Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>


Habsburgs Sorgen
Gedanken am Grabe Franz Ferdinands
von George Lleinow

as fluchwürdige Verbrechen zu Serajewo, dem ein edles Fürsten¬
paar zum Opfer gefallen ist, hat die politische Lage in ganz
Mitteleuropa blitzartig beleuchtet. Was als Abwehr des öster-
reichischen Imperialismus, dessen Bannerträger Erzherzog Franz
Ferdinand gewesen sein soll, hingestellt wird, ist in Wirklichkeit
nichts anderes, als ein besonders krasser Fall der Auflehnung gegen alles das,
was die Slawen mit dem Schlagwort "deutsche Gefahr" bezeichnen. Junge
Völker, die von der älteren deutschen Kultur gerade soviel sich aneigneten, als
sie zur Erweckung der eigenen Kräfte nötig hatten, wollen sich von der deutschen
Vormundschaft befreien und sich kulturell und staatlich unabhängig organisieren.
Das ist die tiefe Sehnsucht, die alle slawischen Völker erfüllt. In dieser Sehnsucht
liegt das europäische Problem einer nahen ZukunftI

Der hingemordete Erzherzog - Thronfolger Franz Ferdinand galt vielen
als der Mann, der stark und entschlossen genug sein würde, die sich aus dem
Begehren der Slawen für die Habsburgische Monarchie ergebenden Konsequenzen
zu überwinden; den Beweis dafür zu erbringen, haben ihm seine Mörder nicht
erlaubt. Es ist darum müßig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was ans
Österreich - Ungarn geworden wäre, wenn der Thronfolger den Thron bestiegen


Grenzboten III 1914 1


Habsburgs Sorgen
Gedanken am Grabe Franz Ferdinands
von George Lleinow

as fluchwürdige Verbrechen zu Serajewo, dem ein edles Fürsten¬
paar zum Opfer gefallen ist, hat die politische Lage in ganz
Mitteleuropa blitzartig beleuchtet. Was als Abwehr des öster-
reichischen Imperialismus, dessen Bannerträger Erzherzog Franz
Ferdinand gewesen sein soll, hingestellt wird, ist in Wirklichkeit
nichts anderes, als ein besonders krasser Fall der Auflehnung gegen alles das,
was die Slawen mit dem Schlagwort „deutsche Gefahr" bezeichnen. Junge
Völker, die von der älteren deutschen Kultur gerade soviel sich aneigneten, als
sie zur Erweckung der eigenen Kräfte nötig hatten, wollen sich von der deutschen
Vormundschaft befreien und sich kulturell und staatlich unabhängig organisieren.
Das ist die tiefe Sehnsucht, die alle slawischen Völker erfüllt. In dieser Sehnsucht
liegt das europäische Problem einer nahen ZukunftI

Der hingemordete Erzherzog - Thronfolger Franz Ferdinand galt vielen
als der Mann, der stark und entschlossen genug sein würde, die sich aus dem
Begehren der Slawen für die Habsburgische Monarchie ergebenden Konsequenzen
zu überwinden; den Beweis dafür zu erbringen, haben ihm seine Mörder nicht
erlaubt. Es ist darum müßig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was ans
Österreich - Ungarn geworden wäre, wenn der Thronfolger den Thron bestiegen


Grenzboten III 1914 1
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328747"/>
              <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341899_328733/figures/grenzboten_341899_328733_328747_000.jpg"/><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Habsburgs Sorgen<lb/>
Gedanken am Grabe Franz Ferdinands<lb/><note type="byline"> von George Lleinow</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_3"> as fluchwürdige Verbrechen zu Serajewo, dem ein edles Fürsten¬<lb/>
paar zum Opfer gefallen ist, hat die politische Lage in ganz<lb/>
Mitteleuropa blitzartig beleuchtet. Was als Abwehr des öster-<lb/>
reichischen Imperialismus, dessen Bannerträger Erzherzog Franz<lb/>
Ferdinand gewesen sein soll, hingestellt wird, ist in Wirklichkeit<lb/>
nichts anderes, als ein besonders krasser Fall der Auflehnung gegen alles das,<lb/>
was die Slawen mit dem Schlagwort &#x201E;deutsche Gefahr" bezeichnen. Junge<lb/>
Völker, die von der älteren deutschen Kultur gerade soviel sich aneigneten, als<lb/>
sie zur Erweckung der eigenen Kräfte nötig hatten, wollen sich von der deutschen<lb/>
Vormundschaft befreien und sich kulturell und staatlich unabhängig organisieren.<lb/>
Das ist die tiefe Sehnsucht, die alle slawischen Völker erfüllt. In dieser Sehnsucht<lb/>
liegt das europäische Problem einer nahen ZukunftI</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4" next="#ID_5"> Der hingemordete Erzherzog - Thronfolger Franz Ferdinand galt vielen<lb/>
als der Mann, der stark und entschlossen genug sein würde, die sich aus dem<lb/>
Begehren der Slawen für die Habsburgische Monarchie ergebenden Konsequenzen<lb/>
zu überwinden; den Beweis dafür zu erbringen, haben ihm seine Mörder nicht<lb/>
erlaubt. Es ist darum müßig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was ans<lb/>
Österreich - Ungarn geworden wäre, wenn der Thronfolger den Thron bestiegen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1914 1</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] [Abbildung] Habsburgs Sorgen Gedanken am Grabe Franz Ferdinands von George Lleinow as fluchwürdige Verbrechen zu Serajewo, dem ein edles Fürsten¬ paar zum Opfer gefallen ist, hat die politische Lage in ganz Mitteleuropa blitzartig beleuchtet. Was als Abwehr des öster- reichischen Imperialismus, dessen Bannerträger Erzherzog Franz Ferdinand gewesen sein soll, hingestellt wird, ist in Wirklichkeit nichts anderes, als ein besonders krasser Fall der Auflehnung gegen alles das, was die Slawen mit dem Schlagwort „deutsche Gefahr" bezeichnen. Junge Völker, die von der älteren deutschen Kultur gerade soviel sich aneigneten, als sie zur Erweckung der eigenen Kräfte nötig hatten, wollen sich von der deutschen Vormundschaft befreien und sich kulturell und staatlich unabhängig organisieren. Das ist die tiefe Sehnsucht, die alle slawischen Völker erfüllt. In dieser Sehnsucht liegt das europäische Problem einer nahen ZukunftI Der hingemordete Erzherzog - Thronfolger Franz Ferdinand galt vielen als der Mann, der stark und entschlossen genug sein würde, die sich aus dem Begehren der Slawen für die Habsburgische Monarchie ergebenden Konsequenzen zu überwinden; den Beweis dafür zu erbringen, haben ihm seine Mörder nicht erlaubt. Es ist darum müßig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was ans Österreich - Ungarn geworden wäre, wenn der Thronfolger den Thron bestiegen Grenzboten III 1914 1

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/13
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/13>, abgerufen am 27.07.2024.