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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Bismarck und prokesch-Vsten

Diese Hemmungen find nicht derart, daß wir in dem Besitz von Sansibar den
Schlüssel zu unserem Wohl und Wehe sehen müßten, aber eine etwaige Aussicht
auf gelegentliche friedliche Erwerbung dieses alten Kultureilandes als unnütz
oder töricht zu bezeichnen, das erinnert doch gar zu sehr an die Fabel vom Fuchs
und den Trauben!




Bismarck und prokesch - Osten
Line Ehrenrettung
Ludwig Schemann von
4. Prokesch contra Bismarck.

Die Kundgebungen Prokeschs über Bismarck zeigen nach verschiedenen
Seiten das Gegenteil von denen Bismarcks über ihn. Was sie grundsätzlich
von diesen unterscheidet, ist, daß er, ein Stück Philosoph, sich in den Gegner
zu versetzen, ihn zu würdigen wußte, und das vom ersten bis zum letzten Augen¬
blicke, in dem er über ihn geurteilt hat.

Eigentümlicherweise scheint er ursprünglich überhaupt nicht den Gegner in
ihn: gesehen, sondern anderes von ihm erwartet zu haben. In Berlin war
er mit ihm in der Gegnerschaft gegen Radowitz einig gewesen, und so mag er
damals gewähnt haben, daß selbst ein Österreich, in dem noch der Geist
Schwarzenbergs lebendig war, noch auf ihn zählen könne. Vollends aber in
den inneren Dingen, in seiner Stellung zur Revolution und zu den Verfassungs¬
fragen, betrachtete er ihn als Bundesgenossen (hatte er doch sogar vor Antritt
seiner Stellung am Bundestage Prokeschs alten Meister Metternich auf dem
Johannisberg besucht und sich über manches mit ihm verständigt).

So ist es bei der mächtig suggestiven Kraft, die gerade Bismarcks Anfänge
charakterisiert, nicht zu verwundern, wenn nicht nur die ersten brieflichen Äuße¬
rungen, sondern selbst noch zwanzig Jahre später niedergeschriebene Erinnerungen
Prokeschs, des völlig vorurteilslos an ihn herantretenden, äußerst günstig lauten.
..Herrn von Bismarck bewunderte ich damals ob seines Mutes und seines Ver¬
mögens auf der Tribüne", heißt es in Aufzeichnungen aus dem Jahre 1872
("Aus den Briefen" usw. S. 469); "Herr von Bismarck ist ein durchaus ehr¬
licher Mann" (An den Grafen Buol, Juni 1832. a. a. O. S. 258), und in
der Begrüßungsansprache vom 4. Februar 1853: "Ich verehre in ihm einen
Mann gehobener Gesinnung, des umsichtigsten Eifers und der wärmsten Vater¬
landsliebe" (Poschinger I 191/92).

Da auch Bismarck in den ersten Zeiten es für geraten hielt, sich zurück¬
zuhalten und Prokesch entgegenzukommen, so konnte er sogar (15. Februar


Bismarck und prokesch-Vsten

Diese Hemmungen find nicht derart, daß wir in dem Besitz von Sansibar den
Schlüssel zu unserem Wohl und Wehe sehen müßten, aber eine etwaige Aussicht
auf gelegentliche friedliche Erwerbung dieses alten Kultureilandes als unnütz
oder töricht zu bezeichnen, das erinnert doch gar zu sehr an die Fabel vom Fuchs
und den Trauben!




Bismarck und prokesch - Osten
Line Ehrenrettung
Ludwig Schemann von
4. Prokesch contra Bismarck.

Die Kundgebungen Prokeschs über Bismarck zeigen nach verschiedenen
Seiten das Gegenteil von denen Bismarcks über ihn. Was sie grundsätzlich
von diesen unterscheidet, ist, daß er, ein Stück Philosoph, sich in den Gegner
zu versetzen, ihn zu würdigen wußte, und das vom ersten bis zum letzten Augen¬
blicke, in dem er über ihn geurteilt hat.

Eigentümlicherweise scheint er ursprünglich überhaupt nicht den Gegner in
ihn: gesehen, sondern anderes von ihm erwartet zu haben. In Berlin war
er mit ihm in der Gegnerschaft gegen Radowitz einig gewesen, und so mag er
damals gewähnt haben, daß selbst ein Österreich, in dem noch der Geist
Schwarzenbergs lebendig war, noch auf ihn zählen könne. Vollends aber in
den inneren Dingen, in seiner Stellung zur Revolution und zu den Verfassungs¬
fragen, betrachtete er ihn als Bundesgenossen (hatte er doch sogar vor Antritt
seiner Stellung am Bundestage Prokeschs alten Meister Metternich auf dem
Johannisberg besucht und sich über manches mit ihm verständigt).

So ist es bei der mächtig suggestiven Kraft, die gerade Bismarcks Anfänge
charakterisiert, nicht zu verwundern, wenn nicht nur die ersten brieflichen Äuße¬
rungen, sondern selbst noch zwanzig Jahre später niedergeschriebene Erinnerungen
Prokeschs, des völlig vorurteilslos an ihn herantretenden, äußerst günstig lauten.
..Herrn von Bismarck bewunderte ich damals ob seines Mutes und seines Ver¬
mögens auf der Tribüne", heißt es in Aufzeichnungen aus dem Jahre 1872
(„Aus den Briefen" usw. S. 469); „Herr von Bismarck ist ein durchaus ehr¬
licher Mann" (An den Grafen Buol, Juni 1832. a. a. O. S. 258), und in
der Begrüßungsansprache vom 4. Februar 1853: „Ich verehre in ihm einen
Mann gehobener Gesinnung, des umsichtigsten Eifers und der wärmsten Vater¬
landsliebe" (Poschinger I 191/92).

Da auch Bismarck in den ersten Zeiten es für geraten hielt, sich zurück¬
zuhalten und Prokesch entgegenzukommen, so konnte er sogar (15. Februar


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[0078] Bismarck und prokesch-Vsten Diese Hemmungen find nicht derart, daß wir in dem Besitz von Sansibar den Schlüssel zu unserem Wohl und Wehe sehen müßten, aber eine etwaige Aussicht auf gelegentliche friedliche Erwerbung dieses alten Kultureilandes als unnütz oder töricht zu bezeichnen, das erinnert doch gar zu sehr an die Fabel vom Fuchs und den Trauben! Bismarck und prokesch - Osten Line Ehrenrettung Ludwig Schemann von 4. Prokesch contra Bismarck. Die Kundgebungen Prokeschs über Bismarck zeigen nach verschiedenen Seiten das Gegenteil von denen Bismarcks über ihn. Was sie grundsätzlich von diesen unterscheidet, ist, daß er, ein Stück Philosoph, sich in den Gegner zu versetzen, ihn zu würdigen wußte, und das vom ersten bis zum letzten Augen¬ blicke, in dem er über ihn geurteilt hat. Eigentümlicherweise scheint er ursprünglich überhaupt nicht den Gegner in ihn: gesehen, sondern anderes von ihm erwartet zu haben. In Berlin war er mit ihm in der Gegnerschaft gegen Radowitz einig gewesen, und so mag er damals gewähnt haben, daß selbst ein Österreich, in dem noch der Geist Schwarzenbergs lebendig war, noch auf ihn zählen könne. Vollends aber in den inneren Dingen, in seiner Stellung zur Revolution und zu den Verfassungs¬ fragen, betrachtete er ihn als Bundesgenossen (hatte er doch sogar vor Antritt seiner Stellung am Bundestage Prokeschs alten Meister Metternich auf dem Johannisberg besucht und sich über manches mit ihm verständigt). So ist es bei der mächtig suggestiven Kraft, die gerade Bismarcks Anfänge charakterisiert, nicht zu verwundern, wenn nicht nur die ersten brieflichen Äuße¬ rungen, sondern selbst noch zwanzig Jahre später niedergeschriebene Erinnerungen Prokeschs, des völlig vorurteilslos an ihn herantretenden, äußerst günstig lauten. ..Herrn von Bismarck bewunderte ich damals ob seines Mutes und seines Ver¬ mögens auf der Tribüne", heißt es in Aufzeichnungen aus dem Jahre 1872 („Aus den Briefen" usw. S. 469); „Herr von Bismarck ist ein durchaus ehr¬ licher Mann" (An den Grafen Buol, Juni 1832. a. a. O. S. 258), und in der Begrüßungsansprache vom 4. Februar 1853: „Ich verehre in ihm einen Mann gehobener Gesinnung, des umsichtigsten Eifers und der wärmsten Vater¬ landsliebe" (Poschinger I 191/92). Da auch Bismarck in den ersten Zeiten es für geraten hielt, sich zurück¬ zuhalten und Prokesch entgegenzukommen, so konnte er sogar (15. Februar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/78>, abgerufen am 13.11.2024.