>
offeneren Gelände nach Westen. Alle diese französischen und belgischen Grenz¬<lb/>
gebiete find hoch kultiviert, haben eine reiche Geschichte und find deshalb und<lb/>
wegen landschaftlicher Schönheiten beliebte und bekannte Touristenziele, seien es<lb/>
nun die flämischen Kunststätten, die Schlachtfelder von 1870 oder die lieblichen<lb/>
Vogesenorte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1360"> Vergleichen wir damit die Kriegsschauplatze gegen Rußland, so haben wir<lb/>
das Gefühl des Weiten, Ebenen und Unbekannten. In der Tat bildet Polen,<lb/>
obgleich es auch wichtige Kämpfe der Weltgeschichte gesehen hat, kein beliebtes<lb/>
Reiseziel. Die Gründe sind allzu bekannt: Polen, politisch zu Rußland gehörig<lb/>
und deshalb durch eine strenge Grenzwacht von der Außenwelt isoliert, weist<lb/>
zuviel Züge östlicher Unkultur auf, als daß seine Städte außer zu Handels¬<lb/>
zwecken von uns bereist werden. Es sei daher gestattet, in folgenden Abschnitten<lb/>
die geographischen Züge Polens kurz zu skizzieren, auf die militärische Eignung<lb/>
des Gebietes aufmerksam zu machen und die Maßnahmen russischer Verteidigung<lb/>
zu besprechen, soweit sie sich aus der neuesten Literatur erkennen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1361" next="#ID_1362"> Ohne merkbare landschaftliche Übergänge, als eine nach allen Seiten hin<lb/>
offene Ebene leitet Russisch-Polen aus den ostdeutschen Provinzen nach dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0403] [Abbildung] Russisch-Polen als Kriegsschauplatz Line inilitärgeographische Skizze von Dr. Hans Praesent er die Kriegsschauplatze des Westens und Ostens miteinander vergleicht, dem werden tiefgreifende Unterschiede auffallen. Die Gebiete, durch die unsere Truppen gegen Frankreich ziehen, haben ein ungemein wechselvolles Gepräge. Die fruchtbaren flämischen Ebenen des nördlichen Belgiens gehen über in die dichtbevölkerten, industriereichen Kohlengebiete der Maas-Sambrelinie, und wenig südlich davon dehnen sich die schwer zugänglichen Hochflächen der Ardennen aus. Die reich- kultivierten Gefilde Lothringens und die weinbekränzten Höhenzüge der Champagne, die sich in Landstufen um das Pariser Becken konzentrisch herumziehen, bilden ein eigenartiges Kampfgelände, und anders geartet ist wiederum der von Karen der Eiszeit zerfressene Kamm der Vogesen mit seinen steilen, dichtbewaldeten Tälern und Schluchten nach dem Elsaß zu und seinen breiteren Flüssen und dem offeneren Gelände nach Westen. Alle diese französischen und belgischen Grenz¬ gebiete find hoch kultiviert, haben eine reiche Geschichte und find deshalb und wegen landschaftlicher Schönheiten beliebte und bekannte Touristenziele, seien es nun die flämischen Kunststätten, die Schlachtfelder von 1870 oder die lieblichen Vogesenorte. Vergleichen wir damit die Kriegsschauplatze gegen Rußland, so haben wir das Gefühl des Weiten, Ebenen und Unbekannten. In der Tat bildet Polen, obgleich es auch wichtige Kämpfe der Weltgeschichte gesehen hat, kein beliebtes Reiseziel. Die Gründe sind allzu bekannt: Polen, politisch zu Rußland gehörig und deshalb durch eine strenge Grenzwacht von der Außenwelt isoliert, weist zuviel Züge östlicher Unkultur auf, als daß seine Städte außer zu Handels¬ zwecken von uns bereist werden. Es sei daher gestattet, in folgenden Abschnitten die geographischen Züge Polens kurz zu skizzieren, auf die militärische Eignung des Gebietes aufmerksam zu machen und die Maßnahmen russischer Verteidigung zu besprechen, soweit sie sich aus der neuesten Literatur erkennen lassen. Ohne merkbare landschaftliche Übergänge, als eine nach allen Seiten hin offene Ebene leitet Russisch-Polen aus den ostdeutschen Provinzen nach dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/403
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/403>, abgerufen am 13.11.2024.