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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Wandern
von Rurt Münz er

s sind die grauen Himmel, die man lieben sollte. Blaue sind
wie erfüllte Wünsche, leer, sehusuchtslos, ohne Geheimnis oder
Verheißung mehr. Aber hinter den grauen Himmeln wölben sich
die blauesten, spielt das Licht in allen Farben, wartet die Glied,
die Fülle, die Liebe der Sonne; sie sind Hoffnungen, Ver¬
sprechungen, Ahnungen, Geheimnisse; sie verbergen noch das Herrlichste. Und
Glück war niemals etwas anderes als Erwartung.

In Dunst und Nebel hinauszuziehen, in eine noch verheimlichte Welt, in
ein Labyrinth von Schleiern, das ist fast schöner als das traumhaft schwere
Wandern in Sonnenglut, auf weißen Straßen, Staubwolken hinter sich, ein
Engel der Landstraße.

Ich nahm den Stock in die Hand und ein paar Münzen in den Hosensack,
Stiefel an, den Filz auf, der schon in drei Gletscherspalten lag und mich einst
rettete, als ich auf dem Sankt Bernhard einschneide und er, vom Kopf geweht,
die Retter auf meine Spur brachte. Ein Pfiff dem Hund. Föhn, der Jsabell,
der Hirschhund, begleitet mich. Mehr brauche ich nicht. Den Stock zur Stütze,
den Hund zum Schirm, eine Münze sür die Not und Mut im Herzen und
Kraft im Gebein. Es war eine böse Zeit. Mein Leben! dachte ich, spottete
ich, verachtete ich, mein Leben! Keinen Heller wert, wenn nicht Liebe,
Sehnsucht. Wünsche, Dummheiten darin wären. Was soll es! Tu es ab!
Krämple dich um! Werde was anderes! Und da wußte ich es. Statt der
Feder die Beine rühren. Was soll ich sein? Ein Wanderer durch die Welt!
Jahraus, jahrein, wandern, wandern, nach namenlosen Zielen, auf unbekannten
Straßen, gut Freund mit Wolken, Tieren, Pflanzen. Nächte im Stroh, unter
flüsternden Bäumen, im duftenden Korn. Mit der Sonne auf, mit den Sternen
schwärmen, mit dem Monde disputieren und den Fröschen lauschen. Nahrung
nehmen von den Bäumen, Durst stillen an den kalten Quellen. Für einen
halben Tag einen Kameraden von der Straße. Wer du? Ich der! Und Gruß
und Gegengruß, Nachschauen und Weitergehen.

So zog ich aus, und auf der Straße liegt unsere Gesundheit, Freiheit,
Seligkeit. Aber nicht auf den Straßen der Stadt, wo man niederschauen muß
auf die Füße, achthaben auf den Weg. wo mau den Kopf nicht heben darf
zum Himmel, will man nicht überrannt werden. Da wird man bleich, weil


Grenzbowl III 1914 0


Wandern
von Rurt Münz er

s sind die grauen Himmel, die man lieben sollte. Blaue sind
wie erfüllte Wünsche, leer, sehusuchtslos, ohne Geheimnis oder
Verheißung mehr. Aber hinter den grauen Himmeln wölben sich
die blauesten, spielt das Licht in allen Farben, wartet die Glied,
die Fülle, die Liebe der Sonne; sie sind Hoffnungen, Ver¬
sprechungen, Ahnungen, Geheimnisse; sie verbergen noch das Herrlichste. Und
Glück war niemals etwas anderes als Erwartung.

In Dunst und Nebel hinauszuziehen, in eine noch verheimlichte Welt, in
ein Labyrinth von Schleiern, das ist fast schöner als das traumhaft schwere
Wandern in Sonnenglut, auf weißen Straßen, Staubwolken hinter sich, ein
Engel der Landstraße.

Ich nahm den Stock in die Hand und ein paar Münzen in den Hosensack,
Stiefel an, den Filz auf, der schon in drei Gletscherspalten lag und mich einst
rettete, als ich auf dem Sankt Bernhard einschneide und er, vom Kopf geweht,
die Retter auf meine Spur brachte. Ein Pfiff dem Hund. Föhn, der Jsabell,
der Hirschhund, begleitet mich. Mehr brauche ich nicht. Den Stock zur Stütze,
den Hund zum Schirm, eine Münze sür die Not und Mut im Herzen und
Kraft im Gebein. Es war eine böse Zeit. Mein Leben! dachte ich, spottete
ich, verachtete ich, mein Leben! Keinen Heller wert, wenn nicht Liebe,
Sehnsucht. Wünsche, Dummheiten darin wären. Was soll es! Tu es ab!
Krämple dich um! Werde was anderes! Und da wußte ich es. Statt der
Feder die Beine rühren. Was soll ich sein? Ein Wanderer durch die Welt!
Jahraus, jahrein, wandern, wandern, nach namenlosen Zielen, auf unbekannten
Straßen, gut Freund mit Wolken, Tieren, Pflanzen. Nächte im Stroh, unter
flüsternden Bäumen, im duftenden Korn. Mit der Sonne auf, mit den Sternen
schwärmen, mit dem Monde disputieren und den Fröschen lauschen. Nahrung
nehmen von den Bäumen, Durst stillen an den kalten Quellen. Für einen
halben Tag einen Kameraden von der Straße. Wer du? Ich der! Und Gruß
und Gegengruß, Nachschauen und Weitergehen.

So zog ich aus, und auf der Straße liegt unsere Gesundheit, Freiheit,
Seligkeit. Aber nicht auf den Straßen der Stadt, wo man niederschauen muß
auf die Füße, achthaben auf den Weg. wo mau den Kopf nicht heben darf
zum Himmel, will man nicht überrannt werden. Da wird man bleich, weil


Grenzbowl III 1914 0
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[0141] [Abbildung] Wandern von Rurt Münz er s sind die grauen Himmel, die man lieben sollte. Blaue sind wie erfüllte Wünsche, leer, sehusuchtslos, ohne Geheimnis oder Verheißung mehr. Aber hinter den grauen Himmeln wölben sich die blauesten, spielt das Licht in allen Farben, wartet die Glied, die Fülle, die Liebe der Sonne; sie sind Hoffnungen, Ver¬ sprechungen, Ahnungen, Geheimnisse; sie verbergen noch das Herrlichste. Und Glück war niemals etwas anderes als Erwartung. In Dunst und Nebel hinauszuziehen, in eine noch verheimlichte Welt, in ein Labyrinth von Schleiern, das ist fast schöner als das traumhaft schwere Wandern in Sonnenglut, auf weißen Straßen, Staubwolken hinter sich, ein Engel der Landstraße. Ich nahm den Stock in die Hand und ein paar Münzen in den Hosensack, Stiefel an, den Filz auf, der schon in drei Gletscherspalten lag und mich einst rettete, als ich auf dem Sankt Bernhard einschneide und er, vom Kopf geweht, die Retter auf meine Spur brachte. Ein Pfiff dem Hund. Föhn, der Jsabell, der Hirschhund, begleitet mich. Mehr brauche ich nicht. Den Stock zur Stütze, den Hund zum Schirm, eine Münze sür die Not und Mut im Herzen und Kraft im Gebein. Es war eine böse Zeit. Mein Leben! dachte ich, spottete ich, verachtete ich, mein Leben! Keinen Heller wert, wenn nicht Liebe, Sehnsucht. Wünsche, Dummheiten darin wären. Was soll es! Tu es ab! Krämple dich um! Werde was anderes! Und da wußte ich es. Statt der Feder die Beine rühren. Was soll ich sein? Ein Wanderer durch die Welt! Jahraus, jahrein, wandern, wandern, nach namenlosen Zielen, auf unbekannten Straßen, gut Freund mit Wolken, Tieren, Pflanzen. Nächte im Stroh, unter flüsternden Bäumen, im duftenden Korn. Mit der Sonne auf, mit den Sternen schwärmen, mit dem Monde disputieren und den Fröschen lauschen. Nahrung nehmen von den Bäumen, Durst stillen an den kalten Quellen. Für einen halben Tag einen Kameraden von der Straße. Wer du? Ich der! Und Gruß und Gegengruß, Nachschauen und Weitergehen. So zog ich aus, und auf der Straße liegt unsere Gesundheit, Freiheit, Seligkeit. Aber nicht auf den Straßen der Stadt, wo man niederschauen muß auf die Füße, achthaben auf den Weg. wo mau den Kopf nicht heben darf zum Himmel, will man nicht überrannt werden. Da wird man bleich, weil Grenzbowl III 1914 0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/141>, abgerufen am 13.11.2024.