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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Nationalpolitik und Staatspolitik

on Zeit zu Zeit werden wir Deutschen unbarmherzig vor die Er¬
kenntnis gestellt, daß die Politik des Deutschen Reiches, also die
deutsche Staatspolitik, im schroffen Widerspruch zu deutscher
Nationalpolitik steht. Von Zeit zu Zeit wird es uns zum Be¬
wußtsein gebracht, daß die kaltblütig und folgerichtig durchgeführte nationale
Politik, jene imperialistische Kulturpolitik, die die Führer unserer nationalen
Verbände nach innen und außen bewußt erstreben, die die breiten Schichten
unseres gebildeten Bürgertums und auch die großen Massen unbewußt ersehnen,
in direktem Widerspruch zu den Bedürfnissen der deutschen Staatspolitik steht.
Das Schlagwort nationale Wirtschaftspolitik wird für uns ein Anachro¬
nismus. Das Bestreben unserer Staatspolitik uns satt und reich und zufrieden
zu machen, schwächt die deutsche Nationalität, weil es die bodenständigen und
mit der Hand arbeitenden Schichten, auf denen die Stärke und Zukunft eines
jeden Volkes beruht, auflöst und an ihre Stelle sremdstämmige, bei uns die
Polen, gelangen läßt, die Mehrzahl der Emporgekommenen aber zur Verweich¬
lichung zwingt. Besteht dieser Widerspruch schon in der allgemeinen Wirtschaftspolitik
des Deutschen Reichs, so wird in unserem Zusammenhange das, was heute als
"nationale Industriepolitik" oder als "nationale Agrarpolitik" geht,
geradezu zur Lüge. In einem Volk, das soviel volksfremde Arbeitskräfte nötig
hat, wie das Deutsche, um seine mobilisiertem Geisteskräfte zu betätigen und seine
Ansprüche an Wohlbehagen zu befriedigen, kann unter der Herrschaft gleichen
Rechts sür alle weder Agrarpolitik noch Industriepolitik national sein. Wäre sie


Grenzboten III 1914 10


Nationalpolitik und Staatspolitik

on Zeit zu Zeit werden wir Deutschen unbarmherzig vor die Er¬
kenntnis gestellt, daß die Politik des Deutschen Reiches, also die
deutsche Staatspolitik, im schroffen Widerspruch zu deutscher
Nationalpolitik steht. Von Zeit zu Zeit wird es uns zum Be¬
wußtsein gebracht, daß die kaltblütig und folgerichtig durchgeführte nationale
Politik, jene imperialistische Kulturpolitik, die die Führer unserer nationalen
Verbände nach innen und außen bewußt erstreben, die die breiten Schichten
unseres gebildeten Bürgertums und auch die großen Massen unbewußt ersehnen,
in direktem Widerspruch zu den Bedürfnissen der deutschen Staatspolitik steht.
Das Schlagwort nationale Wirtschaftspolitik wird für uns ein Anachro¬
nismus. Das Bestreben unserer Staatspolitik uns satt und reich und zufrieden
zu machen, schwächt die deutsche Nationalität, weil es die bodenständigen und
mit der Hand arbeitenden Schichten, auf denen die Stärke und Zukunft eines
jeden Volkes beruht, auflöst und an ihre Stelle sremdstämmige, bei uns die
Polen, gelangen läßt, die Mehrzahl der Emporgekommenen aber zur Verweich¬
lichung zwingt. Besteht dieser Widerspruch schon in der allgemeinen Wirtschaftspolitik
des Deutschen Reichs, so wird in unserem Zusammenhange das, was heute als
„nationale Industriepolitik" oder als „nationale Agrarpolitik" geht,
geradezu zur Lüge. In einem Volk, das soviel volksfremde Arbeitskräfte nötig
hat, wie das Deutsche, um seine mobilisiertem Geisteskräfte zu betätigen und seine
Ansprüche an Wohlbehagen zu befriedigen, kann unter der Herrschaft gleichen
Rechts sür alle weder Agrarpolitik noch Industriepolitik national sein. Wäre sie


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[0157] [Abbildung] Nationalpolitik und Staatspolitik on Zeit zu Zeit werden wir Deutschen unbarmherzig vor die Er¬ kenntnis gestellt, daß die Politik des Deutschen Reiches, also die deutsche Staatspolitik, im schroffen Widerspruch zu deutscher Nationalpolitik steht. Von Zeit zu Zeit wird es uns zum Be¬ wußtsein gebracht, daß die kaltblütig und folgerichtig durchgeführte nationale Politik, jene imperialistische Kulturpolitik, die die Führer unserer nationalen Verbände nach innen und außen bewußt erstreben, die die breiten Schichten unseres gebildeten Bürgertums und auch die großen Massen unbewußt ersehnen, in direktem Widerspruch zu den Bedürfnissen der deutschen Staatspolitik steht. Das Schlagwort nationale Wirtschaftspolitik wird für uns ein Anachro¬ nismus. Das Bestreben unserer Staatspolitik uns satt und reich und zufrieden zu machen, schwächt die deutsche Nationalität, weil es die bodenständigen und mit der Hand arbeitenden Schichten, auf denen die Stärke und Zukunft eines jeden Volkes beruht, auflöst und an ihre Stelle sremdstämmige, bei uns die Polen, gelangen läßt, die Mehrzahl der Emporgekommenen aber zur Verweich¬ lichung zwingt. Besteht dieser Widerspruch schon in der allgemeinen Wirtschaftspolitik des Deutschen Reichs, so wird in unserem Zusammenhange das, was heute als „nationale Industriepolitik" oder als „nationale Agrarpolitik" geht, geradezu zur Lüge. In einem Volk, das soviel volksfremde Arbeitskräfte nötig hat, wie das Deutsche, um seine mobilisiertem Geisteskräfte zu betätigen und seine Ansprüche an Wohlbehagen zu befriedigen, kann unter der Herrschaft gleichen Rechts sür alle weder Agrarpolitik noch Industriepolitik national sein. Wäre sie Grenzboten III 1914 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/157>, abgerufen am 13.11.2024.