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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die energetische Naturauffassung

zuzugeben, wenn mit diesen Größeren einer gemeint ist, der zugleich die Macht
hatte, ihn stehen oder fallen zu lassen: Bismarck, der Schöpfer unseres Kolonial¬
reiches! Ohne seine Unterstützung war er natürlich nichts, aber sonst brauchte Peters
Größere nicht zu fürchten. Pfeil scheint außerdem an die Kapitalisten der
deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft zu denken. Wenn er aber meint, "ohne
den Rückhalt einer kräftigen Organisation im Mutterlande" sei Peters "trotz
seiner unbezweifelten Begabung nichts" gewesen, so vergißt er. daß gerade
Peters sich diesen Rückhalt selbst geschaffen hatte, um nach seiner Tat nicht ins
Nichts zurückzusinken. Daß dieser Rückhalt ihm schließlich zum Hinterhalt wurde,
ist ein anderes Kapitel und gehört zu den tragischen Momenten, an denen
Peters' Leben nicht ärmer ist als das des Grafen Pfeil.




Die energetische Naturauffassung
von Prof. Dr. Richard Herbcrtz

le Grenzboten haben sich wiederholt mit Wilhelm Ostwald und
seiner Energetik beschäftigt. Insbesondere die sogenannte ener¬
getische Kulturphilosophie hat eine scharfe, aber berechtigte Ab¬
lehnung erfahren.*) Da erscheint es als eine Forderung der
Billigkeit, auch der energetischen Naturauffassung einmal einige
Worte zu widmen. Denn während der Versuch der Anwendung energetischer
Prinzipien auf die Kulturerscheinungen ein Versuch mit untauglichen Mitteln
am untauglichen Objekte ist, kann die energetische Naturauffassung als eine
wissenschaftlich diskutable Hypothese angesehen werden. Das soll natürlich nicht
heißen, daß sie bereits den Wert einer begrifflich einwandfrei begründeten und
durch die Erfahrung hinreichend bestätigten Theorie hätte. Die energetische
Hypothese leidet vielmehr noch an ganz erheblichen begrifflichen Mängeln und
es lassen sich auch durchaus noch nicht alle Tatsachen der naturwissenschaftlichen
Erfahrung mit ihr in Einklang bringen. Trotzdem darf und soll der Natur¬
forscher und namentlich der Natur-Erkenntnistheoretiker, der die Grundbegriffe
und Grundsätze des naturwissenschaftlichen Erkennens kritisch untersucht, sich
ernsthaft mit der energetischen Hypothese beschäftigen. Denn es liegt im Wesen
der naturwissenschaftlichen Hypothese, daß sie beständig im Fluß ist. daß sie
sich beständig Abänderungen und Verbesserungen gefallen lassen muß, die durch



*) Vgl. Die Grenzboten 1911 Heft 33, 34, 36 und 1914 Heft 10 Seite 446.
Die energetische Naturauffassung

zuzugeben, wenn mit diesen Größeren einer gemeint ist, der zugleich die Macht
hatte, ihn stehen oder fallen zu lassen: Bismarck, der Schöpfer unseres Kolonial¬
reiches! Ohne seine Unterstützung war er natürlich nichts, aber sonst brauchte Peters
Größere nicht zu fürchten. Pfeil scheint außerdem an die Kapitalisten der
deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft zu denken. Wenn er aber meint, „ohne
den Rückhalt einer kräftigen Organisation im Mutterlande" sei Peters „trotz
seiner unbezweifelten Begabung nichts" gewesen, so vergißt er. daß gerade
Peters sich diesen Rückhalt selbst geschaffen hatte, um nach seiner Tat nicht ins
Nichts zurückzusinken. Daß dieser Rückhalt ihm schließlich zum Hinterhalt wurde,
ist ein anderes Kapitel und gehört zu den tragischen Momenten, an denen
Peters' Leben nicht ärmer ist als das des Grafen Pfeil.




Die energetische Naturauffassung
von Prof. Dr. Richard Herbcrtz

le Grenzboten haben sich wiederholt mit Wilhelm Ostwald und
seiner Energetik beschäftigt. Insbesondere die sogenannte ener¬
getische Kulturphilosophie hat eine scharfe, aber berechtigte Ab¬
lehnung erfahren.*) Da erscheint es als eine Forderung der
Billigkeit, auch der energetischen Naturauffassung einmal einige
Worte zu widmen. Denn während der Versuch der Anwendung energetischer
Prinzipien auf die Kulturerscheinungen ein Versuch mit untauglichen Mitteln
am untauglichen Objekte ist, kann die energetische Naturauffassung als eine
wissenschaftlich diskutable Hypothese angesehen werden. Das soll natürlich nicht
heißen, daß sie bereits den Wert einer begrifflich einwandfrei begründeten und
durch die Erfahrung hinreichend bestätigten Theorie hätte. Die energetische
Hypothese leidet vielmehr noch an ganz erheblichen begrifflichen Mängeln und
es lassen sich auch durchaus noch nicht alle Tatsachen der naturwissenschaftlichen
Erfahrung mit ihr in Einklang bringen. Trotzdem darf und soll der Natur¬
forscher und namentlich der Natur-Erkenntnistheoretiker, der die Grundbegriffe
und Grundsätze des naturwissenschaftlichen Erkennens kritisch untersucht, sich
ernsthaft mit der energetischen Hypothese beschäftigen. Denn es liegt im Wesen
der naturwissenschaftlichen Hypothese, daß sie beständig im Fluß ist. daß sie
sich beständig Abänderungen und Verbesserungen gefallen lassen muß, die durch



*) Vgl. Die Grenzboten 1911 Heft 33, 34, 36 und 1914 Heft 10 Seite 446.
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[0123] Die energetische Naturauffassung zuzugeben, wenn mit diesen Größeren einer gemeint ist, der zugleich die Macht hatte, ihn stehen oder fallen zu lassen: Bismarck, der Schöpfer unseres Kolonial¬ reiches! Ohne seine Unterstützung war er natürlich nichts, aber sonst brauchte Peters Größere nicht zu fürchten. Pfeil scheint außerdem an die Kapitalisten der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft zu denken. Wenn er aber meint, „ohne den Rückhalt einer kräftigen Organisation im Mutterlande" sei Peters „trotz seiner unbezweifelten Begabung nichts" gewesen, so vergißt er. daß gerade Peters sich diesen Rückhalt selbst geschaffen hatte, um nach seiner Tat nicht ins Nichts zurückzusinken. Daß dieser Rückhalt ihm schließlich zum Hinterhalt wurde, ist ein anderes Kapitel und gehört zu den tragischen Momenten, an denen Peters' Leben nicht ärmer ist als das des Grafen Pfeil. Die energetische Naturauffassung von Prof. Dr. Richard Herbcrtz le Grenzboten haben sich wiederholt mit Wilhelm Ostwald und seiner Energetik beschäftigt. Insbesondere die sogenannte ener¬ getische Kulturphilosophie hat eine scharfe, aber berechtigte Ab¬ lehnung erfahren.*) Da erscheint es als eine Forderung der Billigkeit, auch der energetischen Naturauffassung einmal einige Worte zu widmen. Denn während der Versuch der Anwendung energetischer Prinzipien auf die Kulturerscheinungen ein Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekte ist, kann die energetische Naturauffassung als eine wissenschaftlich diskutable Hypothese angesehen werden. Das soll natürlich nicht heißen, daß sie bereits den Wert einer begrifflich einwandfrei begründeten und durch die Erfahrung hinreichend bestätigten Theorie hätte. Die energetische Hypothese leidet vielmehr noch an ganz erheblichen begrifflichen Mängeln und es lassen sich auch durchaus noch nicht alle Tatsachen der naturwissenschaftlichen Erfahrung mit ihr in Einklang bringen. Trotzdem darf und soll der Natur¬ forscher und namentlich der Natur-Erkenntnistheoretiker, der die Grundbegriffe und Grundsätze des naturwissenschaftlichen Erkennens kritisch untersucht, sich ernsthaft mit der energetischen Hypothese beschäftigen. Denn es liegt im Wesen der naturwissenschaftlichen Hypothese, daß sie beständig im Fluß ist. daß sie sich beständig Abänderungen und Verbesserungen gefallen lassen muß, die durch *) Vgl. Die Grenzboten 1911 Heft 33, 34, 36 und 1914 Heft 10 Seite 446.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/123>, abgerufen am 13.11.2024.