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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Der Weltkrieg
Von Dr, l^acndcke

Die nachfolgenden Ausführungen decken sich nicht mit den gegenwärtig
vorherrschenden Ansichten, da sie indessen manchen beachtenswerten
Gesichtspunkt enthalten, seien sie unseren Lesern unterbreitet.
Die Schriftleitung

"VM'U^N
^HFj^sH^N^-HD'er in diesen Tagen ausgebrochene Krieg ist im wahren Sinne
des Wortes ein Weltkrieg. Es wird keinen Staat, keinen Kon¬
tinent geben, der nicht unmittelbar oder mittelbar in seine Kreise
hineingezogen werden wird. Seine Folgen werden vor allem
für die kriegführenden Parteien die schwerwiegendsten sein: auf
Menschenalter hinaus wird sein Ausgang das Weltgeschehen bestimmend beein¬
flussen. Denn ein jeder der Gegner kämpft um seine politische und wirtschaft¬
liche Existenz. Um volle Klarheit zu gewinnen, wird man die Gegner und die
sie bestimmenden Gründe einer genauen Betrachtung unterwerfen müssen. Die
Seele des Dreiverbandes ist zweifellos England. Rußland und Frankreich
haben in seinem Auftrag den Krieg heraufbeschworen: England trifft an seinem
Ausbruch die volle moralische Verantwortung. Daß man diese Sachlage in
Berlin klar übersah, bewies die kurze Abfertigung des englischen Ultimatums,
das wie die ganze Vermittlungsaktion den Verbündeten auch nur einen Zeit¬
gewinn bringen sollte. Man wird sich nun nach den Gründen fragen, die die
Mächte zu dem Kriege veranlaßten, obwohl der Zeitpunkt weder für Rußland
noch für Frankreich besonders günstig ist. Es ist von vornherein im Auge zu
behalten, daß die ganzen diplomatischen Verhandlungen, die zu diesem Ergebnis
führten, doch nur das Resultat einer schon vorher vorhandenen Sachlage, der
Ausdruck der durch diese geschaffenen Stimmung darstellen. So war es von
je bei allen großen Kriegen, die letzten Endes ebensowenig Kabinettskriege sind,
als sie etwa dem Ehrgeiz eines einzelnen oder einer Partei ihren Ursprung
verdanken. Und so verhält es sich auch heute. Was konnte also England
veranlassen. Deutschland durch Nußland und Frankreich den Krieg erklären zu
lassen und sofort an deren Seite in diesen einzutreten. Offenbar haben jene
Politiker beider Länder Recht, die da meinen, eine Todfeindschaft zwischen


17*


Der Weltkrieg
Von Dr, l^acndcke

Die nachfolgenden Ausführungen decken sich nicht mit den gegenwärtig
vorherrschenden Ansichten, da sie indessen manchen beachtenswerten
Gesichtspunkt enthalten, seien sie unseren Lesern unterbreitet.
Die Schriftleitung

»VM'U^N
^HFj^sH^N^-HD'er in diesen Tagen ausgebrochene Krieg ist im wahren Sinne
des Wortes ein Weltkrieg. Es wird keinen Staat, keinen Kon¬
tinent geben, der nicht unmittelbar oder mittelbar in seine Kreise
hineingezogen werden wird. Seine Folgen werden vor allem
für die kriegführenden Parteien die schwerwiegendsten sein: auf
Menschenalter hinaus wird sein Ausgang das Weltgeschehen bestimmend beein¬
flussen. Denn ein jeder der Gegner kämpft um seine politische und wirtschaft¬
liche Existenz. Um volle Klarheit zu gewinnen, wird man die Gegner und die
sie bestimmenden Gründe einer genauen Betrachtung unterwerfen müssen. Die
Seele des Dreiverbandes ist zweifellos England. Rußland und Frankreich
haben in seinem Auftrag den Krieg heraufbeschworen: England trifft an seinem
Ausbruch die volle moralische Verantwortung. Daß man diese Sachlage in
Berlin klar übersah, bewies die kurze Abfertigung des englischen Ultimatums,
das wie die ganze Vermittlungsaktion den Verbündeten auch nur einen Zeit¬
gewinn bringen sollte. Man wird sich nun nach den Gründen fragen, die die
Mächte zu dem Kriege veranlaßten, obwohl der Zeitpunkt weder für Rußland
noch für Frankreich besonders günstig ist. Es ist von vornherein im Auge zu
behalten, daß die ganzen diplomatischen Verhandlungen, die zu diesem Ergebnis
führten, doch nur das Resultat einer schon vorher vorhandenen Sachlage, der
Ausdruck der durch diese geschaffenen Stimmung darstellen. So war es von
je bei allen großen Kriegen, die letzten Endes ebensowenig Kabinettskriege sind,
als sie etwa dem Ehrgeiz eines einzelnen oder einer Partei ihren Ursprung
verdanken. Und so verhält es sich auch heute. Was konnte also England
veranlassen. Deutschland durch Nußland und Frankreich den Krieg erklären zu
lassen und sofort an deren Seite in diesen einzutreten. Offenbar haben jene
Politiker beider Länder Recht, die da meinen, eine Todfeindschaft zwischen


17*
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[0271] [Abbildung] Der Weltkrieg Von Dr, l^acndcke Die nachfolgenden Ausführungen decken sich nicht mit den gegenwärtig vorherrschenden Ansichten, da sie indessen manchen beachtenswerten Gesichtspunkt enthalten, seien sie unseren Lesern unterbreitet. Die Schriftleitung »VM'U^N ^HFj^sH^N^-HD'er in diesen Tagen ausgebrochene Krieg ist im wahren Sinne des Wortes ein Weltkrieg. Es wird keinen Staat, keinen Kon¬ tinent geben, der nicht unmittelbar oder mittelbar in seine Kreise hineingezogen werden wird. Seine Folgen werden vor allem für die kriegführenden Parteien die schwerwiegendsten sein: auf Menschenalter hinaus wird sein Ausgang das Weltgeschehen bestimmend beein¬ flussen. Denn ein jeder der Gegner kämpft um seine politische und wirtschaft¬ liche Existenz. Um volle Klarheit zu gewinnen, wird man die Gegner und die sie bestimmenden Gründe einer genauen Betrachtung unterwerfen müssen. Die Seele des Dreiverbandes ist zweifellos England. Rußland und Frankreich haben in seinem Auftrag den Krieg heraufbeschworen: England trifft an seinem Ausbruch die volle moralische Verantwortung. Daß man diese Sachlage in Berlin klar übersah, bewies die kurze Abfertigung des englischen Ultimatums, das wie die ganze Vermittlungsaktion den Verbündeten auch nur einen Zeit¬ gewinn bringen sollte. Man wird sich nun nach den Gründen fragen, die die Mächte zu dem Kriege veranlaßten, obwohl der Zeitpunkt weder für Rußland noch für Frankreich besonders günstig ist. Es ist von vornherein im Auge zu behalten, daß die ganzen diplomatischen Verhandlungen, die zu diesem Ergebnis führten, doch nur das Resultat einer schon vorher vorhandenen Sachlage, der Ausdruck der durch diese geschaffenen Stimmung darstellen. So war es von je bei allen großen Kriegen, die letzten Endes ebensowenig Kabinettskriege sind, als sie etwa dem Ehrgeiz eines einzelnen oder einer Partei ihren Ursprung verdanken. Und so verhält es sich auch heute. Was konnte also England veranlassen. Deutschland durch Nußland und Frankreich den Krieg erklären zu lassen und sofort an deren Seite in diesen einzutreten. Offenbar haben jene Politiker beider Länder Recht, die da meinen, eine Todfeindschaft zwischen 17*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/271>, abgerufen am 13.11.2024.