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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Der Mime zu Besuch
von Malecki-Sandatz

es war einmal -- das ist gottlob schon einige Zeit her und wird
mir nicht mehr passieren -- ein Theaterkritiker. Irgendwo in einer
großen Stadt in Süddeutschland. In der großen Stadt in Süd¬
deutschland nun hauste auch ein großer alter Mime. Und diesen
großen alten Mimen, der die Gewohnheit hatte von Zeit zu Zeit
in ganz regelmäßigen Intervallen auf vieles Bitten seiner angeblichen Anhänger
zum letzten, aber auch wirklich zum allerletzten Male aufzutreten, wie das nun
einmal die Gewohnheit großer alter Mimen ist, den behandelte ich also so, wie
man alte Mimen behandeln muß: mit historischer Liebenswürdigkeit.

Eines Tages nun nach einem seiner unwideruflich letzten Abende läutete
es in meinem Telephon.

"Hier ist. . ." Und ich betete meinen Namen herunter. "Wer ist dort?"

"Ich!"

"Um Vergebung, wer?"

"Ich selber."

"Sehr angenehm, nur interessiere ich mich nun einmal für Ihren Namen!"

"Ich selber." Und dann kam der Name. Ach und wie kam dieser Name.
Als akustisches Phänomen durchliefen seine beiden Silben eine chromatische
Tonleiter von mindestens zwei Oktaven. Als Kunstleistung -- und alles, was er
sprach, war Kunstleistmig -- umfaßte er eine Welt. Dieselbe etwa, die der unver¬
geßliche Kainz umspannte, wenn er als Hamlet dem königlichen Ohm versicherte, er
habe zuviel Sonne. Nach diesem Ereignis nun kam es zwischen uns zu folgender
Auseinandersetzung:

"Mein lieber junger Freund, Sie haben mich so verstanden. Ich sehe,
Ihnen habe ich gestern am meisten gegeben. Ich muß heute noch zu Ihnen.
Ich muß Sie umarmen!"

"Erbarmung!" dachte ich. Denn ich bin aus Ostpreußen.

Also: "Bitte Herr Geheimrat. bedenken Sie, ich wohne in einem Turm.
Und vier Treppen. Und Ihr Alter!"

Wasserstrahl! Das hätte nie kommen dürfen.

' "Alt? Mein lieber Freund bin ich denn alt? War ich denn gestern
abend vielleicht alt?"

Nun, der Mann war immerhin damals siebzig Jahre.




Der Mime zu Besuch
von Malecki-Sandatz

es war einmal — das ist gottlob schon einige Zeit her und wird
mir nicht mehr passieren — ein Theaterkritiker. Irgendwo in einer
großen Stadt in Süddeutschland. In der großen Stadt in Süd¬
deutschland nun hauste auch ein großer alter Mime. Und diesen
großen alten Mimen, der die Gewohnheit hatte von Zeit zu Zeit
in ganz regelmäßigen Intervallen auf vieles Bitten seiner angeblichen Anhänger
zum letzten, aber auch wirklich zum allerletzten Male aufzutreten, wie das nun
einmal die Gewohnheit großer alter Mimen ist, den behandelte ich also so, wie
man alte Mimen behandeln muß: mit historischer Liebenswürdigkeit.

Eines Tages nun nach einem seiner unwideruflich letzten Abende läutete
es in meinem Telephon.

„Hier ist. . ." Und ich betete meinen Namen herunter. „Wer ist dort?"

„Ich!"

„Um Vergebung, wer?"

„Ich selber."

„Sehr angenehm, nur interessiere ich mich nun einmal für Ihren Namen!"

„Ich selber." Und dann kam der Name. Ach und wie kam dieser Name.
Als akustisches Phänomen durchliefen seine beiden Silben eine chromatische
Tonleiter von mindestens zwei Oktaven. Als Kunstleistung — und alles, was er
sprach, war Kunstleistmig — umfaßte er eine Welt. Dieselbe etwa, die der unver¬
geßliche Kainz umspannte, wenn er als Hamlet dem königlichen Ohm versicherte, er
habe zuviel Sonne. Nach diesem Ereignis nun kam es zwischen uns zu folgender
Auseinandersetzung:

„Mein lieber junger Freund, Sie haben mich so verstanden. Ich sehe,
Ihnen habe ich gestern am meisten gegeben. Ich muß heute noch zu Ihnen.
Ich muß Sie umarmen!"

„Erbarmung!" dachte ich. Denn ich bin aus Ostpreußen.

Also: „Bitte Herr Geheimrat. bedenken Sie, ich wohne in einem Turm.
Und vier Treppen. Und Ihr Alter!"

Wasserstrahl! Das hätte nie kommen dürfen.

' „Alt? Mein lieber Freund bin ich denn alt? War ich denn gestern
abend vielleicht alt?"

Nun, der Mann war immerhin damals siebzig Jahre.


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[0102] [Abbildung] Der Mime zu Besuch von Malecki-Sandatz es war einmal — das ist gottlob schon einige Zeit her und wird mir nicht mehr passieren — ein Theaterkritiker. Irgendwo in einer großen Stadt in Süddeutschland. In der großen Stadt in Süd¬ deutschland nun hauste auch ein großer alter Mime. Und diesen großen alten Mimen, der die Gewohnheit hatte von Zeit zu Zeit in ganz regelmäßigen Intervallen auf vieles Bitten seiner angeblichen Anhänger zum letzten, aber auch wirklich zum allerletzten Male aufzutreten, wie das nun einmal die Gewohnheit großer alter Mimen ist, den behandelte ich also so, wie man alte Mimen behandeln muß: mit historischer Liebenswürdigkeit. Eines Tages nun nach einem seiner unwideruflich letzten Abende läutete es in meinem Telephon. „Hier ist. . ." Und ich betete meinen Namen herunter. „Wer ist dort?" „Ich!" „Um Vergebung, wer?" „Ich selber." „Sehr angenehm, nur interessiere ich mich nun einmal für Ihren Namen!" „Ich selber." Und dann kam der Name. Ach und wie kam dieser Name. Als akustisches Phänomen durchliefen seine beiden Silben eine chromatische Tonleiter von mindestens zwei Oktaven. Als Kunstleistung — und alles, was er sprach, war Kunstleistmig — umfaßte er eine Welt. Dieselbe etwa, die der unver¬ geßliche Kainz umspannte, wenn er als Hamlet dem königlichen Ohm versicherte, er habe zuviel Sonne. Nach diesem Ereignis nun kam es zwischen uns zu folgender Auseinandersetzung: „Mein lieber junger Freund, Sie haben mich so verstanden. Ich sehe, Ihnen habe ich gestern am meisten gegeben. Ich muß heute noch zu Ihnen. Ich muß Sie umarmen!" „Erbarmung!" dachte ich. Denn ich bin aus Ostpreußen. Also: „Bitte Herr Geheimrat. bedenken Sie, ich wohne in einem Turm. Und vier Treppen. Und Ihr Alter!" Wasserstrahl! Das hätte nie kommen dürfen. ' „Alt? Mein lieber Freund bin ich denn alt? War ich denn gestern abend vielleicht alt?" Nun, der Mann war immerhin damals siebzig Jahre.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/102>, abgerufen am 13.11.2024.